Jedes Wochenende

Anti-Roma-Märsche an der tschechisch-deutschen Grenze

Ausland
29.09.2011 20:03
In der Roma-Unterkunft "Sport" in der deutsch-tschechischen Grenzstadt Varnsdorf ist die Angst förmlich zu greifen. Wenig später wird hier ein Protestzug von Hunderten Einwohnern vorbeiziehen. "Warum müssen unsere Kinder darunter leiden?", fragt eine der Roma-Frauen. Seit mehr als einem Monat sind die 62 Bewohner der Sozialwohnungen - zwei Drittel davon Kinder - jedes Wochenende mit neuen Anti-Roma-Märschen konfrontiert. Nur 500 Meter weiter entlang der Straße beginnt Deutschland.

In einem Garten wirbeln am vorigen Samstag Dutzende Kinder über die Schotterfläche und spielen. Doch bevor die Demonstranten vorbeiziehen, müssen sich die Kleinen im hinteren Teil des Hauses verstecken. Um sie von den Protesten abzulenken, hat der deutsche Journalist Markus Pape eine Filmvorführung und ein Theaterstück für die Kinder vorbereitet. Sie sollen von den Drohungen auf der Straße möglichst wenig mitbekommen. "Wir denken, dass es schlimme psychische Folgen für die Kinder haben könnte", sagt Pape, der auch eine Initiative namens "Hass ist keine Lösung" ins Leben gerufen hat.

Bereitschaftspolizisten halten Wache
Vor dem Haus, nicht weit vom Varnsdorfer Bahnhof entfernt, stehen Bereitschaftspolizisten in voller Montur. Diese hat die Prager Zentralregierung in die entlegene Region an der Grenze zu Sachsen geschickt - vorerst auf unbestimmte Zeit. Mittlerweile haben sich die Polizisten sogar in einem der Nachbarhäuser eine Wache eingerichtet - und per direkter Videoüberwachung ein Auge auf die Roma-Unterkunft.

Rufe der Demonstranten wie "Roma zur Arbeit!" treffen die Angehörigen der Minderheit ins Mark. Keiner der slawischen Arbeitgeber würde ihn jemals einstellen, sagt etwa einer der Männer. Höchstens zur Schwarzarbeit. Jetzt lebt er mit seiner Frau und fünf Kindern von dürftiger Sozialhilfe. Für die Anti-Roma-Stimmung in der Kleinstadt findet er keine Erklärung. "Vielleicht wollen sie ein rassistisches Abenteuer-Wochenende erleben", meint der Familienvater sarkastisch.

Statistiken widerlegen Beschwerden
Bei näherem Hinsehen erweisen sich die Beschwerden der Demonstranten als wenig stichhaltig. So beklagen sie eine massiv gestiegene Kriminalität in der Kleinstadt mit 16.000 Einwohnern. Aber Polizeistatistiken belegen: In den vergangenen fünf Jahren ist die Verbrechensrate um ganze 0,9 Prozent geklettert. Aufwendige Recherchen des Rundfunksenders "Radiozurnal" konnten auch keinen erkennbaren Zuzug von neuen Roma-Familien nachweisen.

Auf dem Hauptplatz der Kleinstadt heizt der Organisator der Protestmärsche, Lukas Kohout, auch am vorigen Samstag wieder eine Menge von etwa 350 Unzufriedenen an. Ministerpräsident Petr Necas könne froh sein, bei einem demonstrativen Besuch in der Unruheregion nicht beklaut worden zu sein, sagt der Rädelsführer. Der 28 Jahre alte Kohout ist eine sonderbare Figur. In Tschechien erlangte er zweifelhafte Berühmtheit, nachdem er sich als Assistent des Präsidenten der UNO-Vollversammlung, Jan Kavan, ausgegeben hatte. In dieser "Funktion" flog er auf Kosten anderer mit einem Privatjet nach Sri Lanka. Seither ist er vorbestraft.

Eine ältere Frau beschwert sich auf der Bühne, dass kleine Roma-Kinder sie angeblich in einem Park brutal belästigt hätten. Kohout schmeißt publikumswirksam eine Kettensäge an. Ein Stuhl wird zu Kleinholz gemacht. Wie die gesamte Demonstration richtet sich auch diese Aktion angeblich gegen die Lokalpolitiker im Rathaus, denen die Stuhltrümmer vor die Tür gesetzt werden sollen. Doch dazu kommt es erst gar nicht, denn sofort ruft einer der Mitorganisatoren: "Lasst uns zur Unterkunft 'Sport' gehen!"

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