Auf 243 Seiten

Breivik-Gutachten gibt Einblicke in seine Wahn-Welt

Ausland
03.12.2011 15:02
Zwei Rechtspsychiater haben dem Oslo-Attentäter Anders Behring Breivik am Dienstag paranoide Schizophrenie attestiert und ihn für unzurechnungsfähig erklärt. Doch wie schlimm es um den Massenmörder tatsächlich steht, zeigt erst ein Blick in das geheime, 243 Seiten dicke forensische Gutachten, von dem diese Woche immer mehr Details über die beiden großen norwegischen Boulevardblätter "Verdens Gang" und "Dagbladet" an die Öffentlichkeit gelangten - und am Samstag von "Spiegel Online" zusammengefasst wurden.

Demnach heißt es in dem Gutachten, dass Breivik wohl nie ein ganz normales Leben hatte, er fürchtete sich vor allem und jedem. Selbst seine Mutter löste bei ihm Panik aus, da er annahm, sich bei ihr mit Krankheiten anstecken zu können. Deshalb weigerte er sich auch, mit ihr an einem Tisch zu sitzen oder gemeinsam mit ihr zu essen. So holte er sich die Mahlzeiten lediglich ab und verschwand damit in seinem Zimmer.

Auch sonst näherte sich Breivik seiner Mutter nur mit Mundschutz, wie diese den Gutachtern erzählte. Außerdem befürchtete er, radioaktive Strahlung abzubekommen, und hatte überdies panische Angst vor Spinnen und anderem Ungeziefer. "So wie er sich verändert hatte, muss er krank gewesen sein", wird die Mutter in dem Papier zitiert.

Kranke Gedanken und Verfolgungswahn
Laut den Psychiatern wurde sein Verhalten über die Jahre immer schlimmer, er wurde zunehmend von seinen Ängsten gesteuert. In den letzten Monaten vor der Tat fühlte er sich ständig verfolgt. Im Frühjahr 2011 zog er bei seiner Mutter aus und übersiedelte auf einen Bauernhof nördlich von Oslo. Dort fing er an Bomben zu basteln, die er am 22. Juli im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt zündete.

Der Verfolgungswahn nahm zu dieser Zeit bereits drastische Ausmaße an. Eines Tages sah Breivik bei der Rückkehr von einer Reise, dass sein Hoftor weit offen stand. Daraufhin habe er sein komplettes Anwesen akribisch nach Kameras durchsucht, wie er zu Protokoll gab. Er hatte es für logisch empfunden, dass "sie" ihn auf diese Art und Weise überwachen würden. Allerdings hätte er es immer wieder geschafft, "ihnen" zu entkommen. Er schaltete sein Handy ab, reiste plötzlich nach Prag und "verwischte stets alle Spuren". Darin sei er "einfach gut gewesen", wie er über sich selbst sagte.

Laut den Psychiatern verbrachte Breivik zudem den ganzen Tag damit, über Verschwörungstheorien zu brüten - Denkanstöße dafür holte er sich in rechtsradikalen Internetforen. Nach Ansicht der Forensiker hatte seine Psychose im Jahr 2006 so sehr von ihm Besitz ergriffen, dass er tatsächlich glaubte, eine Schlacht gegen Islamisten zu führen. Hinzu kam seine wahnwitzige Idee, dass Norwegen von Islamisten übernommen werde und die regierenden Sozialdemokraten die Machtübergabe vorbereiten würden.

Breiviks kranke Gedanken hatten ihn so sehr unter Kontrolle, dass er sein tägliches Leben nicht mehr auf die Reihe bekam, wie es im Gutachten heißt. Er schlief nur noch tagsüber, nachts tüftelte er darüber, welchen Schritt er als nächstes setzen könnte. Wie er zu Protokoll gab, wollte er alle Moslems nach Afrika "deportieren" lassen. In Norwegen wiederum wollte er nach dem Nachfahren des letzten Wikingerkönigs suchen und ihn an die Macht bringen. Sich selbst sah er übrigens als den "Kreuzritter Sigurd II".

Durch Schönheits-OP "nordischen Charme" verloren
Im Rückblick auf sein Leben zeigte er sich dennoch zufrieden. Er hätte eine "ganz annehmbare Kindheit" gehabt. Auch sein Sexualleben sei okay gewesen: "Mein Körper ist mein Tempel", meinte er, und daher sei es verständlich, dass er seit zehn Jahren keinen Sex mehr hatte. Zu bereuen hätte er einzig und alleine eine Schönheits-OP: Im Alter von 20 Jahren war er mit seiner Nase unzufrieden gewesen und hatte sich unters Messer gelegt - damit hätte er allerdings seinen "nordischen Charme" verloren, klagte er. Dass er krank sei, wollte Breivik nicht erkennen. Den Gutachtern gegenüber meinte er lediglich, dass er eine "starke Psyche" habe - aber verrückt seien "die anderen".

Wie Breiviks Anwalt am Samstag "Verdens Gang" erklärte, enthalte das Gutachten nach Ansicht seines Mandanten "Fehler" und "Lügen", seine Äußerungen seien demnach aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er sei der Ansicht, dass die Gutachter "nicht genügend Ahnung von politischen Ideologien" hätten. Laut Breivik hielten einige seine Erklärungen für absonderlich - doch in seinen Augen seien sie das nicht.

Kommission muss bis Jahresende entscheiden
Das gesamte Gutachten liegt derzeit bei einer Kommission aller forensischen Gutachter Norwegens und wird von diesen genau geprüft. Bis zum Jahresende sollen sie entscheiden, ob sie sich der Diagnose ihrer beiden Kollegen anschließen und Breivik ebenfalls für unzurechnungsfähig halten. Ist das der Fall, wird dieser aus seiner Untersuchungshaft heraus lebenslänglich in eine geschlossene Klinik eingewiesen. Dann müsste ein Richter alle drei Jahre über Breiviks Verbleib entscheiden. Sollte der Massenmörder von seiner Psychose geheilt werden, gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn er als Gefahr für die Gesellschaft angesehen wird, käme er ins Gefängnis, wenn nicht, könnte er theoretisch auf freien Fuß kommen.

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