Zu viele Untaugliche

“Krone”-Serie: Fehlt der Wehrpflicht die Gerechtigkeit?

Österreich
09.01.2013 17:00
Ein "passendes" ärztliches Attest, Sportverletzungen, eine Verkrümmung der Wirbelsäule: Immer mehr junge Österreicher können den Dienst an der Waffe nicht antreten, bestätigt das Verteidigungsministerium. Zusätzlich steigt auch jedes Jahr die Zahl der Zivildiener - nur noch etwas mehr als ein Drittel der jungen Männer rückt tatsächlich ein. "Das ist doch längst nicht mehr gerecht", sagt etwa Peter Pilz von den Grünen. Teil 5 der "Krone"-Serie "Schlacht ums Heer".

Selbst die deutliche Verkürzung des Pflichtdienstes seit 1971 kann diese Entwicklung schon lange nicht mehr stoppen: Die Zahl der jungen Österreicher, die wirklich in die Kasernen einrücken, nimmt ständig ab. In Wien sind bereits mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs lieber beim Zivildienst. "Ab dem Jahr 2016 würde es auch österreichweit mehr Zivildiener als Jungsoldaten geben. Verfassungsrechtlich wäre dann das System der allgemeinen Wehrpflicht in der heutigen Form aus Gerechtigkeitsüberlegungen ohnehin nicht mehr haltbar", verweist ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf die Fakten.

2011 rückten 38 Prozent der Stellungspflichtigenein
So sind bei einem Jahrgang (2011) von 47.000 Stellungspflichtigen 2.000 aufgrund eines Auslandsaufenthalts nicht zur Stellung erschienen, 13.000 waren untauglich, und 14.100 wählten den Zivildienst - 17.900 Mann blieben für das Bundesheer, also nur noch 38 Prozent.

"Wir wissen doch alle, dass es sich viele eben richten können, nicht sechs Monate in der Kaserne abzusitzen. Und dafür gibt's ja auch genügend Beispiele aus der Politik", hofft Pilz, der Wehrsprecher der Grünen, auf eine lebhafte Diskussion über die Gerechtigkeit der Wehrpflicht. "Eine Wehrpflicht-Gerechtigkeit gibt's meiner Meinung nach nämlich schon lange nicht mehr. Darum muss jetzt auch das System geändert werden. Und speziell die ÖVP-Funktionäre wissen ja, wie man der von ihnen so oft gepredigten 'Schule zur Solidarität' entkommt", spielt Pilz auf eine ganz besondere Liste an, die auch der "Krone" vorliegt.

"ÖVP-Mangel" in Kasernen
So waren tatsächlich auffallend viele ÖVP-Politiker für den Dienst an der Waffe untauglich: etwa ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch (Knieverletzung), Wiens ÖVP-Obmann Manfred Juraczka (Herzmuskelentzündung), ÖVP-Seniorenbund-Obmann Andreas Khol (Hautausschlag), ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer (Nierensteine), ÖVP-Ex-Minister Martin Bartenstein (Bluthochdruck), ÖVP-Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer (Nierenerkrankung) oder auch ÖVP-Ex-Verteidigungsminister Werner Fasslabend (Nebenhöhlen-Operation).

"All jene, die noch den Wehrdienst antreten müssen, wissen jedenfalls: Sie treffen in den sechs Monaten in der Kaserne kaum einen ÖVP-Funktionär", fordert Pilz "doch mehr Ehrlichkeit" von Vizekanzler Michael Spindelegger. "Das alte System der Wehrpflicht hat sich doch schon lange überholt." Und die wirklich sinnvollen Aufgaben für die jungen Männer, die dann doch noch zum Bundesheer einrücken müssen, sind rar.

Skurrilste Jobs beim Bundesheer
Der größte Feind der Präsenzdiener: die Langeweile. Die "Krone" erfragte dazu die skurrilsten Jobs: 

  • Die menschliche Mauer: 100 Rekruten pro Jahr waren für die Bewachung des Truppenübungsplatzes Seetaler Alpe abgestellt. Jetzt sind sie arbeitslos: Es wurde ein Zaun errichtet. 
  • Sicher keine militärische Verwendung: Pfarrgehilfen. Sie unterstützen den Seelsorger bei den Messen. 
  • Zwei Grundwehrdiener müssen das Garde-Pony in der Wiener Maria-Theresien-Kaserne betreuen. Vom militärischen Rang ist das Pony den Rekruten übergeordnet. Also: Brav salutieren, sonst gibt's Strafdienst (siehe Infobox). 
  • Die Rolle als Kanonenfutter: In Ausbildungszentren übernehmen Rekruten bei den Übungen des Berufskaders die Statistenrolle. 
  • Oder "Mädchen für alles": Da es in einigen Kasernen zu viele Grundwehrdiener gibt, wurde kurzerhand die Funktion "Rekruten zur besonderen Verfügung" erfunden. Die Übersetzung dazu: Mistkübel entleeren, Gänge kehren und Vorhänge aufhängen - aber ja nicht Zettel kopieren. Denn dafür gibt's schon eine eigene Einheit.

Teil 6: Wie die Affäre rund um die Eurofighter das Bundesheer in Verruf brachte

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