Gig auf Altar

Moskau: Punk-Aktivistinnen droht jahrelange Haft

Ausland
25.03.2012 18:54
Nach einer regierungskritischen Performance im Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche will der Kreml an drei jungen Frauen nun offenbar ein Exempel statuieren. Die Punkband Pussy Riot hat am 21. Februar mit einem schrillen Lied auf dem Altar der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau vor der Präsidentenwahl auf die enge Verbindung zwischen Politik und Kirche aufmerksam gemacht. Seit damals sitzen die Musikerinnen in U-Haft, wegen "Rowdytums" drohen ihnen nun bis zu sieben Jahre Haft. Eine Verurteilung wird immer wahrscheinlicher.

"Heilige Mutter, gesegnete Jungfrau, vertreibe Putin", heißt es in dem Text des "Punk-Gebets", das vier mit Strickmützen maskierte Frauen auf dem Altar zum Besten gaben. Schon alleine der Auftritt der Band Pussy Riot, die in unterschiedlichen Zusammensetzungen vor allem in Moskau Bekanntheit erlangte, war eine klare Provokation. Hinzukam der Zeitpunkt kurz vor der Präsidentenwahl am 4. März, bei der sich Putin zum dritten Mal in den Kreml wählen ließ.

Patriarch: "Der Teufel lacht über uns alle"
Patriarch Kirill, der Putin unterstützt, kritisierte die "Entweihung" der Kathedrale scharf. Das "Punk-Gebet" habe jeden Gläubigen schmerzhaft verletzt, "der Teufel lacht über uns alle", sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag in seinem ersten öffentlichen Kommentar zu der Causa. Es gebe keine Zukunft, wenn solche Aktionen als angemessener politischer Protest oder Scherz angesehen würden.

Einflussreiche Kirchenvertreter sprechen im Zusammenhang mit der Performance sogar von "Extremismus" - dann wäre sogar eine noch härtere Strafe möglich. Der Text des "Punk-Gebets" habe Hass gegen die Kirche geschürt, meinte am Sonntag etwa Synodenmitglied Wsewolod Tschaplin. Zuvor hatten mehr als 2.000 Gläubige Patriarch Kirill in einem offenen Brief dazu aufgefordert, sich für ein Ende der "Hetzjagd" auf die Verhafteten einzusetzen.

Musikerinnen mit Handschellen in Käfigen
Weder Putin noch der scheidende Präsident Dmitri Medwedew haben sich bisher öffentlich zu Pussy Riot geäußert. Doch habe Putin "negativ" auf den Vorfall reagiert, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow. Demnach habe der Noch-Premier erklärt, so ein Vorfall werde sich "nie wiederholen". Für Beobachter ist dies ein weiteres Zeichen dafür, dass die Punk-Aktivistinnen bei der obrigkeitshörigen Justiz kaum auf Gnade hoffen dürfen.

Außerdem ignoriert der Kreml seit über einem Monat hartnäckig Forderungen, die Untersuchungshaft für die Frauen zumindest in einen Hausarrest umzuwandeln. Im Gegenteil: Mit Handschellen und in Käfigen eingesperrt führt die Justiz die Musikerinnen wie Schwerverbrecher den Medien vor. Vor allem weltoffene Russen sind darüber empört, da diese Vorgangsweise die Frauen mit Mördern und Vergewaltigern auf eine Stufe stelle.

Kritische Künstler nicht gerne gesehen
Nach der Aktion stellt sich im größten Land der Erde zudem die Frage nach der Position der orthodoxen Kirche. Kirill zeigt offen Unterstützung für Putin - und der Ex-Geheimdienstchef gewährt der Kirche im Gegenzug viele Freiheiten. Gerade auf diese enge Verbindung wollte Pussy Riot mit dem bizarren Konzert hinweisen. Beobachter hegen nun den Verdacht, dass die Justiz absichtlich hart gegen die jungen Frauen durchgreift, um der Kirche weiter zu schmeicheln.

In Russland werden kritische Künstler nach Ansicht von Bürgerrechtlern immer wieder politisch verfolgt. Wegen "Aufwiegelung zu religiösem Hass" wurden etwa im Jahr 2010 zwei Ausstellungsmacher zu hohen Geldstrafen verurteilt. Auch hier hatten Gläubige geklagt, die sich von Bildern wie einer Kaviar-Ikone beleidigt fühlten. Gegen Mitglieder der für ihre radikalen Aktionen bekannten Gruppe Woina (Krieg) verhängten die Richter sogar Haftstrafen. Regierungskritiker befürchten nun, dass Putin nach seiner für Anfang Mai geplanten Rückkehr in den Kreml die Daumenschrauben für seine Gegner noch härter anzieht.

Seit Monaten Demos gegen die Regierung
In den vergangenen Monaten demonstrierten in Russland Hunderttausende Menschen friedlich gegen die Regierung und für faire Wahlen. Doch der starke Mann Putin versteht die Proteste nach Ansicht von Experten als persönliche Beleidigung. Gegen nicht genehmigte Aktionen greift die Polizei nach der Präsidentschaftswahl nun umso härter durch. So wurden am Sonntag auf dem Roten Platz in Moskau mehr als 30 Aktivisten der Gruppe Solidarnost festgenommen - obwohl die jungen Leute laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten lediglich über den Platz gegangen seien und Anstecker im Weiß der Opposition getragen hätten.

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