Seelischer Schmerz

Essstörung oft Symptom für tiefer liegende Probleme

Gesund
26.09.2011 13:31
2,5 Prozent aller Österreicher sind schon einmal in ihrem Leben an einer Essstörung erkrankt. Das Krankheitsbild, das am häufigsten auftritt, ist laut dem Mediziner Christian Matthai die Fettsucht, gefolgt von Magersucht und Orthorexia nervosa, also dem Zwang zu gesundem Essen. Nicht immer steht bei einer Essstörung ein schlanker Körper im Vordergrund. "Die Essstörung ist ein Symptom für tiefer liegende Probleme", erklärt Psychotherapeutin Anna Wexberg-Kubesch.

"Ich denke, dass da ein gesellschaftliches Problem dahintersteckt. Menschen lieben Extreme. Das gesunde Mittelmaß, das auch bei der Ernährung zu befürworten wäre, wird immer uninteressanter", so Matthai. Besonders Frauen sind von Essstörungen betroffen, denn gerade sie würden enorm viel Wert auf die Figur legen. "Aus Erfahrung weiß man, dass sich Frauen generell auch mehr für die Ernährung und die Gesundheit interessieren als Männer", erläutert der Arzt. Dies kann auch die Psychotherapeutin bestätigen. Es ginge bei einer Essstörung vor allem um die Frage, "wie selbstbestimmt ein junges Mädchen oder eine junge Frau in der Gesellschaft sein kann", so Wexberg-Kubesch.

Das Problem müsse als Krankheit bezeichnet werden und nicht als Laune. Für viele Frauen sei ihr eigener Körper die naheliegendste Möglichkeit, sich individuell auszudrücken, so die Expertin. "Auf meinen Körper kann niemand außer mir Einfluss nehmen." Außerdem würden sich viele junge Frauen an Vorbildern aus der Mode- und Fernsehwelt orientieren, anstatt nach den eigenen Vorstellungen zu leben. "Dieses Fokussieren kann dann kleinschrittweise so extreme Formen annehmen, dass es in einer Krankheit endet", erläutert auch Matthai.

Psychische Probleme oft Auslöser
Es gebe jedoch keinen allgemeingültigen Grund, warum jemand an Essstörungen leidet. Vielmehr liege es an der persönlichen Disposition, wie stark oder schwach sich jemand fühle, so Wexberg-Kubesch. "In vielen Fällen stellen aber auch psychische Probleme den Auslöser dar", fügt Matthai hinzu. "Betroffene versuchen dann, den seelischen Schmerz durch Essen oder auch durch den Verzicht auf Essen zu lindern, was die Situation verschlimmert."

Eine Pauschaltherapie gebe es nicht, vielmehr sei ein Zusammenspiel eines gesamten Netzwerkes wichtig, sind sich beide Experten einig: praktischer Arzt, Familie, Psychiater, Psychotherapeut. "Umso mehr Unterstützung Betroffene bekommen, desto größer sind die Chancen auf Heilung", ist Matthai überzeugt.

Auch auf einen ernährungsmedizinischen Berater zurückzugreifen, kann sinnvoll und wichtig sein. Jedoch wird dieser oft erst zu einem bestimmten Zeitpunkt der Behandlung relevant. "Um es krass auszudrücken: Wenn jemand pro Tag an einer halben Karotte und einem Salatblatt knabbert, braucht er keinen Ernährungsberater", erläutert Wexberg-Kubesch. "Außerdem wissen Menschen mit Essstörungen wahnsinnig gut Bescheid, was es mit jedem einzelnen Lebensmittel auf sich hat, wie viel Kalorien es hat."

Informationen im Netz Fluch und Segen
Viele Informationen holen sich Betroffene über das Internet. Foren, in denen sich Personen mit Essstörungen austauschen, sind Fluch und Segen. "Es ist für diese Menschen wichtig, zu wissen, dass sie nicht allein sind, und sich als Teil einer Gruppe zu fühlen."

Andererseits könne das Problem dadurch noch verstärkt werden. Wexberg-Kubesch meint damit Foren, die sich der sogenannten Pro-Ana-(Pro-Anorexia-) bzw. Pro-Mia-Bewegung (Pro-Bulimie-Bewegung) "verschworen" haben. Die Forenmitglieder würden sich gegenseitig unter Druck setzen, um die Gewichtsabnahme noch radikaler zu betreiben. Doch ein Verbot dieser Foren findet die Expertin nicht ratsam. "Gäbe es diese Foren nicht, würden sie sich auf anderem Weg Informationen holen. Auch vor dem Internet haben Frauen gewusst, wie sie sich zu Tode hungern."

Orthorexia nervosa: Die neue Essstörung
Eine neue Art von Essstörung, gefördert von den Medien, sei der Zwang "ganz, ganz, ganz gesund zu essen" und dabei nur ganz bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen - auch Orthorexia nervosa genannt.

Berichte über die "Gefährlichkeit des Essens" würden die Konsumenten verunsichern. "Geschichten über gentechnisch manipulierte Lebensmittel, verseuchte Milch aus Tschernobyl, verstrahltes Essen aus dem Erdbebengebiet in Japan, über die Schlachtung von Tieren - das löst große Verunsicherung bei Menschen aus." Das innere Bild, dass Essen etwas Beruhigendes, Sicheres und Tröstliches ist, hätten Betroffene nicht mehr vor sich und der eigentliche Hintergrund - der Zwang zur Kontrolle - komme zum Tragen.

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