Prozess-Auftakt

Breivik bricht vor Gericht in Tränen aus

Ausland
16.04.2012 18:05
Eine völlig überraschende Entwicklung hat der Prozess gegen den Norwegen-Attentäter Anders Behring Breivik am Montag in Oslo genommen. Nachdem der 33-Jährige der Verlesung der 77 Opfernamen noch ohne jede Regung gefolgt war, brach er bei der Vorführung eines von ihm erstellten Propaganda-Videos in Tränen aus. Experten rätseln nun über die Ursache für die heftige Gefühlsregung. Sogar Lippenleser wurden zurate gezogen.

Verschiedene Psychologen begleiten den Prozess für die norwegischen Tageszeitungen. Ihre Einschätzung zu Breiviks Tränen fällt unterschiedlich aus. Manche glauben, beim Betrachten des Filmes habe der narzisstisch gestörte Attentäter seine eigene menschliche Unzulänglichkeit erkannt - allerdings nur in dem Sinne, dass er sich als "nicht edel genug" für den von ihm angestrebten Kreuzzug betrachte.

Andere Beobachter vermuten hingegen, dass ihn das in dem Film gezeichnete Schreckensszenario zu Tränen rührte. Breivik beschwört in seinem Werk den bevorstehenden Untergang Europas herauf. Außerdem habe er bei der Vorführung erkannt, dass er nach seiner Festnahme nun nicht mehr in dem "Kampf" gegen die vermeintlichen Gegner helfen könne.

Mit einer ungewöhnlichen Methode zur Analyse wartete dann die Boulevardzeitung "Verdens Gang" auf. Sie beauftragte einen Lippenleser, denn während Breivik weinte, redete er einige Sätze mit Anwalt Geir Lippestad. "Zunächst sagt Breivik wohl so etwas wie 'Es ist schön', wenig später dann 'Es läuft gut' und dann noch 'Es ist nur, weil es solch ein emotionaler Film ist'."

Anwalt: Tränen wegen "muslimischer Invasion"
Lippestad sagte am Montagabend, dass Breivik wegen seiner Gefühle über den aus seiner Sicht anhaltenden "Krieg" gegen die "muslimische Invasion" in Europa geweint habe. Die Erklärung für seine Gefühlsregung sei "zum Teil" damit zu begründen, dass er seine Taten begangen habe, "um - wie er sagt - Europa von einem anhaltenden Krieg zu erlösen".

Merkwürdiges Verhalten zum Auftakt
Zu Beginn der Verhandlung, gleich nach dem Abnehmen der Handschellen, hatte der 33-Jährige, der einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine ockerfarbene Krawatte trug, seine Faust nach oben gestreckt (siehe weitere Bilder in der Infobox).

Als Staatsanwältin Inga Bejer Engh dann die Namen der 77 Todesopfer und der 42 Verletzten vorlas, zeigte Breivik keine Reaktion. Jede einzelne Verwundung listete sie minuziös auf, musste dabei immer wieder innehalten, um ihre Betroffenheit hinunterzuschlucken. Doch Breivik schloss nur die Augen und senkte den Kopf leicht. Gelegentlich benetzte er seine Lippen. "Er war völlig kalt, so als wäre da gerade bloß eine Einkaufsliste vorgelesen worden", so ein erschrockener Beobachter.

Ebenfalls keine besondere Regung zeigte Breivik, als Videos von Überwachungskameras aus Oslo gezeigt wurden, die noch einmal sein eiskaltes und straff organisiertes Handeln belegten. Später spielte die Staatsanwaltschaft dann noch erschütternde Notrufe vor, die Jugendliche während des Utöya-Massakers abgesetzt hatten - Breivik blätterte währenddessen desinteressiert in seinen Unterlagen.

Geld mit Verkauf gefälschter Diplome verdient
Ein Lächeln huschte dem 33-Jährigen über die Lippen, als ein anderer Staatsanwalt ausführte, wie Breivik einst zu Geld gekommen war: Der spätere Attentäter gründete in der Steueroase Antigua eine Agentur, über die er im Internet - gefälschte - Diplome verkaufte. Das Stück für etwa 200 Euro. Umgerechnet 475.000 Euro erwirtschaftete Breivik auf diese Weise, nicht einen Cent Steuern zahlte er. Ob er dieses Geld auch für die Vorbereitung der Anschläge nutzte, ist noch unklar.

Breivik korrigiert Richterin: "Bin Schriftsteller, nicht arbeitslos"
Als Richterin Wenche Arntzen seine persönlichen Daten verlas und sagte, dass er arbeitslos sei, korrigierte Breivik: Er sei "Schriftsteller" und arbeite im Gefängnis an einem neuen Werk. Das Gericht erkenne er aber ohnehin nicht an, weil der norwegische Staat den "Multikulturalismus" unterstütze, so Breivik. Später behauptete der 33-Jährige - wie erwartet -, dass er "in Notwehr" gehandelt habe. "Ich gebe die Taten zu, bekenne mich aber nicht strafschuldig."

Um kurz nach 15 Uhr endete der erste Prozesstag. Wie viele weitere folgen werden, ist noch unklar, allein für die Aussage Breiviks sind fünf Tage angesetzt. Allerdings soll das Urteil noch vor dem Jahrestag der Anschläge am 22. Juli gefällt werden. Insgesamt sollen 150 Zeugen gehört werden, es gibt 770 Nebenkläger. Von großer Bedeutung wird die Frage sein, ob Breivik schuldfähig ist. Hierzu gibt es bislang widersprüchliche Gutachten. Breivik selbst hofft darauf, dass er als zurechnungsfähig eingestuft wird und er somit nicht in die Psychiatrie gehen muss. Denn die wäre für ihn "schlimmer als der Tod".

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