Die "Krone" vor Ort

Fall Kührer: Pulkau und sein dunkles Geheimnis

Österreich
14.09.2013 16:47
Ein Mädchen verschwindet, und nichts ist mehr, wie es einmal war. Was die Leute in Julia Kührers Heimatort Pulkau in Niederösterreich denken und hoffen - ein "Krone"-Lokalaugenschein.

Mit gesenktem Kopf und ohne zur Seite zu blicken, ziehen zwei Bestatter am Grab mit der Nummer 110 vorbei. Einer der beiden zieht sich die schwarze Schirmkappe in die Stirn, um sich vor dem gleichförmig herunterrieselnden Sprühregen zu schützen. Zwei Begräbnisse gibt es an diesem ersten Herbstnachmittag des Jahres auf dem über der Stadt auf einem Hügel gelegenen Friedhof in Pulkau noch.

Das Grab von Julia Kührer ist mit weißen und gelben Blumen geschmückt, ein Dutzend Keramikengel hält Wache. Eine Tonfigur faltet die Hände, eine andere stützt sich trauernd auf eine Steinkugel. "Du fehlst uns", hat jemand mit einem Filzstift daraufgekritzelt.

"Die Jungen im Ort verheimlichen was"
Die drei Worte sind so etwas wie der Leitspruch der 1.700-Seelen-Gemeinde im Weinviertel. Seit dem Verschwinden von Julia haben sich dunkle Schatten über die Gemeinde gelegt. Alles hat einfach viel zu lange gedauert. 2006 ist das Mädchen aus dem Schulbus gestiegen und kam nie zu Hause an. Vier Jahre später erst wurde seine Leiche gefunden. 2012 das Begräbnis und nun der Prozess. Oder wie alle betonen: "Der Indizienprozess." Denn Beweise, dass mit Michael K. der "Richtige" auf der Anklagebank sitzt, gibt es nicht.

Für seine wenigen verbliebenen Freunde ist er auch heute noch der "DVD-Michi", der den Kids eine Anlaufstelle geboten hat. Für die Stammtischfreunde beim "Jagawirt" bleibt er das, was er immer war – ein "Weaner Bazi". "Ich glaube, dass es vor einem Urteil noch die eine oder andere Überraschung geben wird", deutet Franz Berwein an und erntet auch von der Kartenrunde am Nachbartisch zustimmende Blicke. "Die Jungen im Ort verheimlichen doch was."

Unzählige Gerüchte machen die Runde. Von Drogenpartys, die außer Kontrolle geraten seien, wird gemunkelt. Immer wieder taucht dabei der Name Thomas auf. Geerbt soll er haben, der Ex-Freund von Julia, der jetzt wegen eines Kollapses im Spital liegt und deshalb bisher nicht als Zeuge vor Gericht aussagen konnte. Und Cannabis soll er verkauft haben.

"Was, wenn der wahre Täter frei herumläuft?"
Ein Pensionist vermutet gar einen Deal zwischen dem jungen Mann und dem von Geldnöten geplagten Verdächtigen. Angeblich soll das alles in der Videothek ausgemacht worden sein. Beweise? Fehlanzeige! Auch das Geschäft gibt es nicht mehr. Der ehemalige DVD-Shop ist heute ein Laden für Schulsachen. In der Auslage sind "Hello Kitty"-Federpennale arrangiert. Im Inneren des Geschäfts, wo es 2006 zur Bluttat gekommen sein könnte, erinnert nichts mehr an den Vorbesitzer. "Er hat ja auch alles mitgenommen", meint die neue Eigentümerin der Liegenschaft, die nur einen Steinwurf vom Einfamilienhaus der Familie Kührer entfernt ist, "außer den Regalen."

An der Bushaltestelle auf dem Hauptplatz, gleich gegenüber dem Gehsteig, wo Julia am 27. Juni 2006 zuletzt gesehen wurde, bringt eine Angestellte das allgemeine Unbehagen im Ort auf den Punkt: "Was ist, wenn der wahre Täter frei herumläuft?" Da ist auch Angst: "Er könnte jederzeit wieder zuschlagen!"

Pfarrer betet für gerechtes Urteil
Keine hundert Meter entfernt steht der Pfarrhof von Pulkau. Vor dem dortigen Jugendzentrum sitzen gelangweilte Teenager und ziehen an ihren Zigaretten, von drinnen ertönt ein Schlagzeug. Eine Band namens Humming Birds probt für das Abendkonzert. "Wir machen hier viel für die Jugendlichen", schildert Seelsorger Jerome Ciceu. "Aber die Stimmung ist nicht mehr so wie früher, als sie noch hier war." Auf dem Altar der Kirche entzündet der Geistliche eine Kerze. Er betet für Gerechtigkeit beim Prozess-Urteil. Für Pulkau. Und für Julia Kührer, die früher einmal Ministrantin war.

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