Nach Bienen-Eklat

Bundesamt: Daten zu Pestizid-Einsatz “Amtsgeheimnis”

Österreich
03.05.2013 12:30
Sind Schädlingsbekämpfungsmittel schuld am Bienensterben? Darüber streiten Politik und Wissenschaft in Österreich seit Tagen. Doch nicht nur die Auswirkungen der Pestizide auf das Ökosystem sind unklar, auch über die Menge der eingesetzten Mittel herrscht Rätselraten. "Amtsgeheimnis", sagt das Bundesamt für Ernährungssicherheit und rückt die Daten nicht heraus. Umweltminister Nikolaus Berlakovich mauerte zunächst ebenfalls, kündigte dann jedoch eine Gesetzesnovelle an, um "absolute Transparenz" zu schaffen.

Schädlingsbekämpfungsmittel aus der Kategorie der Neonicotinoide seien tausendmal giftiger als das berüchtigte Pflanzenschutzmittel DDT, das in den meisten Ländern seit Jahrzehnten verboten ist. Mit dieser Aussage ließ der Bienenforscher Stefan Mandl am Donnerstag aufhorchen (siehe Infobox). Die EU stimmte zuletzt für ein Verbot dreier einschlägiger Pestizide - gegen die Stimme von Berlakovich, der damit einen Polit-Streit entfachte.

Soll ÖVP-Minister Berlakovich zurücktreten? Voting in der Infobox.

Bundeskanzler Werner Faymann bezeichnete das Abstimmungsverhalten seines Regierungskollegen als dessen "eigene Entscheidung" (siehe Infobox). Die SPÖ will nun den Koalitionszwang aufheben und damit beim nächsten Agrarausschuss des Parlaments am 15. Mai ein Verbot in freier Abstimmung durchsetzen. Die Opposition geht einen Schritt weiter und fordert den Rücktritt Berlakovichs.

Grüne: "Freibrief" für chemische Industrie
Der Agrarsprecher der Grünen, Wolfgang Pirklhuber, schoss sich auch auf das Bundesamt für Ernährungssicherheit ein. Dort will man Daten über den Einsatz der Pestizide in Österreich unter Berufung auf die Amtsverschwiegenheit nicht herausrücken. Für Pirklhuber ein Affront, berichtete das Ö1-"Morgenjournal" am Freitag: "Den Bauern nötigt man alle möglichen Informationen ab, von den Ohrmarken der Tiere angefangen bis zu jedem Liter Milch, den sie direkt vermarkten. Aber die chemische Industrie hat einen Freibrief, in Österreich Wirkstoffe in Verkehr zu bringen, ohne dass die Öffentlichkeit informiert wird, wie viel diese Wirkstoffe ausmachen und wie es konkret in der Anwendung aussieht", so der Grüne.

Pirklhuber schätzt die Menge der in Umlauf befindlichen Neonicotinoide auf mehrere Tonnen pro Jahr. Die Größenordnung habe sich ihm aus Beratungen im Parlament erschlossen: "In Summe sind im Jahr 2011 etwa zehn Tonnen dieser Neonicotinoide in Verkehr gebracht worden. Zehn Tonnen dieser Gifte, von denen wir inzwischen wissen, dass sie hochtoxisch sind, dass sie ähnlich wirken wie krebserregende Stoffe, dass sie auf Amphibien, auf Wasserlebewesen ganz hohe Wirkung haben und dass sie selbstverständlich die Bienen massiv schädigen und töten können", kritisiert Pirklhuber.

Bundesamt: "Interesse an Geheimhaltung überwiegt"
Das Bundesamt wollte diese Zahlen nicht bestätigen. Hersteller und Händler müssen ihre Daten zwar exakt melden, allerdings: "Bei Abwägung der Interessen überwiegt jenes der Meldepflichtigen an der Geheimhaltung der Information", heißt es in einem Schreiben an das Parlament.

Zu Mittag wagte sich Minister Berlakovich selbst aus der Deckung: Er kündigte im Ö1-"Mittagsjournal" eine Novellierung des Umweltinformationsgesetzes an, um "absolute Transparenz" zu schaffen. Die Bevölkerung solle wissen, welche Menge an Pestiziden in Umlauf ist. Nach derzeitiger Gesetzeslage stünden jedoch "schützenswerte betriebliche Interessen" einer Veröffentlichung genauer Daten entgegen, betonte auch der ÖVP-Politiker. Berlakovich bezifferte die derzeitige Menge allerdings auf rund zehn Tonnen pro Jahr, "Tendenz fallend". Dabei bezog er sich auf Schätzungen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.

Berlakovich: "Bienen wichtigster Partner"
Der Minister betonte, er sei sowohl für den Schutz der Bienen, die er als "wichtigsten Partner der heimischen Landwirtschaft" bezeichnete, als auch der Bauern zuständig. Solange eine groß angelegte Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit nicht fertig sei, sei nicht erwiesen, dass die umstrittenen Pestizide tatsächlich für das Bienensterben verantwortlich seien. Insbesondere kleinere landwirtschaftliche Betriebe würden die Mittel einsetzen, etwa im Kampf gegen den Maiswurzelbohrer. Ein Verbot würde kleinere Betriebe enorm gefährden.

Die Vorwürfe, er handle wie ein Lobbyist der Chemieindustrie, seien "völlig lächerlich", so Berlakovich. In der eigenen Partei sei das Thema ausdiskutiert, die scharfen Töne der politischen Konkurrenz führte er auf den beginnenden Wahlkampf zurück.

FPÖ will Rücktritt von "Giftminister"
Rücktrittsaufforderungen an die Adresse Berlakovichs kamen aus der FPÖ. Umweltsprecher Norbert Hofer bezeichnete den Verweis auf das Amtsgeheimnis als "grotesk" und einen "klaren Missbrauch der Kompetenzen des Ministers". Dieser müsse eine parlamentarische Anfrage zu diesem Thema auf Punkt und Beistrich beantworten, es gebe hier definitiv kein Amtsgeheimnis.

"Ich frage mich, wie und mit welchen Mitteln die Pestizidlobby den Minister dazu gebracht hat, sich bei der letzten Abstimmung zu den Bienengiften gegen die Interessen Österreichs zu stellen, und welches Pferd ihn nun auch noch geritten hat, den Verbrauch von Pestiziden in Österreich unter ein Amtsgeheimnis stellen zu wollen. Der Giftminister ist rücktrittsreif und eine echte Belastung für Österreich geworden", so Hofer. Er forderte Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger auf, den "zum Lobbyisten für Pestizidkonzerne mutierten Minister von der Bürde seines Amtes zu befreien".

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