Schweizer Bus-Drama

“Es tut weh, wenn ich an die Eltern der Kinder denke”

Österreich
17.03.2012 18:30
Als in Belgien am Freitag um 11 Uhr die Kirchenglocken läuten, Radio- und Fernsehsender verstummen, Baukräne still stehen, Hunderttausende Menschen ihren Tagesablauf unterbrechen und innehalten, sind auch die Gedanken einer Mutter in Wien-Döbling bei den Hinterbliebenen des Busunglücks in der Schweiz. Kathrin Wallnberger hat vor zwei Jahren ihren damals acht Jahre alten Sohn bei einem Unfall verloren und fühlt sich diesen trauernden Eltern – aber auch den Kindern der verunglückten Erwachsenen – sehr verbunden.

"Es tut weh, wenn ich an die Eltern dieser Kinder denke, die jetzt dieses Los tragen müssen", erzählt Kathrin Wallnberger im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger. "Ich erzähle Ihnen gerne, was ich in diesen zwei Jahren gelernt habe", sagt die dreifache Mutter.

"Krone": Frau Wallnberger, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, stand noch Fabians Winnie-Puh-Becher auf dem Küchentisch. Wann haben Sie ihn weggeräumt?
Kathrin Wallnberger: So um Weihnachten herum. Ich habe diese Zeit gebraucht, um mich von diesem Becher, aus dem Fabian immer getrunken hat, wenn er aus der Schule gekommen ist, zu lösen. Plötzlich war dieser Prozess zu Ende. Er steht jetzt im Kastel drinnen. Ich kann ihn jederzeit in die Hand nehmen.

"Krone": Ist das ein Trost, Fabians Becher in der Hand zu halten?
Wallnberger: Nein, es ist bloß eine Gewissheit, dass er gelebt hat.

"Krone": Wenn Sie jetzt die Bilder aus der Schweiz sehen, vom zerfetzten Reisebus, in dem 22 Kinder sterben mussten, kommen da die Erinnerungen zurück?
Wallnberger: Es kommen Erinnerungen und es kommen Vergleiche. Wie ist es bei denen? Wie war es bei mir? Ich habe auch diese quälende Ungewissheit wieder gespürt, nicht zu wissen, ob das Kind tot ist oder nicht. Und dann die Nachricht, schnell, abrupt und unwiderbringlich. Ohne Chance, sich zu verabschieden.

"Krone": Wie lange haben Sie sich diese Chance gewünscht?
Wallnberger: Ich wünsche sie mir bis heute. Ich hätte gern noch einen einzigen Tag mit Fabian, um Abschied zu nehmen.

"Krone": Wie würde dieser Tag aussehen?
Wallnberger: Es wären die intensivsten Stunden, Minuten und Sekunden, die ich mir vorstellen kann. Ich würde ihn die ganze Zeit an mich binden, ihn halten, noch einmal alles mit ihm machen, was er machen möchte, ihm noch einmal alles sagen, was ich ihm gerne gesagt hätte. Es wäre ein großes Geschenk.

"Krone": Macht Sie das Busunglück traurig?
Wallnberger: Nein, es ist normal. So was passiert immer wieder, es trifft immer irgendwen. Es werden nach mir noch viele Mütter ihre Kinder verlieren und es haben schon vor mir viele ihre Kinder verloren. Das gehört einfach zum Leben dazu. Das soll aber nicht gleichgültig klingen...

"Krone": Wie lange haben Sie gebraucht, um das ohne Bitterkeit sagen zu können?
Wallnberger: Am Anfang ist man in einem Schockzustand. Dann beginnt plötzlich eine ganz neue Realität. Es kommen Herausforderungen wie Identifizierung, Überstellung, Amtswege oder das Organisieren des Begräbnisses. Das alles lenkt aber nicht vom Schmerz ab. Erst wenn man sein Kind in Frieden gehen lässt, wird man ruhiger.

"Krone": Stellt man sich nicht ewig die Frage nach dem Warum? Warum gerade mein Kind?
Wallnberger: Für mich war klar, dass es einfach für den Fabian so bestimmt ist. Dadurch bekommt die Tragik ihren Sinn.

"Krone": Bestimmt von wem?
Wallnberger: Von einer höheren Ordnung, einer göttlichen Macht. Kinder überleben, Kinder sterben. Dahinter steht ein göttlicher Plan. Dieser Plan ist für uns nicht nachvollziehbar, aber er hat seine Richtigkeit. Und wir Eltern sind Teil dieses Plans.

"Krone": Mit welchem Auftrag?
Wallnberger: Wir werden geleitet, um unsere Aufgaben zu bewältigen, unser Los zu tragen. Manche zerbrechen, andere wachsen daran. Ich glaube, dass man alles, was man auferlegt bekommt, auch tragen kann.

"Krone": Lindert das den Schmerz?
Wallnberger: Der Schmerz bleibt derselbe, er kommt oft wie ein Blitz, dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Manchmal schleicht er sich ganz leise ein, dann steigt plötzlich Traurigkeit auf und es fließen die Tränen. Der Schmerz bleibt derselbe, aber die Bewältigung wird möglich.

"Krone": Wie?
Wallnberger: Durch Menschen, die uns herzlich und liebevoll begegnen. Durch die Zeit, die wir mit Fabian verbringen. Wir beziehen ihn mit ein, wir reden von ihm. Am Abend, wenn die anderen Kinder im Bett sind, versuche ich, an ihn zu denken.

"Krone": Was möchten Sie den belgischen Eltern sagen, wenn Sie könnten?
Wallnberger: Dass sie aus Liebe zu ihrem Kind diesen letzten Weg mit ihm gehen sollen, auch wenn es der schmerzlichste und endgültige ist, in Frieden und ohne Verbitterung. Das ist der letzte Liebesdienst, den Eltern ihren Kindern erweisen können.

"Krone": Und allen anderen Eltern?
Wallnberger: Das Wichtigste, das wir Kindern geben können, ist Liebe und Nähe und Zeit – nicht Geschenke oder Kurse oder ein schönes Kinderzimmer. Einfach da sein, weil die Zeit ist kurz - und manchmal ist sie noch kürzer.

"Krone": Wo ist Fabian jetzt, Frau Wallnberger?
Wallnberger: Auf jeden Fall in meinem Herzen und in der Welt, die wir noch nicht kennenlernen konnten. Dort ist er und auch bei uns.

Fabians Tod auf dem Schutzweg
Am Dienstag, dem 18. Mai 2010, wird Fabian – er wäre im Juli neun geworden – auf dem Zebrastreifen unweit des Maria-Regina-Schulzentrums in Wien-Döbling von einem Mercedes erfasst und niedergestoßen. Er verliert beim Unfall sein Leben. Tagelang legen Menschen an der Unfallstelle vor der Bäckerei auf der Döblinger Hauptstraße Blumen nieder, zünden Kerzen an. Yona K. (51), der Lenker des Unfallwagens, wird wegen fahrlässiger Tötung angezeigt, der Polizei sagt er, er habe "kurz die Augen zugemacht". Gegen die vom Erstgericht verhängte dreimonatige unbedingte Freiheitsstrafe beruft der Gemüsehändler und kommt letztendlich mit einer Geldstrafe von 9.000 Euro davon (siehe auch Infobox).

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