Strache wettert

“Rot-schwarzer Reformstau” bei direkter Demokratie

Österreich
15.05.2012 11:40
Mit einzementierten Positionen der Parteien ist am Dienstag in einer Aktuellen Stunde des Nationalrats die Ausweitung der direkten Demokratie diskutiert worden. Während FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den diesbezüglichen "rot-schwarzen Reformstau" kritisierte und für die Bevölkerung Möglichkeiten zum Gegensteuern verlangte, mahnte Kanzler Werner Faymann zur Vorsicht: Die Politik müsse handlungsfähig bleiben. Ein grundsätzliches Bekenntnis zur Ausweitung kam jedoch von allen Parteien.

Strache, dessen Fraktion das Thema vorgegeben hatte, wetterte gegen das "hohe Ross" der Regierung und hielt der Koalition vor, die Bevölkerung nicht mitreden lassen zu wollen. Einmal mehr verlangte er, dass Volksbegehren ab 250.000 Unterstützern verpflichtende Volksabstimmungen nach sich ziehen sollten. Die von Faymann angepeilte Grenze von 700.000 bzw. das ÖVP-Ziel von zehn Prozent der Wahlberechtigten, also etwa 650.000 Unterschriften, bezeichnete er als "groteske Zahlen" und Verhöhnung der Menschen. "Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht für die eigene Bevölkerung", so Strache.

Faymann-Appell für Handlungsfähigkeit der Politik
Faymann bekannte sich zu einer Diskussion über die stärkere Mitbestimmung der Bevölkerung zwischen den Wahlgängen. Diese müsse aber ernsthaft und ohne Kalauer geführt werden, außerdem müsse die Politik handlungsfähig bleiben. Der FPÖ hielt er vor, Chaos und Hass in den Vordergrund zu stellen. Keinen Sinn mache es etwa, jedes Mal über den Einsatz des Euro-Schutzschirms abstimmen zu lassen. Bei Richtungsentscheidungen hingegen wäre laut dem Kanzler eine Volksabstimmung durchaus sinnvoll.

Auch SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann warf den Freiheitlichen vor, den Zerstörungsgedanken in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Jedenfalls dürfe nicht über Grundrechte abgestimmt werden, auch Abstimmungen der Mehrheit über die Minderheit könne es nicht geben.

Neugebauer-Plädoyer für repräsentative Demokratie
Für eine sachkundige Auseinandersetzung sprach sich der Zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer von der ÖVP aus, nicht ohne die repräsentative Demokratie als harten Kern des politischen Systems Österreichs herauszustreichen.

Die grüne Verfassungssprecherin Daniela Musiol erklärte, direkte Demokratie bedeute, dass die Initiative von unten komme. Dies sei anstrengend und müsse mit Information und Diskussion einhergehen. Neue Regeln für die direkte Demokratie mit niedrigen Hürden sowie Menschen- und Grundrechten als Tabus sollte es ihrer Ansicht nach noch in dieser Legislaturperiode geben.

Dass es mit der direkten Demokratie in Österreich nicht weit her sei, diagnostizierte BZÖ-Klubchef Josef Bucher. "Treten Sie in Dialog mit der Bevölkerung", appellierte er angesichts der EU-Desillusionierung in der Bevölkerung an Faymann.

Volksbefragung, Volksbegehren, Volksabstimmung
Die Verfassung kennt als sogenannte plebiszitäre Instrumente die Volksbefragung, das Volksbegehren und die Volksabstimmung. Nur das Ergebnis letzterer ist bindend - sie kann aber nicht vom Volk selbst initiiert werden.

  • Bei einer Volksbefragung erkundet die Politik die Haltung der Bürger zu Gesetzen, wenn es um eine "Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung" geht, wie es in der Verfassung heißt. Initiieren können eine Volksbefragung die Bundesregierung oder der Nationalrat. Abstimmungsberechtigt sind die Wahlberechtigten analog zur Nationalratswahl. Der Ausgang einer solchen Befragung ist für den Gesetzgeber nicht bindend. Und: Auf Bundesebene ist all das bisher graue Theorie, denn eine österreichweite Volksbefragung hat noch nie stattgefunden. Auf Länderebene gab es bisher etwa 20, gerne eingesetzt wird das Instrument auch auf regionaler oder Gemeindeebene.
  • Mit einem Volksbegehren können Bürger, Gruppierungen oder Parteien in Österreich ihren Wunsch zu einem Gesetz deponieren. Um ein Volksbegehren einleiten zu können, braucht es die Unterschriften von einem Promille der Gesamtbevölkerung, das sind rund 8.030 Personen. Das Ergebnis ist für den Gesetzgeber nicht bindend. Bei Erreichen von mehr als 100.000 Unterschriften bzw. einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder muss das Volksbegehren allerdings im Nationalrat behandelt werden. Von den bisher 35 Volksbegehren haben diese Grenze nur zwei nicht erreicht ("Raus aus Euratom" im Jahr 2011, sowie "Pro Motorrad" im Jahr 1995).
  • Bindend ist das Ergebnis einer Volksabstimmung - diese kann aber nicht vom Volk initiiert werden. Eine solche verbindliche Entscheidungsfindung kann nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden: über einfache Bundesgesetze, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Abgeordneten es verlangt, über Verfassungsänderungen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates es verlangt. Jedenfalls stattfinden muss eine Volksabstimmung im Fall einer sogenannten Gesamtänderung der Bundesverfassung (d.h. einer Verfassungsänderung, durch die eines der leitenden Prinzipien der Bundesverfassung im Kern berührt wird). Eine Volksabstimmung gab es bisher zwei Mal: 1978 zum AKW Zwentendorf (es wurde abgelehnt) und 1994 zum EU-Beitritt (ihm wurde zugestimmt).
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