"Krone"-Reportage

Gadafis Fluch über Libyen: “Wer über ihn spricht, stirbt”

Ausland
06.05.2012 21:25
Schon beim Begräbnis des in Wien auf so mysteriöse Weise verstorbenen Ex-Premiers machten in Tripolis schaurige Spekulationen die Runde. Dass Shukri Ghanem, einst mächtiger Premier, eines natürlichen Todes starb, daran glaubt hier kaum einer. "Wer über Gadafi spricht, der stirbt! Ein Fluch des erschossenen Diktators lastet über dem Land", so ein Libyer. Kurzum, viele fürchten die Rache des einst so verhassten Gadafi-Geheimdienstes. Für sie ist der Wiener Wassertod eine Warnung an alle "Gadafi-Verräter": Schweigt, oder ihr werdet ebenso wie Shukri enden.

Vor einer Woche wurde die Wasserleiche des 69-jährigen Milliarden-Jongleurs an der Wiener "Copa Cagrana" gefunden. Seither gibt es aus kriminalistischer Sicht kaum Neues. Außer, dass der Ex-Minister des erdölreichen Wüstenstaates sicher kein Opfer eines Straßenräubers geworden ist: Denn in einer Tasche des in Jeans und mit weißem Hemd in der Neuen Donau treibenden Libyers wurde entgegen ersten Meldungen sehr wohl Bargeld sichergestellt. Welcher Verbrecher vergisst schon seine Beute?

"War kein banaler Ertrinkungstod"
"Wir können diese banale Version vom Ertrinkungstod Ghanems nicht glauben. Er ist bestimmt nicht wie ein Sonntagsspaziergänger ins Wasser gefallen und ertrunken", sagen viele in der nordafrikanischen Millionen-Metropole. 300 Freunde, Weggefährten und Verwandte - ausschließlich Männer - sind bei sengender Hitze zur Beisetzung der ehemaligen "Nr. 2" hinter General Gadafi auf den Friedhof im Herzen von Tripolis gekommen. Jeder hier kennt die Lebensgeschichte des einstigen Gadafi-Freundes. Des Mannes, der mit Gadafi groß geworden ist, der dann die Seiten gewechselt hat und das Land neu aufbauen wollte.

"Er hat sich leider viel zu spät für die Revolution und gegen Gadafi entschieden", spricht ein Zaungast offen aus, was viele über den Toten denken. "Unsere Erdöl-Millionen hat er ins Ausland transferiert und versteckt", stimmen andere erbost zu. Denn in Libyen gilt Shukri Ghanem als Mann mit zwei Gesichtern und zwei Seelen: Er ist Held und Verräter in einer Person. Nur über eines sind sich die Friedhofsbesucher, vom Cousin bis zum Menschenrechtsvertreter, einig: Shukris Tod war kein Suizid. Er war als gläubiger Muslim zu fromm, um selbst aus dem Leben zu scheiden.

Wollte Shukri vor Gericht auspacken?
Fakt ist: Nur wenige Tage vor seinem Tod war in Libyen ein Haftbefehl gegen den Ex-Premier erlassen worden. Er sollte später als Kronzeuge im Prozess gegen Saif Gadafi aussagen. Schließlich kannte der einstige OPEC-Mitarbeiter den umtriebigen Herrscher-Spross von der gemeinsamen Zeit in Wien wohl am besten. "Möglicherweise wollte Shukri vor Gericht die Wahrheit sagen und auspacken", meint ein Verwandter. Mehr kann und darf der etwa 50-jährige Trauergast nicht sagen. Andere Friedhofsbesucher drängen ihren redseligen Verwandten ruhig, aber bestimmt zur Seite. "Omerta", das eherne Mafiagesetz des Schweigens, gilt auch hier, im postrevolutionären Wüstenstaat, und das nicht nur nahe der Gräber. Alle wissen: Der Arm von Gadafis Tochter Aisha reicht immer noch weit. Und dass noch viele Stammesbrüder des gelynchten Wüstengenerals im Untergrund nur auf eines warten: späte Rache.

Andererseits können andere endlich wieder aufatmen. Sie sind heilfroh darüber, dass mit der Beerdigung des einstigen Gadafi-Ministers vielleicht auch der größte Mitwisser um geheime Geldflüsse, verschworene Seilschaften, korrupte Milliarden-Geschäfte oder andere Schattenseiten des Gadafi-Regimes ein für alle Mal begraben wurde. "Investigation und Aufklärung", fordern deshalb jene, die wissen wollen, wohin der Gadafi-Clan die Millionen des libyschen Volkes verschoben hat - nach Liechtenstein, in die Schweiz oder gar nach Österreich?

Nervtötender Streit um "Bonzen-Villa" in Tripolis
Bei manchen ist der in der Neuen Donau verstorbene alte Öl-Minister allein deshalb verhasst, weil er sich erst drei Monate nach der Februar-Revolution 2011 vom blutrünstigen Diktator getrennt hat. Eine aktuelle Episode rund um Ghanems Ehefrau belegt diesen Zorn: Zehn Tage vor dessen Tod wollte Najat in Girgarsh, dem Nobelviertel von Tripolis, die feine Familienvilla beziehen. Doch die Nobelunterkunft war inzwischen längst besetzt. Von fronterprobten Revolutionären - Freiheitskämpfer, die die "Bonzen-Villa" nicht freigegeben wollten.

"Erst nach elendslangen, nervtötenden Verhandlungen wurde der Wohnsitz geräumt. Auch Shukri dürfte in Wien telefonisch in die heiklen Telefongespräche eingebunden gewesen sein", so ein Freund und Villen-Nachbar. "Dennoch will Shukris Ehefrau, dass nichts vertuscht wird. 'Sein rätselhafter Tod muss geklärt werden', hat sie meiner Gattin gegenüber gemeint", sagt der 43-jährige Ali S. (Name geändert) bei einem "Krone"-Geheimtreffen in einem Tripoliser Café.

Geheimtreffen nur Tage vor Shukris Tod?
Mittlerweile macht ein neues, angsteinflößendes Gerücht in den Basaren von Tripolis die Runde: Tage vor seinem Tod hätte Shukri in Österreich dubiosen Besuch erhalten. Von einer mehrköpfigen, arabisch sprechenden Delegation. Die Männer trafen einander demnach zu einer heftigen Diskussion in einem unscheinbaren Wiener Lokal. An der Neuen Donau - bei der "Copa Cagrana"...

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