Solidaritätsappell

Timoschenko-Tochter kämpft ums Leben ihrer Mutter

Ausland
05.05.2012 18:31
Ihr Schicksal bewegt die Welt: Die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (51) wurde von einem ukrainischen Gericht wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ihr Gegenspieler, der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch (61), zeigt keine Gnade, obwohl die Oppositionsführerin schwer erkrankt ist. Tochter Eugenia Timoschenko (31) ruft in der "Krone" erneut zu Solidarität mit ihrer Mutter auf.

Nach wenigen Klingeltönen geht Eugenia Timoschenko an ihr Blackberry-Handy. Sie ist in Charkow, wie fast jeden Tag wartet sie darauf, ihre Mutter in der Strafkolonie, einem der berüchtigtsten Gefängnisse der Ukraine, besuchen zu können. Am Vortag hatte sie Glück. "Ich konnte mit meiner Mutter sprechen, aber sie ist mittlerweile körperlich sehr schwach, obwohl ihr Wille ungebrochen ist", erzählt sie.

Tochter fürchtet um Leben der Mutter
"Hoffentlich beendet sie den Hungerstreik bald, ich war von Anfang an dagegen, weil ich um ihr Leben fürchte." Auch Eugenias Stimme klingt dünn, zerbrechlicher als bei unserer Begegnung Ende Dezember des Vorjahres im EU-Parlament in Brüssel. "Der Name Timoschenko darf nicht von der Politik verschwinden", hatte sie damals kämpferisch gesagt. Sie würde sogar selber bei Wahlen antreten, falls Julia Timoschenko, die Übermutter der Orangen Revolution, sie darum bitten würde.

Damals befand sich die umstrittene Oppositionsführerin noch im Untersuchungsgefängnis in Kiew. Seitdem hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Von Misshandlung und absichtlich schlechter medizinischer Versorgung ist die Rede. Fotos, auf denen die Inhaftierte Blessuren zeigt, angeblich Beweise für die ihr zugefügte Gewalt, schockierten die Welt. Ihrer Tochter hat sie nun anvertraut, was in jener Nacht Ende April geschah: "Plötzlich kamen drei Männer in die Zelle und zerrten sie aus dem Bett. Meine Mutter hatte Todesangst und wehrte sich, daraufhin wurde sie mit einem Schlag in die Magengrube ruhiggestellt. Sie konnte nicht mehr atmen, musste wehrlos ertragen, dass sie in eine Decke eingewickelt und in ein Krankenhaus transportiert wurde."

Dort verweigert sie die Behandlung. Das Misstrauen gegenüber jedwede Institution, die im Einflussbereich des Staates und somit ihres Widersachers Präsident Viktor Janukowitsch liegt, sitzt tief. Zu den Vorfällen im Gefängnis wird es keine strafrechtlichen Ermittlungen geben.

Hoffnung auf Überstellung nach Berlin
"Unsere große Hoffnung ist die Überstellung in die Charité (eine angesehene Klinik in Berlin), die deutschen Ärzte haben meine Mutter vor wenigen Stunden besucht und festgestellt, dass die für sie benötigten Therapien in der Ukraine nicht möglich sind", will Eugenia Timoschenko etwas Zuversicht verbreiten. Ihre Mutter leidet unter einem schweren Bandscheibenvorfall, den sie ihren Angaben zufolge ohne Linderung durch Schmerzmittel ertragen muss.

Außerdem gab es immer wieder Mutmaßungen vonseiten der Familie, dass der Regierungschefin in der Haft giftige Substanzen verabreicht worden seien. Präsident Janukowitsch sieht in diesen Vorwürfen eine groß angelegte Verleumdungskampagne. Selbst dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle, der sich deutlich für eine Überstellung Timoschenkos nach Berlin ausgesprochen hat, attestiert er Parteilichkeit und lässt über seinen Vize Leonid Koschara ausrichten, dass Firmen jener Länder, die die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine boykottieren, künftig keine große Gastfreundschaft zu erwarten hätten.

Timoschenko soll in einem Krankenhaus in Charkow von einem deutschen Arzt behandelt werden - das ist der einzige Kompromiss, auf den Janukowitsch eingeht, selbst ein Angebot Wladimir Putins auf Behandlung in einer Moskauer Klinik schließt er aus. Wie kann er sich die zunehmende internationale Isolation leisten?

Ein langer Kampf um Macht und Geld
"Janukowitsch ist vom Hass auf meine Mutter getrieben, er handelt nicht mehr strategisch oder rational", ist Eugenia Timoschenko überzeugt. "Er hat unglaubliche Angst vor ihr und er spürt, wie sich ein riesiger Orkan gegen ihn zusammenbraut. Doch die Verzweiflung lässt ihn noch skrupelloser handeln, das Pfand Timoschenko lässt er nicht mehr aus der Hand." Ohne den Druck aus Europa würde ihre Mutter nicht mehr am Leben sein, befürchtet sie.

"Ich danke Ihnen sehr für die Unterstützung, sie gibt uns Kraft und Hoffnung", schließt sie ab. Es ist nun etwas mehr als fünf Jahre her, dass ich von ihrer Mutter Julia Timoschenko überraschend zu einem exklusiven Gespräch in ihre Kiewer Parteizentrale eingeladen wurde. Der Termin fand nach langem Warten knapp vor Mitternacht in ihrem Arbeitszimmer statt. Trotz stundenlanger Debatten im Parlament wirkte die vor Kurzem gestürzte Ministerpräsidentin hochkonzentriert und in jeder Aussage überlegt. Damals meinte sie bereits: "Ich fürchte jeden Tag um mein Leben."

Ein Jahr später, nach wilden Machtspielen wieder an der Regierungsspitze, handelte sie mit dem russischen Premier Putin jenen Gas-Liefervertrag aus, für den sie nun zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist. "Ich arbeite und kämpfe dafür, dass meine Tochter in einem Land lebt, auf das sie stolz ist", hatte sie mir damals noch mit auf den Weg in die kalte Kiewer Nacht gegeben.

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