Paul McCartney:

“Erinnere mich noch gut an die Zeit mit John”

Musik
09.10.2013 17:00
Man kann Sir Paul McCartney getrost als den Urknall der modernen Popmusik bezeichnen. Trotz seiner 71 Lenze ist die Beatles-Legende nicht müde, mit "New" noch ein spannendes und überraschendes, vielseitiges Soloalbum zu veröffentlichen. Die "Krone" traf ihn in London, wo er bereitwillig über alte Zeiten mit John Lennon, seine neue Frau Nancy und künstlerische Freiheit sprach.
(Bild: kmm)

"Krone": In deinem neuen Song "New" singst du: "Wir können tun, was wir wollen, und wir können so leben, wie wir uns das aussuchen." Kannst du das auch selbst?
Paul McCartney: Du wärst überrascht, wie viele Leute glauben, dass ich nichts machen kann, aber das stimmt so nicht. Ich kann ganz normal ins Kino gehen, wie jeder andere auch. Andere berühmte Leute können das nicht, die müssen sich die Filme zu Hause ansehen. Ich gehe auch gerne einkaufen oder ins Fitnesscenter. Die Menschen kümmert das nicht. Künstlerisch gesehen habe ich sehr viele Freiräume und bin natürlich glücklich darüber. Mit dem Album fühle ich mich auch selbst wie neu und das fühlt sich sehr gut an.

"Krone": Du hast mit insgesamt vier Produzenten an dem Album gearbeitet. Warst du überrascht darüber, wie sie arbeiten, und hast du das Ganze mehr als eine geschlossene denn eine lose Zusammenarbeit gesehen?
McCartney: Da hast du schon recht, ich wollte mir mal ansehen, wie die Zusammenarbeit mit so vielen Produzenten funktioniert. Als ich gesehen habe, wie sie alle agieren, wurden sie aus mehreren Gründen sehr interessant für mich. Paul Epworth, mit dem ich als Erstes gearbeitet habe, experimentiert gerne und hat mir gleich Vorschläge gemacht, als ich das erste Mal das Studio betreten habe. Dann habe ich mich ans Piano gesetzt, dazu gespielt und so entstand der Opener "Save Us".

Mark Ronson hingegen hat ganz anders gearbeitet – er hat meine Songs übernommen und darauf geschaut, dass sie gut klingen und möglichst gut produziert werden. Das war eine ganz andere Arbeit der Zusammenarbeit – es gab einfach nicht so viel Improvisation. Ethan Johns arbeitet sehr organisch. "Hosanna" war der erste Song, den wir zusammen aufgenommen haben, und ich habe einfach so vor mich hin gesungen bis er gesagt hat: "Okay, gehen wir ins Studio und mach das genau so." Ich habe dann nachgefragt, weil ich mir unsicher war, ob die Vocals passen oder die Piano-Spuren klappten, aber er meinte nur, es wäre perfekt. Somit ist der Song sehr verletzlich und ehrlich ausgefallen, weil ich ihn in einer Live-Situation aufgenommen habe. Giles Martin habe ich deswegen gewählt, weil er gerne an den Songs bastelt und viel von seinem Vater in sich hat. Er ist eine Art neuer George Martin. Alle waren wirklich großartig und es war toll, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Außerdem sehen sie alle großartig aus (lacht).

"Krone": Ich finde die Intimität des Albums sehr interessant. Die Technologie hat sich in den letzten 50 Jahren gewaltig entwickelt, aber trotzdem hast du das Album relativ klein und intim gehalten. Warum?
McCartney: Ich mag diese Herangehensweise. Als wir damit angefangen haben, hatte Paul (Epworth; Anm. d. Red.) gerade das kleine Studio zur Verfügung, und außerdem glaube ich nicht, dass die Größe ausschlaggebend ist. Musik kann man überall machen, also haben wir uns einfach in sein Studio begeben, zu arbeiten begonnen und die Songs ausgetüftelt. Es muss nicht automatisch gut sein, wenn du dein Album im größten und teuersten Studio der Welt aufnimmst. Manchmal ist es sehr nett, in kleinen und ruhigen Räumen aufzunehmen. Die großen Sachen machst du live.

"Krone": In deinem Song "Early Days" singst du im letzten Vers über Missverständnisse in der Beatles-Ära. Welche meinst du da genau?
McCartney: Der Song bezieht sich in erster Linie auf mich und John Lennon. Auf die ganzen Erinnerungen an die frühen gemeinsamen Tage. Der Song sagt: "Du kannst mir das nicht wegnehmen, denn ich war da." Das Grundthema, die Erinnerung an frühe Tage, betrifft jeden von uns. Bei jüngeren Semestern geht es vielleicht um ein Radiohead-Konzert. Im letzten Vers bin ich ein bisschen tiefer in die Beatles-Vergangenheit gegangen, weil so viele Menschen der Meinung sind, dass sie über die Zeit damals Bescheid wissen. Dabei wird die Realität aber oft verzerrt.

Was für mich genauso gilt wie für die Beatles oder auch für die Wings: In einem Arbeitsprozess bist du mit wenigen Leuten tätig, die allesamt auf ihre Art und Weise einzigartig sind. Irgendwann vergisst du automatisch, wer welche Passagen geschrieben oder Ideen gehabt hat. Es ist auch egal. Wenn du dann aber beginnst, all die Ideen zu analysieren, was Songschreiber und auch John immer gemacht haben, dann werden schnell Querverweise hergestellt. Ich sage dann, dass ich einfach nur den Song geschrieben habe und nichts weiter. Da kann dann die Realität schnell verzerrt werden und daraus entsteht oft die Geschichte. Ein Beispiel? Der britische König Harald soll ursprünglich nicht durch einen Pfeil, der durch sein Auge ging, gestorben sein – heutige Darstellungen sagen uns aber das Gegenteil.

"Krone": Ich finde, dass der Song von einem traurigen Standpunkt aus geschrieben wurde.
McCartney: Es ist gut, traurig zu sein. Diese Erfahrungen haben wir in unserem Leben schon alle gemacht, es wäre also dumm, immer nur über alles zu lachen. Songs zu schreiben ist eine gute Form, solche traurigen Momente zu überprüfen. "Early Days" startet mit mir und John, schwarz gekleidet, wie wir mit Gitarren auf unseren Rücken die Straße entlanggehen. Das ist ein Bild, an das ich mich genau erinnere und das ich noch immer genau abrufen kann. Dann erinnerst du dich aber auch daran, dass es nicht immer einfach war.

Manchmal haben wir so hart gearbeitet, dass wir kaum zum Schlafen kamen und fast schon verrückt geworden wären. Die Leute glauben oft, die Beatles wären immer erfolgreich gewesen – das stimmt aber nicht. Bei unseren ersten Konzerten mussten wir die Leute erst auf unsere Seite ziehen und selbst besser werden. Das war sehr schwierig. Das waren manchmal schon stressige und auch traurige Zeiten, aber rückblickend lachst du darüber und machst Witze. Darum geht es auch – manchmal musst du den Schmerz in Lachen verwandeln. Das Schöne an den Beatles, den Wings und auch am jetzigen Projekt ist die Bandsituation – dort hast du automatisch viel zu lachen. Meine jetzige Band sind alles lustige Jungs und wir sehen die Sachen immer von der humoristischen Seite. Aber wir haben auch schwierigere Situationen, es ist nicht immer alles leicht. Dann lacht man halt darüber, denn man muss ja sowieso durch. Das gehört zum Menschsein dazu.

"Krone": "New" ist dein insgesamt 49. Album und in einem Interview mit "Emmy" hast du gesagt, dass du dich nicht an alles erinnern kannst. Wie verhinderst du, dich selbst zu wiederholen?
McCartney: Du versuchst einfach nur, dich beim Songschreiben nicht zu wiederholen. Wenn du dabei irgendwie an deine Vergangenheit denkst, musst du sofort stoppen und überlegen, ob du das nicht schon mal verwendet hast. Da musst du durch. Ich kann mich noch an unsere Anfänge bei den Beatles erinnern, als Ringo Starr ganz aufgeregt und vorfreudig mit einer Idee ankam und wir ihn dann jäh enttäuschen mussten: "Nein, das ist doch ein Bob-Dylan-Song" (lacht). Da muss man natürlich vorsichtig sein und auch den Freunden vertrauen. Wenn du meinst, der Song wäre großartig, aber er kommt ihnen bekannt vor, dann lieber noch einmal drüber gehen.

"Krone": Bist du froh, dass du die Möglichkeit hast, deine hellen als auch dunklen Momente in Songs verarbeiten zu können?
McCartney: Ich glaube, die eine Gemeinsamkeit, die alle Songschreiber haben, ist die Vergangenheit. Wenn du jetzt schnell drüber nachdenkst und an Songs von anderen Menschen denkst – auch wenn sie über die Gegenwart und die Zukunft schreiben - es gibt einen großen Teil, der sich mit der Vergangenheit befasst. Für mich ist das besonders wichtig, denn ich genieße den Luxus, eine so tolle Erinnerung zu haben und diese zu erforschen.

Beim Song "Early Days" schaue ich wirklich tief in die Vergangenheit und auf "New" konzentriere ich mich auf die Gegenwart – das sind zwei komplett verschiedene Paar Schuhe. Ich mag das aber, denn ein Song wie eben "Early Days" bringt John ein Stück wei, dass ich viele Gefühle und Emotionen der Vergangenheit in meinen Songs einsetze, aber ich glaube nicht, dass ich damit allein dastehe. Es ist ein Teil des Songschreiber-Charakterzugs.

"Krone": Du schreibst so viele Songs, dass eine Menge davon übrig bleiben. Wie entscheidest du dann, welche auf das Album kommen?
McCartney: Das ist eine gute Frage. Bei mir ist es so, dass ich wieder mehr Songs hatte, als auf dem Album Platz haben. Ich wähle dann die aus, wo ich glaube, dass ich sie noch besser machen kann. Ich frage mich dann, warum ich die anderen Songs nicht mag. Sind die Texte nicht gut genug, passt der Chorus nicht? Es ist interessant, noch einmal alles durchzugehen und draufzukommen, dass ich vielleicht einen neuen Chorus brauche, um den Song gut zu machen.

"Krone": Warum hast du sechs Jahre bis zu einem neuen Album gebraucht und wovon wurdest du inspiriert?
McCartney: Es hat so lange gedauert, weil ich auch andere Dinge zu tun hatte. Ich hatte auch andere Angebote, die mich interessiert haben. So hat mich jemand gefragt, ob ich die Musik für das New Yorker Ballett komponieren möchte – natürlich war das interessant für mich. Das braucht auch Zeit, so etwas kann man nicht über Nacht machen. Dann hatte ich die Idee, die Songs die ich als Kind hörte, von der Generation meines Vaters einzuspielen. Das war mit vielen schönen Erinnerungen verbunden. Also habe ich "Kisses On The Bottom" eingespielt und mit Leuten wie Diana Krall gearbeitet. Außerdem habe ich auch getourt und brauchte eine Pause.

Inspiriert wurde ich von meiner Frau Nancy. Ich hatte also Zeit und eine neue Liebe in meinem Leben. Sie war die meiste Zeit in New York und aufgrund der Zeitverschiebung war ich meist fünf Stunden vor ihr wach. Ich habe meine kleine Tochter zur Schule gebracht, kam zurück und schrieb einen Song. Als ich damit fertig war, wusste ich, dass ich sie anrufen konnte, um ihr den Song vorzuspielen. Das war eine hervorragende Erfahrung.

"Krone": Ist es für dich auch ein Abenteuer, mit jüngeren Musikern zusammenzuarbeiten?
McCartney: Ich fühle mich nicht berühmt. Ich habe immer darauf geachtet, nicht in so etwas reinzufallen und sehr normal zu agieren. Ansonsten würde ich jetzt hier sein und euch allen sagen, dass ihr es nicht verdient, im selben Raum mit mir zu sitzen (lacht). So etwas habe ich nicht nötig. Wenn ich mit Leuten zusammenarbeite, die vielleicht Angst haben, mir ihre ehrliche, kritische Meinung kundzutun, sage ich immer: "Schau her, wir starten jetzt bei null und sind alle einzigartig. Ich erzähle dir meine Idee, du mir deine - und wenn deine besser ist, dann nehmen wir sie." Bei diesem Album wollten die Produzenten, dass meine Vocals perfekt klingen, und ich wollte es auch nicht versauen. Da habe ich sie auch ermutigt, mir ganz offen und ehrlich ihre Meinung zu sagen.

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