Koalition einig

“ELGA” kommt fix: Befunde werden ab 2014 digital

Österreich
08.10.2012 13:08
Mit der Elektronischen Gesundheitsakte (kurz: ELGA) wird es nun doch ernst: SPÖ und ÖVP haben sich nach langem Tauziehen auf einen Gesetzesentwurf geeinigt, der am Dienstag vom Ministerrat beschlossen werden soll. Das Gesetz soll 2013 in Kraft treten, ab 2014 soll dann die Umstellung auf digitale Befunde, Arztbriefe und Medikamenten-Verschreibungen beginnen. Wer das nicht will, muss ausdrücklich widersprechen. Offen ist, wie die Ärztekammer auf den Beschluss reagiert. Sie protestierte massiv gegen die von der Politik geplante ELGA-Form.

Das Gesundheitsministerium verspricht den Patienten mit ELGA einen unkomplizierten und sicheren Zugriff auf eigene Befunde, mehr Sicherheit und höhere Behandlungsqualität (durch die bessere Verfügbarkeit der Daten). Ärzten wird die Versorgung mit standardisierten patientenbezogenen Informationen in Diagnostik und Therapie und damit die Vermeidung von Fehlern in Aussicht gestellt. Auch Doppelbefunde und -medikationen mit allen negativen Auswirkungen sollen zurückgedrängt werden.

Digitalisierung beginnt 2014
Der Aufbau des ELGA-Systems, mit dem alle Befunde und gesundheitsrelevanten Dokumente der Patienten elektronisch gespeichert werden sollen, wird sich entgegen dem bisherigen Vorhaben ein wenig nach hinten verschieben, hieß es am Montag bei einer Pressekonferenz von SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger und dem Gesundheitssprecher der ÖVP, Erwin Rasinger.

Erste Schritte zum Aufbau des Systems sollen gegen Ende 2013 gesetzt werden - das Zugangsportal für die zu speichernden Gesundheitsdaten, die Widerspruchsstellen für die Patienten, die ihre Daten ganz oder teilweise nicht gespeichert haben wollen, sowie eine ELGA-Ombudsstelle sollen bis dahin errichtet werden. Bis Ende 2014 soll der Hauptverband der Sozialversicherungsträger die "eMedikation" - also die Speicherung von Arzneimitteln zur Verhinderung von Wechselwirkungen und Mehrfachverordnungen - einrichten. Ab 2015 müssen öffentliche Spitäler, ab 2016 die Apotheken und niedergelassenen Ärzte und ab 2017 die Privatkrankenanstalten die Gesundheitsdaten ihrer Patienten speichern. Zahnärzte haben bis Jänner 2022 Zeit.

Die Patienten müssen für die Teilnahme nicht zusätzlich zahlen. In einer volkswirtschaftlichen Betrachtung listet das Gesundheitsministerium ab 2018 laufende Kosten von 18 Millionen Euro jährlich auf, dem stehen Kostendämpfungseffekte von rund 129,8 Millionen Euro, davon 95,8 Millionen Euro für das Gesundheitssystem, gegenüber. Bis 2017 müssen aber erst einmal rund 130 Millionen Euro investiert werden.

Wer nichts sagt, macht automatisch mit
Stöger und Rasinger betonten am Montag, dass sie in ihrem Entwurf ELGA "noch besser und sicherer" gemacht hätten. Die Freiwilligkeit der Teilnahme für die Patienten soll mit einer sogenannten "Opting-out-Regelung" gewahrt bleiben, wonach man automatisch teilnimmt, wenn man nicht ausdrücklich widerspricht. Stöger erklärte, dass man beim Organtransplantationsgesetz eine ähnliche Lösung gewählt habe, alles andere hätte zu viel Bürokratie bedeutet.

Zugriff auf die ELGA-Daten haben Ärzte und andere Gesundheitseinrichtungen, bei denen sich der Patient für eine medizinische Behandlung via E-Card angemeldet hat, und zwar jeweils für 28 Tage. Apotheken haben nur Zugriff auf die Medikamentenübersicht (Stichwort "eMedikation"), und dies nur für den aktuellen Tag. Für Arbeitgeber, Behörden, Versicherungen und Kassen-Chefärzte ist der Zugriff verboten und soll auch technisch nicht möglich sein. Das gilt auch für Betriebsärzte.

Widerspruch gegen einzelne Datenspeicherung möglich
Weiteres zum Thema Datenschutz: Die Patienten bekommen Einsicht in Zugriffsprotokolle, Widerspruchsmöglichkeiten und das Recht, Verwendungsverbote für bestimmte Gesundheitsdaten festzulegen. Das bedeutet etwa, dass man Widerspruch gegen die Speicherung einzelner Befunde oder Medikamente (z.B. Viagra) direkt beim Arzt einlegen kann. Nach Ansicht Stögers werden damit "neue Maßstäbe" gesetzt, die es etwa bei Kredit- oder Bankomatkarten nicht gebe.

Die Gesundheitsdaten dürfen nur verschlüsselt übertragen werden. Die Daten werden dezentral beim Arzt bzw. Spital nach genau definierten technischen Qualitätskriterien gespeichert. Im Falle von EDV-Wartungen gilt das Vier-Augen-Prinzip, hieß es am Montag.

Ärzte haften, wenn sie ELGA ignorieren und Fehler machen
Die Ärzte müssen verpflichtend an ELGA teilnehmen: Formal sieht das Gesetz zwar nur ein grundsätzliches "Verwendungsrecht" vor, jedoch müssen definierte Befunde - nämlich Arztbriefe, Labor, Radiologie, Medikamente - verpflichtend gemäß ELGA gespeichert werden. Für die Mediziner soll es eine Finanzierungsunterstützung geben, um ihnen die Investitionen abzugelten. Die Summe bezifferte Stöger mit insgesamt 15 Millionen Euro.

Auch aus rechtlicher Sicht spricht einiges für eine ELGA-Teilnahme: Die Ärzte haften, wenn sie aufgrund einer Nicht-Verwendung von ELGA-Daten einen Fehler machen, weil sie nach dem jeweiligen Stand der Forschung behandeln müssen. Stöger zeigte sich am Montag daher überzeugt: "Der gute Arzt wird ELGA verwenden, und ich bin überzeugt, wir haben nur gute Ärzte." Verwaltungsstrafen für Ärzte wird es hingegen nicht geben. Man werde "keinen Arzt in Ketten abführen", waren sich Stöger und Rasinger einig.

Erster Entwurf wurde abgelehnt
Seinen ersten Begutachtungsentwurf hatte Stöger bereits im Februar 2011 vorgelegt. Dieser war damals praktisch von allen Seiten entschieden abgelehnt worden. Über den Sommer hatte das Gesundheitsministerium mit der Ärztekammer in Arbeitsgruppen versucht, eine Einigung herbeizuführen - allerdings vergeblich.

Der "Durchbruch" ist erst jetzt gelungen, nachdem die Verhandlungen auf die politische Ebene zwischen die beiden Gesundheitssprecher der Koalitionsparteien, Erwin Rasinger und Sabine Oberhauser, gemeinsam mit dem Gesundheits- und dem Wirtschaftsministerium verlagert worden waren.

Wird die Ärztekammer jetzt protestieren?
Fraglich ist, wie die Ärztekammer mit der Einigung umgeht. Erst vergangene Woche dementierten mehrere Vertreter der Kammer Gerüchte über eine Zustimmung der Mediziner in den laufenden großkoalitionären Verhandlungen. "Die Wiener Ärztekammer lehnt nach wie vor die verpflichtende Teilnahme sowohl für die Ärzteschaft als auch für die Patienten, die fehlende Datensicherheit und Funktionalität, die hohen Kosten sowie die nicht vorgesehene Testphase entschieden ab", hieß es etwa.

Bei ihrem Protest scheint es den Ärzten vor allem um technische Details zu gehen. Immer wieder genannt bzw. gefordert wird die elektronische Durchsuchbarkeit der ELGA-Dokumente. Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger erklärte dazu Mitte September, ELGA dürfe für die Ärzte nicht ein "reines Dokumente-Sammelsystem sein". Denn es genüge nicht, wenn Dokumente in den elektronischen Akt nur eingescannt würden, denn diese müssten die Ärzte dann erst recht wieder manuell durchsuchen. Vielmehr bedürfe es einer effektiven, Dokumente-übergreifenden Suchfunktion.

Mediziner hatten zudem gefordert, zu Beginn vorerst nur bestimmte Daten wie Medikamente und Laborberichte in ELGA zu speichern. Mit der Beschränkung auf ebensolche Daten im Gesetzesentwurf kommt das Gesundheitsministerium den Ärzten in gewisser Weise entgegen.

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