"Luck of the silly"

Ernst Strassers “Agentenjagd” zur Gänze aufgeführt

Österreich
29.11.2012 15:30
Im Bestechungsprozess gegen den ehemaligen Innenminister und EU-Abgeordneten Ernst Strasser ist am Donnerstag im Wiener Straflandesgericht jener Teil der "Agentenjagd", der von Kameras festgehalten worden war, vollständig aufgeführt worden. In den Videos, die die als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten heimlich mitgeschnitten hatten, gewährt Strasser teils tiefe Einblicke in seine Tätigkeit als EU-Parlamentarier und "Lobbyist". "It's luck, the luck of the silly", erklärt er etwa in gewohnt holprigem Englisch die Kunst des Lobbying.

Jeder lege Wert auf zufriedene Klienten ("Everybody likes a lucky client"), erklärte Strasser in den Videoaufzeichnungen bei einem Frühstück, wobei er mit einer entsprechenden Handbewegung darlegte, es gebe solche, denen das Wasser bis zum Hals stehe ("They come when the water is to here"). In diesem Zusammenhang kritisierte er scharf die Absicht der EU-Kommission, Werbung auf Zigarettenpackungen zu verbieten ("There is some ideas that every cigarette box has to be sold only with the white"), was ihn zur Bemerkung "I think they are living on the moon" veranlasste.

Vom EU-Parlament zu behandelnde Themen wie das Asylwesen, die länderübergreifende Zusammenarbeit der Polizei und das Schengen-Abkommen seien "not from interest for a lot of clients, so this is my, if you want to say, this is my hobby", so der ehemalige Innenminister im O-Ton.

"Nobody without the pope can speak to him"
Bei Schwierigkeiten mit der Kommission brauche es jemanden, der mit denen rede: "Go golf with him or whatever, yes invite him to Wimbledon." Michel Barnier, den Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, bezeichnete Strasser als mächtig ("mighty"): "I think nobody without the pope and some others can speak to him."

Jemand aus Österreich könne daher nicht so einfach zu ihm kommen und einen Vorschlag unterbreiten: "And so normally he doesn't speak with this small player like me, this MEP (Abgeordneter, Anm.) from Austria, where the hell is Austria, yes." Daher müsse man sehr gut vorbereitet ("prepare their paper on the page") auf Menschen wie ihn zukommen und ihm einen konkreten Vorschlag unterbreiten ("Hey Mr. Commissioner, I want to speak to you for two minutes, here is the paper").

Strasser mit "good news" für Lobbyisten
"Good news" kündigte Strasser dann zu Beginn eines weiteren Treffens mit den vorgeblichen Lobbyisten im Februar 2011 in Straßburg an. Er gab ihnen zu verstehen, sich deren Änderungswünschen hinsichtlich einer vom EU-Parlament zu behandelnden Elektroschrott-Richtlinie angenommen zu haben.

Er habe sich in dieser Sache mit dem zuständigen deutschen EU-Abgeordneten Karl-Heinz Florenz auf drei, vier Bier getroffen und auch Kontakt mit österreichischen und deutschen Organisationen aufgenommen (Florenz hatte bei seiner Befragung am ersten Verhandlungstag geleugnet, sich mit Strasser auf ein Bier getroffen zu haben, Anm.).

"We need a border of the size of the shop"
Im weiteren Gesprächsverlauf erkundigte sich Strasser, ob der angebliche Klient der vermeintlichen Lobbyisten mit einer Begrenzung der geplanten verpflichtenden Rücknahme von Elektronikschrott auf Geschäfte ab einer gewissen Größe zufrieden sei: "Is your client lucky, when we get an expansion like say, for all shops ten, fifteen square meters, is it too small? We need a border of the size of the shop."

Strasser versprach jedenfalls, sich vor der zweiten Lesung im Parlament für einen Abänderungsantrag starkzumachen. Als er in diesem Zusammenhang von der Journalistin Claire Newell, die sich ihm gegenüber "Victoria" nannte, den Namen des zuständigen englischen Ministers wissen wollte, musste diese passen - ein für eine Lobbyistin eigentlich außergewöhnlicher Fauxpas. Strasser ging darüber ohne Nachhaken hinweg.

"I have to check"
Beim nächsten Treffen am 2. März in Brüssel betonte Strasser, die vom Parlament nunmehr vorgesehene Rücknahmeverpflichtung für Geschäfte mit einer Größe von bis zu zehn Quadratmeter sei verrückt: "Ten is crazy. Did you see a shop that is ten square meters? That's crazy." Auf seine Frage, welche Geschäfte von der Rücknahme von Elektronik-Schrott ausgenommen werden sollten, brachten die vorgeblichen Lobbyisten eine 50-Quadratmeter-Grenze ins Spiel. "I have to check", reagierte Strasser, wobei er im selben Atemzug darauf aufmerksam machte, dass ein offizieller Abänderungsantrag nicht immer hilfreich sei.

Strasser deponierte zudem, er persönlich werde bzw. könne keinen Antrag einbringen. Im Zusammenhang damit hatte er bereits in einem ebenfalls aufgezeichneten Telefonat erklärt, kein Lobbying für Themen betreiben zu wollen, die den Innenausschuss und den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten betreffen. Beiden gehörte Strasser an.

Enthüllungsjournalisten kämen nur "verhüllt"
Fix ist seit Donnerstag, dass die beiden britischen Journalisten, die den Ex-Politiker auffliegen ließen, nicht beim Prozess erscheinen werden. Wie Richter Georg Olschak bekannt gab, teilte ein Anwalt der "Sunday Times", für die Newell und Jonathan Calvert im inkriminierten Zeitraum gearbeitet hatten, per E-Mail mit, die beiden wären nur "bei Wahrung der totalen Anonymität" zu einer Zeugenaussage bereit. Ein "verhüllter" Zeugenauftritt sei "nach der österreichischen Strafprozessordnung aber nicht vorgesehen", erklärte Olschak. Sein Fazit: "Es gibt keine Aussagebereitschaft der Journalisten."

Strasser drohen bis zu zehn Jahre Haft
Die beiden Reporter hatten Strasser eine Videofalle gestellt und ihm - so der Vorwurf der Anklagebehörde - die Bereitschaft entlockt, für ein Honorar von 100.000 Euro jährlich die Gesetzgebung im EU-Parlament zu beeinflussen. Strasser wirft den Journalisten dagegen vor, die Aufnahmen der sechs Treffen "fälschlich und sinnwidrig zusammengefasst" zu haben. Außerdem will er in den beiden Geheimagenten gesehen und sich nur zum Schein auf die Gespräche eingelassen haben, um sie bzw. ihre Hintermänner auffliegen zu lassen.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Dann soll Strasser sich den Fragen des Gerichts stellen, die sich nach der Videoschau ergeben haben. Zudem werden mit den beiden Polizisten, die gegen ihn ermittelten, die ersten Zeugen aussagen. Dem Ex-Politiker, dem die Staatsanwaltschaft Bestechlichkeit vorwirft, drohen im Fall eines Schuldspruchs bis zu zehn Jahre Haft.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele