Obsorge-Debatte

Familienrecht neu ist endlich fertig: “Mama-Veto” fällt

Österreich
10.10.2012 13:36
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Justizministerin Beatrix Karl haben sich nach langen Verhandlungen auf ein neues Familienrecht geeinigt, das Vätern mehr Rechte einräumt. Das Gericht soll künftig die Möglichkeit haben, auch bei strittigen Scheidungen eine gemeinsame Obsorge zu verfügen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das "Vetorecht" der Mütter bei unehelichen Kindern entfällt, erstmals haben Väter ein uneingeschränktes Antragsrecht auf Obsorge. Neuerungen gibt es auch beim Besuchsrecht und dem Namensrecht.

Karl und Heinisch-Hosek freuten sich bei der Präsentation am Mittwoch über einen "Meilenstein". Der Entwurf gehe sofort in Begutachtung und soll mit 1. Februar 2013 in Kraft treten. Man schaffe ein "modernes Familienrecht", das vor allem den Kindern zugutekomme, so die Ministerinnen. Es seien "harte Verhandlungen" gewesen, aber in einer konstruktiven und sachorientierten Atmosphäre, bedankte sich Karl bei Heinisch-Hosek. Die SPÖ-Ministerin meinte wiederum, das Gesetz sei "eine Verbesserung für alle": "Ein wirklich großer Wurf ist gelungen."

Der Begriff des Kindeswohls werde im neuen Familienrecht zum Maß aller Dinge, den Richtern werde eine Entscheidungsgrundlage mit einer "klaren rechtlichen Definition des Kindeswohls" in zwölf Punkten geliefert, erläuterte Karl. Festgehalten sei etwa, dass verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen für das Kindeswohl wichtig seien. Weitere Kriterien etwa eine "angemessene Versorgung" und "Fürsorge, Geborgenheit und der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes".

Sechsmonatige "Abkühlphase" nach Trennung
Bei strittigen Sorgerechtsfällen (auch bei unehelichen Kindern) gibt es künftig eine "Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung". Das Gericht entscheidet dabei für sechs Monate eine vorläufige Lösung. Beide Elternteile sollen in dieser Zeit Kontakt zum Kind haben, wobei rechtlich die bisherige Obsorgeregelung aufrecht bleibt. Das Verhalten während dieser Zeit soll dann in die endgültige Entscheidung des Richters einfließen. Der Richter kann diese Zeitspanne auch verlängern. Ist ein Elternteil beispielsweise gewalttätig, kommt es freilich gar nicht zu dieser Testphase, versicherten die Ministerinnen. Diese Phase soll ein "Anreiz" für die Eltern sein, sich konstruktiv einzubringen, meinte Karl. Die Frauenministerin sieht in der Maßnahme die von ihr geforderte "Abkühlphase" nach einer strittigen Trennung.

Um generell schnellere Verfahren und mehr einvernehmliche Lösungen zu erreichen, soll die Familiengerichtshilfe (quasi "Scheidungs-Begleitung" durch Pädagogen und Psychologen, Anm.) österreichweit ausgebaut werden. Neu geschaffen werden "Besuchsmittler", die darauf achten, ob und wie der Kontakt von beiden Seiten eingehalten wird, und bei Konflikten vermitteln.

"Vetorecht" für Mutter fällt
Geht es um die Obsorge eines unehelichen Kindes, soll das bisher geltende "Vetorecht" der Mutter fallen. Die Obsorge steht derzeit zunächst der Mutter alleine zu. Eine gemeinsame Obsorge muss selbst dann extra beantragt werden, auch wenn die Eltern zusammen leben. Im neuen Entwurf können ledige Väter nun die alleinige oder gemeinsame Obsorge beantragen - auch gegen den Willen der Mutter -, die Entscheidung liegt dann beim Gericht. Besteht Einvernehmen, müssen die Eltern gar nicht mehr zum Gericht, sondern können das gemeinsame Sorgerecht bei persönlichem Erscheinen direkt am Standesamt vereinbaren.

Einigen sich die Eltern nicht auf eine Obsorge-Lösung, hat der Richter dann künftig nicht nur wie bisher die Möglichkeit, einen Elternteil allein mit der Obsorge zu betrauen, er kann auch die gemeinsame Obsorge verfügen - wenn es dem Kindeswohl am besten entspricht. Für Heinisch-Hosek ist das "das Gegenteil einer Automatik", gegen die sie immer aufgetreten ist, denn der Richter entscheide in jedem Fall einzeln.

Neues Namensrecht, Besuchsrecht wird "Kontaktrecht"
Erleichterungen sind auch für Patchworkfamilien geplant: Diese dürfen künftig Dinge der alltäglichen Obsorge aufeinander übertragen, erklärte Heinisch-Hosek, also etwa, eine Entschuldigung für die Schule bei Krankheit unterschreiben. Das gelte auch für Regenbogenfamilien, also Familien mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Flexibler soll auch Namensrecht werden - alle Familienmitglieder können künftig einen Doppelnamen führen. Das neue Namensrecht stärke die Familienidentität, ist Karl überzeugt.

Weitere Neuerung: Das Besuchsrecht wird im Familienrecht zum "Kontaktrecht" und soll künftig besser durchsetzbar werden. Dazu gibt es einen Maßnahmenkatalog, so kann das Gericht beispielsweise einen Besuch bei der Familienberatung anordnen. Die Eltern müssen bei einvernehmlichen Trennungen jedenfalls schon zum Zeitpunkt der Scheidung eine Regelung über das Kontaktrecht treffen.

Altes Gesetz war verfassungswidrig
Der Gesetzesentwurf hatte in erster Linie Verfassungswidrigkeiten im aktuellen Familienrecht zu reparieren. Der VfGH hatte im Sommer die derzeitige Regelung als verfassungswidrig beanstandet, wonach die Obsorge für uneheliche Kinder automatisch der Mutter zusteht - und ein nicht verheirateter Vater nicht einmal Obsorge beantragen kann.

Die Verhandlungen zwischen den beiden Ministerien dauerten längere Zeit an. Heinisch-Hosek wollte zuletzt die Frage der ledigen Väter von der der strittigen Scheidungen trennen. Man dürfe nicht unverheiratete mit verheirateten Vätern gleichstellen.

FPÖ stimmt vorsichtig zu, Kritik von BZÖ und Grünen
Die Opposition hat für die Neuerungen im Familienrecht mehrheitlich Kritik übrig. Die Grünen sind gegen eine "gesetzlich verordnete gemeinsame Obsorge". Nur wenige Verbesserungen erkennt das BZÖ, abwartend reagierte die FPÖ, wo sich Familiensprecherin Anneliese Kitzmüller und FPÖ-Justizsprecher Peter Fichtenbauer vorsichtig zustimmend äußerten. "Im Bereich der gemeinsamen Obsorge ist die Bundesregierung hoffentlich nicht auf halbem Wege stehen geblieben", so die beiden Mandatare. Die FPÖ werde das Familienrechtspaket mit kritischer Erwartungshaltung überprüfen.

"Zu denken, dass eine gesetzlich verordnete gemeinsame Obsorge, auch wenn die Eltern sich streiten, dem Kindeswohl dient, ist absurd und realitätsfremd", meinte hingegen Grünen-Familiensprecherin Daniela Musiol. Die Grünen, die für ein Mutter-zentriertes Recht plädieren, befürworten eine gemeinsame Obsorge nur dann, wenn sich beide Eltern darauf einigen können. "Das Gemeinsame kann nicht per Gesetz verordnet werden", ergänzte Justizsprecher Albert Steinhauser. Erfreut zeigten sich die Grünen dagegen über die Liberalisierung des Namensrechts.

"Nur wenige Verbesserungen für die Kinder" in den ausgehandelten Obsorge-Regelungen sieht BZÖ-Familiensprecherin Ursula Haubner. Die große Chance, dass die gemeinsame Obsorge zum Regelfall werde, sei "leider verpasst" worden. "Es ist traurig, dass nach dem jahrelangen rot-schwarzen Streit ein löchriges Flickwerk herauskommt." Positiv an der Vorlage seien die beschleunigten Verfahren und die Verankerung des Kindeswohls im Gesetz.

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