Geiseln genommen

“Kettenphantom” im Großen und Ganzen geständig

Niederösterreich
01.02.2012 17:00
Am Landesgericht St. Pölten muss sich seit Mittwoch das sogenannte Kettenphantom vor einem Geschworenensenat verantworten. Der 55-jährige angeklagte Montenegriner zeigte sich am ersten von zwei Prozesstagen im Großen und Ganzen geständig. Staatsanwalt Karl Fischer legte dem Mann unter anderem erpresserische Entführung, schweren Raub und Freiheitsentziehung zur Last. Dem 54-Jährigen drohen bis zu 20 Jahre Haft. Ein Urteil wird für Donnerstag erwartet.

Beim Angeklagten handle es sich um "einen höchst professionellen Verbrecher, lassen Sie sich nicht täuschen", warnte Staatsanwalt Karl Fischer die Geschworenen. Der 55-Jährige sei sehr anpassungsfähig und könne Leute gut für sich einnehmen.

Fakt sei, dass er mit 55 Jahren in verschiedenen Ländern bereits zu insgesamt 41 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Vieles sei aber bedingt erlassen worden und in der Schweiz, wo er wegen erpresserischer Entführung mehrerer Industrieller zu elf Jahren Haft verurteilt wurde, sei er 1993 aus dem Gefängnis ausgebrochen.

"Negativ-Jackpot" für Opfer
Der Mann habe es stets auf wohlhabende Opfer abgesehen, sich vorher im Internet über sie erkundigt und dann tagelang das Haus und die Umgebung ausgekundschaftet - etwa als Jogger, erklärte der Staatsanwalt.

Laut Statistik ereigneten sich im vergangenen Jahr 4.181 Einbrüche in bewohnte Wohnhäuser in Niederösterreich, zwölf am Tag. Steigend sei die Zahl der Raubüberfälle im Zuge dieser Taten, holte der Staatsanwalt aus. "Was die Opfer in diesem Fall erlebt haben, war noch viel schlimmer, sozusagen der Super-GAU, ein Negativ-Jackpot." Sie seien nämlich nicht nur ausgeraubt, sondern auch noch als Geiseln genommen worden.

Opfer in Sauna festgekettet, Schuss auf Mann abgegeben
Konkret listete der Staatsanwalt drei Raubüberfälle auf. Bei einer im Mai 2009 in Pöchlarn im Bezirk Melk überfallenen Frau handelte es sich um die Ehefrau eines Bankdirektors, der zu diesem Zeitpunkt geschäftlich im Ausland weilte. Der Angeklagte bedrohte sie laut Staatsanwalt mit einer Waffe - auch von einem Erpresserbrief auf ihrem Computer war die Rede - und band sie mit einer 1,6 Meter langen Eisenkette an den Füßen in der Sauna fest. Nachdem der Täter geflüchtet war, schaffte sie es mithilfe des Saunabestecks, die in der Nähe abgelegten Schlüssel zu erreichen und sich selbst zu befreien. Das Opfer sei dabei schwer verletzt worden und leide heute noch an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Im darauffolgenden September sei der 55-Jährige in ein Haus in St. Andrä-Wördern eingedrungen und habe im Büro CDs und einen Laptop gestohlen. Als er hörte, dass die Familie wach wurde, habe er das Haus verlassen, wurde aber vom Besitzer in den Garten verfolgt. Dort habe der Angeklagte einen Schuss in Richtung des Verfolgers abgegeben, der die Waffe aber für eine Schreckschusspistole hielt, den Mann weiter verfolgte. Der Täter sei dann ohne Beute geflüchtet.

Ehepaar im Schlaf überrascht, Mann als Geisel genommen
Vor der Tat in Stetteldorf am Wagram im Bezirk Korneuburg im Oktober 2009 habe er das Objekt tagelang ausgekundschaftet und sei mehrfach eingedrungen. In der besagten Nacht sei er dann ins Schlafzimmer des Paares gegangen, habe beide am Bett gefesselt, das Haus durchsucht, den Safe ausgeräumt und ein Erpresserschreiben, in dem er eine Million Euro forderte, auf dem PC gespeichert. Dann habe er die Frau im Bad gefesselt, ihr die Augen zugeklebt und sich von dem Mann als Geisel in dessen Pkw wegführen lassen - Ziel sollte der Raum Wiener Neustadt sein.

Dass er die Entführung dann allerdings abgebrochen habe, sei "aus humanitären Gründen" geschehen, erklärte der Beschuldigte und löste Staunen aus. Sowohl dem Opfer als auch ihm sei es nicht gut gegangen. Da er die Geiselnahme in seinen Augen abgebrochen und das Opfer freigelassen habe, sei er, was die erpresserische Entführung betreffe, nicht geständig, führte der 55-Jährige aus.

Richterin Andrea Humer widersprach allerdings: "Sie haben ihn nicht freigelassen. Sie haben ihn an einen Hochstand angebunden seinem Schicksal überlassen. Mit einer Kette um den Hals. Im Oktober". Der Mann, dem er etwas zu trinken gelassen hatte, hätte sich jederzeit befreien können, da das Holz sehr morsch war, hielt der Angeklagte entgegen, er könne nichts dafür, dass dieser dafür Stunden gebraucht habe: "Er hat seinen Fluchtinstinkt nicht ausgenutzt".

Opfer allesamt schwert traumatisiert
Die am Nachmittag befragten Opfer zeigten sich teilweise schwerst traumatisiert. "Ich hab' nicht gedacht, dass ich das Ganze überhaupt überleben werde", meinte die Frau aus Pöchlarn. Auch die anderen sprachen von Todesängsten während des Überfalls und von Traumata, die sie bis heute begleiten würden. Von der geplanten Entführung nach Wiener Neustadt wusste das Paar aus Stetteldorf am Wagram aber nichts - die beiden erfuhren erst durch die Polizei von dem Erpresserbrief und den Plänen des Angeklagten.

Kommissar Zufall half bei Ausforschung des Beschuldigten
Bei der Ausforschung des Beschuldigten habe der Zufall eine wesentliche Rolle gespielt, so Fischer: Da in der Schweiz keine DNA gesichert worden war, habe man den Täter zunächst nicht zuordnen können. Dieser bewohnte zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Wohnung oberhalb einer Wiener Disco, in der ein Serbe erschossen wurde. Auf dem Überwachungsvideo sei dann ein Mann zu sehen gewesen, der dem Opfer eine Waffe aus der Tasche zog - als diese später der Polizei in die Hände fiel, fanden sich darauf die DNA-Spuren des Pöchlarner Täters. Sämtliche Angestellte des Lokals wurden daraufhin überprüft. So seien die Ermittler gegen Ende 2009 auf den Montenegriner gekommen - der zu diesem Zeitpunkt aber verschwunden war.

Durch die folgende monatelange Telefonüberwachung erfuhren die Kriminalisten dann, dass sich der Verdächtige nach Serbien begeben würde. Dort wurde er schließlich von serbischen Beamten im März 2010 verhaftet und im folgenden Juli nach Österreich ausgeliefert.

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