Krebserkrankung

Prammer: “Angst vor dem Sterben hatte ich nie”

Österreich
09.11.2013 16:25
"Ja, ich habe Krebs." Das Geständnis von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat erstaunt und bewegt. Im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger spricht sie über das Warum, ihre Anker und die Konfrontation mit dem Tod.

Im wuchtigen Büro mit den sechs Meter hohen Räumen aus Marmor und dunklem Holz wirkt die zierliche Politikerin noch ein bisschen schmäler. "Ich wollte nicht alles ändern", sagt Barbara Prammer und nimmt am riesigen schwarzen Lacktisch, konzipiert für die vollzählige Präsidiale, Platz. Sie trägt ein Glencheck-Kostüm mit schokoladebraunem Samtkragen, dazu eine Perlenkette und passende Ohrstecker. "Kein Blatt vor dem Mund" heißen die Kunstwerke des Schweizer West-Schülers Heiri Häfliger aus dunkler Papiermaché, die die Wände dominieren.

Am 13. September wurde bekannt, dass die Parlamentspräsidentin schwer erkrankt ist, elf Tage später trat sie selbst an die Öffentlichkeit und sagte: "Ja, ich habe Krebs." Seither steht ein blauer Heizstrahler neben ihrem Schreibtisch – sie verträgt keine Kälte mehr. Die Ledercouch nutzt sie jetzt für "Powernaps" zwischendurch. Und die vielen Blumensträuße? "Keine Genesungswünsche", stellt sie klar.

"Krone": Frau Prammer, messen Sie der Frage "Wie geht es Ihnen?" jetzt mehr Bedeutung bei als früher?
Barbara Prammer: Ja … Ich bin jetzt wirklich sehr froh sagen zu können, mir geht es gut. Natürlich nicht so gut wie vorher, das ist schon klar. Aber ich komme mit der Situation zurecht, ich kann arbeiten. Für mich ist das essentiell. Ich definiere mich stark über diese Arbeit und ich möchte auch an meiner Arbeit gemessen werden.

"Krone": Warum war es Ihnen wichtig, Ihre Krankheit öffentlich zu machen? Sie hätten es doch auch für sich behalten können.
Prammer: Nein, das hätte längerfristig nicht funktioniert, weil ich ja anders leben muss. Deshalb wollte ich Spekulationen vorbeugen und nicht erst darauf warten, dass ich angesprochen werde.

"Krone": Hat sich das ein Medienberater ausgedacht?
Prammer: Nein, das habe ich mir ausgedacht, gemeinsam mit meinem Büro.

"Krone": Ihr Outing fand fünf Tage vor den Wahlen statt. Mussten sich da nicht manche denken, Sie kommen zurück, um Ihrer Partei noch schnell ein paar Stimmen zu verschaffen?
Prammer: Das habe ich Gott sei Dank nie gehört und es wäre auch absurd gewesen. Ich habe alle Wahlkampftermine in Oberösterreich abgesagt und in Wien war ich nur auf der Schlusskundgebung.

"Krone": Aber Sie wollten Präsidentin bleiben – trotz der schweren Erkrankung.
Prammer: Richtig. Mein Arzt, Professor Zielinski, hat mich vom ersten Augenblick an voll durchschaut. Ich werde nie vergessen, welche drei Punkte er mir bei unserem ersten Zusammentreffen als vorrangig genannt hat. Erstens: Weiterarbeiten. Zweitens: Präsidentin bleiben. Und drittens: Zunehmen. Ich bin ja an sich schon keine schwere Person, aber ich hatte in einer kurzen Zeit fünf, sechs Kilo abgenommen.

"Krone": Haben Sie irgendwann geahnt, dass Sie Krebs haben könnten?
Prammer: Nicht im Entferntesten. Das war schon sehr überraschend.

"Krone": Was ging beim Warten auf das Ergebnis durch Ihren Kopf?
Prammer: Ich war in einer privilegierten Situation und musste nicht lange warten. Das kam sehr rasch. Da gehen einem viele Gedanken durch den Kopf.

"Krone": Krebs wird noch immer von vielen Menschen mit Sterben assoziiert. War es bei Ihnen auch so?
Prammer: Angst vor dem Sterben, das hatte ich interessanterweise nie. Da bricht auch so vieles über einen herein, dass man nicht zum Nachdenken kommt. Man muss den Schock erst verkraften.

"Krone": Gegen welchen Krebs kämpfen Sie, wie ernst ist es?
Prammer: Jeder Krebs ist ernst. Aber welchen Krebs ich habe, darüber will ich nicht sprechen. Das hat mir auch mein Arzt geraten. Aus einem einfachen Grund: Man würde viel zu sehr spekulieren, etwa wie lange ich noch zu leben habe und welche Ratschläge man mir geben könnte. Das wollte ich mir ersparen, dass mir Leute dann sagen, was ich alles tun soll oder nicht tun soll. Was das Kämpfen betrifft: Ich muss mit dem Krebs leben. Es ist nicht so, dass ich gegen ihn kämpfe.

"Krone": Die Opernsängerin Montserrat Caballé hat in einem Interview mit mir gesagt, sie habe ihrem Tumor Wohnrecht gewährt…
Prammer: Das ist ein schönes Bild. Ich würde ihm aber ganz gerne woanders ein Wohnrecht anbieten (lacht). Ob das gelingt, das wird die Zukunft zeigen.

"Krone": Glauben Sie, um bei einem Bild zu bleiben, dass der Krebs wuchert, oder halten Sie es auch für möglich, dass er sich wieder zurückzieht?
Prammer: Ich glaube daran, dass die Lebensumstände eine große Rolle spielen. Krebs ist eine chronische Erkrankung, man wird sie nicht mehr los, aber man lernt damit umzugehen.

"Krone": Sie haben gesagt, dass Sie jetzt anders leben müssen. Wie?
Prammer: Ich hinterfrage oft, ob dieses oder jenes jetzt wirklich sein muss. Ich gönne mir mehr Schlaf – ordentliche sieben, acht Stunden. Ich bin jetzt nicht mehr die Erste im Büro und die Letzte, die geht. Ich nehme mir auch bewusst Zeit für meine Chemo. Und habe Nischen gefunden, wo es auch möglich ist, einen Durchhänger zu haben.

"Krone": Wo sind diese Nischen?
Prammer: Die sind in meiner Familie. Bei meinen Kindern und Geschwistern… Es ist sehr schön, dass sie für mich da sind, wenn es mir nicht gut geht. Umgekehrt nehme ich mir jetzt auch mehr Zeit für sie.

"Krone": Ist es nicht traurig, dass man dafür erst krank werden muss?
Prammer: Ja, da haben Sie schon recht. Aber so ist es doch in vielen Berufen, nicht nur in der Politik: Man fühlt sich nur vollwertig, wenn man hundert Prozent gibt und nie auf die Uhr schaut. Sehr klug ist das nicht immer.

"Krone": Begegnen die Menschen Ihnen jetzt anders?
Prammer: Ich hoffe nicht. Aber am Anfang waren natürlich alle schockiert. Warum soll es den Abgeordneten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Parlament anders gehen als dem Großteil der Bevölkerung. Man weiß nicht, wie man mit sowas umgehen soll.

"Krone": Wie soll man damit umgehen?
Prammer: Ganz normal. Wie mit einem Menschen, dem es auch einmal zu viel wird, der einen Tag Pause braucht oder eine längere Auszeit. Ich habe sehr viele Mails und Briefe von Betroffenen bekommen. Diese Botschaften haben mir die Augen geöffnet. Seither weiß ich: Ich bin eine von 50.000, die im Jahr neu an Krebs erkranken, nicht mehr und nicht weniger. Für mich ist es wichtig, weiterzuarbeiten. Aber für viele ist es auch wichtig, sich eine Auszeit zu nehmen. Deshalb möchte ich Menschen Mut machen, das einzufordern, was sie brauchen.

"Krone": Wollten Sie die Krankheit Krebs mit Ihrem Geständnis – und auch mit den Interviews, die Sie dazu geben - enttabuisieren?
Prammer: Das hat sich vielleicht so ergeben, ich hatte es nicht geplant. Fest steht, dass die Medizin in Österreich bei Krebserkrankungen viel weiter ist, als man glaubt. Und dass man ruhig auf sie vertrauen kann.

"Krone": Zwingt einen diese Krankheit nicht trotzdem, sich intensiver mit dem Tod zu beschäftigen?
Prammer: Ich versuche, nicht Stunde für Stunde drüber nachzudenken. Oft vergesse ich meine Krankheit einfach. Dann macht mich der Körper wieder aufmerksam. Den Tod kann ich mir noch immer nicht vorstellen. Mit dem beschäftigt man sich auch, wenn man Angehörige oder Freunde verliert.

"Krone": Sind Sie gläubig?
Prammer: Ich gehöre keiner Religionsgemeinschaft an…

"Krone": Agnostikerin - wie der Herr Bundespräsident?
Prammer: Ja. Aber ich lasse eine gewisse Spiritualität zu. Diese hat aber nicht mit einer höheren Macht zu tun.

Leben zu stehen, nicht darüber nachzudenken, wie ich am Ende beurteilt werde, sondern wie werde ich jetzt beurteilt? Ich glaube an Wertschätzung allen, auch mir selber gegenüber. Daran, meine Überzeugungen nicht zu verraten, authentisch zu bleiben.

"Krone": Frau Prammer, Sie sind als erste Frau in die oberösterreichische Landesregierung gekommen, als erste Frau Nationalratspräsidentin geworden. Sie könnten auch als erste Frau Bundespräsidentin werden. Würde Ihre Krankheit das zulassen?
Prammer: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.

"Krone": Das war jetzt nicht ganz ehrlich.
Prammer: Sie haben Recht, nachdenken muss man notgedrungen darüber, wenn man ständig darauf angesprochen wird. Aber ich habe es für mich nicht in Erwägung gezogen.

"Krone": Würde die Krankheit es zulassen?
Prammer: Das weiß ich nicht.

Barbara Prammer, die Vorreiterin
Geboren am 11. Jänner 1954 in Ottnang am Hausruck. Studium der Soziologie in Linz. 1991 geht sie in die Politik, 1995 wird sie erste Landesrätin in Oberösterreich. Viktor Klima holt sie 1997 als Frauenministerin in die Regierung. Zwölf Jahre lang ist sie auch SPÖ-Frauenvorsitzende. Seit 2006 ist Prammer – wiederum als erste Frau – Nationalratspräsidentin. Privat lebt die Politikerin seit 2001 getrennt von ihrem Mann, sie hat zwei erwachsene Kinder (Bertram und Julia).

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