Vom Winde umweht

So ist das mit der Aerodynamik am Auto

Motor
21.09.2013 15:41
Luftwiderstand, cW-Wert – wohl jeder Autofahrer kennt diese Begriffe. Doch was sich wirklich dahinter verbirgt, das ist kaum jemandem bekannt. Denn die Aerodynamik eines Fahrzeugs birgt viele Überraschungen und Geheimnisse.
(Bild: kmm)

Es gibt Fragen, bei denen die Antwort glasklar erscheint: Zum Beispiel die, ob ein großer Lastwagen oder ein moderner Formel-1-Bolide den besseren cw-Wert und damit einen geringeren Luftwiderstand aufweist. Grundsätzlich steht ein Lkw sicher nicht sehr gut da – das bislang aerodynamischste Großserienauto der Welt, der Mercedes CLA BlueEfficiency, hat einen cW-Wert von 0,22, dicke Laster kommen auf 0,6 bis 0,8. Ein Formel-1-Auto wiederum sieht sportlich aus und ist es auch, in Sachen Luftwiderstand wirkt es jedoch wie die sprichwörtliche Schrankwand. Die cW-Werte des Starterfeldes liegen aktuell bei etwa 1,2, was dem Niveau eines Oldtimers wie dem ab 1908 gebauten Model T von Ford entspricht.

Grund für die schlechten Werte: Moderne Formel-Rennwagen sollen nicht einfach nur schnell durch den Wind schlüpfen. Sie benötigen vielmehr vor allem Anpressdruck. Die Luft soll also mit aller Kraft auf Spoiler und Verkleidungen drücken, damit die Fahrer möglichst schnell um die Kurven kommen. Beim Straßenauto sind die Anforderungen völlig andere: Hier will man dem Wind möglichst wenig Widerstand bieten, um den Verbrauch zu senken und höhere Geschwindigkeiten auf der Geraden zu erlauben.

cW ist längst nicht alles
Fragt man sich nun, was der viel zitierte cW-Wert eigentlich ist, dann lautet die Antwort jedoch: ein Anhaltspunkt, nicht mehr und nicht weniger. cW setzt sich aus dem c für Konstante und dem W für Widerstand zusammen. Es handelt sich dabei um eine sogenanntes "dimensionsloses Maß", also eine Zahl, der keine physikalische Größe zugeordnet werden kann. Laut Rupprecht Müller vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg bezeichnet der Wert in erster Linie "die Qualität einer Form", die einem Widerstand wie der Luft ausgesetzt wird. "Der cW-Wert ist vor allem eine Beurteilungsgröße, um die Dinge vergleichbar zu machen."

Daher gilt der cW-Wert zwar als Indikator für die Aerodynamik eines Autos, doch er ist im Grunde nur ein Teil der gesamten Wahrheit. Soll tatsächlich der Strömungswiderstand errechnet werden, also die Kraft, die dem Auto durch die Luft entgegengesetzt wird, dann ist weiteres Wissen notwendig: Die Geschwindigkeit des Autos muss eingerechnet werden, dazu weitere Werte wie die Dichte der Luft.

Weniger Stirnfläche = besser
Ist das an sich schon kompliziert genug, kommt bei der Berechnung des gesamten Strömungswiderstandes eines Fahrzeugs noch ein weiterer Faktor hinzu: die Stirnfläche. Das ist jene Fläche, die als Schatten auf einer Wand erscheint, wenn das Auto genau von vorne mit einem Scheinwerfer angestrahlt wird.

Die Kombination der Daten von cW-Wert und Stirnfläche (A) liefert das aussagekräftigste Ergebnis bei der Messung von Fahrzeugen: Das Maß der Stirnfläche in Quadratmetern wird daher mit dem cW-Wert genannten Luftwiderstandsbeiwert multipliziert, aus cW und A entsteht dann der Wert "cW x A".

Wie sich cW-Wert und Stirnfläche (A) gegenseitig beeinflussen, das erklärt Daimler anhand der Entwicklung des Spitzenmodells des Hauses – der S-Klasse. Das erste Modell, das hier gezielt in Hinblick auf die Aerodynamik entwickelt wurde, war die 1979 erschienene Baureihe W 126. Nach langer Detailarbeit erreichte man bei der einen cW-Wert von 0,359 und damit einen Spitzenwert. Die Stirnfläche (A) des Autos maß 2,1283 Quadratmeter, was multipliziert mit dem cW-Wert einen Gesamtwiderstand (cW x A) von 0,7641 ergab.

Höherer Luftwiderstand trotz besserem cW-Wert
Nachfolger des W 126 wurde im Jahr 1991 die Baureihe W 140, die vor allem dadurch unvergessen blieb, dass sie wegen ihrer gigantischen Ausmaße auf keinen Autozug und in kaum eine Garage passte. Was sich auch an der Stirnfläche zeigte, die mit 2,39 Quadratmetern deutlich größer ausfiel. Also musste man noch einmal mehr am cW-Wert feilen, um den Strömungswiderstand des Trumms zu verringern. Man neigte die Windschutzscheibe und die Frontpartie stärker, verkleidete den Unterboden und setzte flächige Radzierblenden ein. Das verringerte den cW-Wert auf 0,30. Erst diese Kunstgriffe merzten den Nachteil der großen Stirnfläche aus, der Gesamtwiderstand sank auf 0,717.

Die Maßnahmen von Daimler mögen die Vermutung zulassen, dass die Verbesserung des Luftwiderstandes recht simpel ist: je glatter und weniger zerklüftet eine Karosserie, desto weniger drückt der Wind dagegen. Tatsächlich ist auch das komplizierter – ein Auto wird in Sachen Windschlüpfrigkeit immer nur einen Kompromiss darstellen.

Wie ein perfekt aerodynamischer Körper aussieht, das gibt die Natur vor. Doch diese Formen lassen sich eben nur bedingt auf den Autobau übertragen. Ein Pinguin etwa kommt auf einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,03, noch effektiver ist ein Tropfen mit einem Wert von 0,02. Das Optimum also wäre ein tropfenförmiges Auto, mit dem schon 1921 ein gewisser Edmund Rumpler experimentierte. Dessen Tropfenwagen kam zwar auf einen cW-Wert von nur 0,28, doch er zeigte auch, dass sich diese Form nur bedingt zum Beispiel mit dem Wunsch nach einem geräumigen Innenraum vereinen lässt.

Aerodynamik vs. Nutzbarkeit
Insgesamt gilt laut Professor Jochen Fröhlich von der Technischen Universität Dresden: Je aerodynamischer ein Auto ist, desto schlechter kann man damit fahren. Oder umgekehrt: Wenn es nutzbar bleiben soll, wird es nie aerodynamisch optimal sein. Die Konstrukteure sind daher immer auf der Suche nach dem besten Kompromiss aus Effektivität und Nutzbarkeit. Sie glätten Fahrzeugfronten, montieren Stoßfänger möglichst bündig, damit der Wind dort nicht verwirbelt. Außerdem optimieren sie Abrisskanten am Heck, über die die Luft möglichst verwirbelungsfrei nach hinten verschwindet. Gleichzeitig müssen sie darauf achten, dass die Passagiere mühelos einsteigen können und ihnen genügend Platz zur Verfügung steht.

Dass man sich überhaupt immer wieder derart viel Mühe bei der Verringerung des Luftwiderstandes gibt, das liegt an den Vorteilen, die damit verbunden sind. Der positive Einfluss steigt mit dem Tempo. Je schneller also das Auto fährt, desto höher ist der Effekt. Schon bei Tempo 60 hat der Luftwiderstand den gleichen Einfluss wie der Rollwiderstand der Reifen. Bei Vollgas auf der Autobahn werden 90 Prozent des Sprits verbrannt, um gegen den Wind anzukommen.

Es geht bei der Optimierung der Aerodynamik aber nicht nur um das Blechkleid an sich, sondern auch um zahlreiche nebensächlich wirkende Details. "Wenn Sie während der Fahrt die Hand aus dem Fenster halten, dann merken Sie, wie der Wind dagegen drückt. Ziehen Sie die Hand wieder ein, ist dieser Widerstand weg", fasst Professor Jochen Fröhlich das Grundprinzip des Luftwiderstands zusammen. Die Hand ist dabei aber auch ein Bild für diverse Anbauteile, die Aerodynamikern ein Dorn im Auge sind. "Am liebsten würde man daher auf Antennen und vor allem auf Außenspiegel verzichten."

Insgesamt ist die Aerodynamik für Serienfahrzeuge laut Professor Fröhlich mittlerweile ziemlich ausgereizt, die Fortschritte werden in immer kleineren Schritten erreicht. Eine Mercedes E-Klasse der Baureihe W 124 etwa rollte 1984 mit einem cW-Wert von 0,28 an, bis zur Baureihe W 212 der E-Klasse aus dem Jahr 2009 sank dieser Wert gerade einmal auf 0,25. Andererseits erreichte ein Opel Calibra schon 1990 mit einem cW-Wert von 0,26 den gleichen Luftwiderstandsbeiwert wie eine Mercedes A-Klasse aus dem Jahr 2012.

Theoretisch gilt ein cW-Wert von 0,20 für ein tatsächlich nutzbares Auto als Grenze des Machbaren. Möglich wäre eine deutliche Verbesserung unterhalb dieser Schwelle wohl nur dann, wenn man sich von bekannten Traditionen trennt: Bisher ist ein Auto überwiegend ein Gegenstand ohne bewegliche, sich der Fahrsituation anpassende Teile. Flugzeuge dagegen passen die Strömung der Luft mit diversen beweglichen Klappen den Anforderungen an, was man in der Autowelt bislang vor allem in Form ausfahrbarer Heckspoiler kennt. Dieses Prinzip müsste also verfeinert und deutlich umfassender eingesetzt werden, um weitere Fortschritte zu erzielen.

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