Hoffnung lebt weiter

Stolz und Skepsis bei Palästinensern nach UN-Antrag

Ausland
24.09.2011 09:18
"Ich bin ganz aufgeregt", sagt einer der Zuschauer in Ramallah, als der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas seine Rede vor den Vereinten Nationen am Freitag begann. "Aber ich glaube nicht, dass wir wegen des Antrags bald einen eigenen Staat bekommen", fügt der Student hinzu. Bereits am Montag berät der UNO-Sicherheitsrat über den Antrag der Palästinenser.

Im Zentrum des Arafat-Platzes in Ramallah ist ein lautstarker Block von Demonstranten. Sie skandieren den Namen von Abbas, schwenken palästinensische Fahnen und veranstalten Pfeifkonzerte, wenn es darauf ankommt. Aber außen herum stehen die Menschen eher nachdenklich und beklatschen selten das, was Abbas im fernen New York zu sagen hat.

"Ich hoffe natürlich sehr, dass Abbas Erfolg haben wird. Aber wenn die USA dagegen sind, dann wird es sehr schwer", meint etwa die 28-jährige Maha. Mit ihrem Mann Azumin und ihren fünf kleinen Kindern ist sie gekommen, den großen Augenblick live mitzuerleben.

Ob sie denn damit rechne, dass zumindest ihre Kinder einmal in einem unabhängigen palästinensischen Staat leben? "Auf jeden Fall, sogar ich werde das noch erleben", gibt sie etwas erbost zurück. Dann braust wieder Applaus auf, nachdem Abbas seinen verstorbenen Vorgänger und PLO-Mitbegründer Yasser Arafat erwähnt hat.

Keine verbrannten Flaggen bei Kundgebung
Der scheint zeitweise wie ein Gespenst durch die Reihen zu schreiten. Ein Arafat-Darsteller, der dem Original verblüffend ähnlich sieht, versetzt die Umstehenden ins Staunen. Zwei junge Männer geraten sich fast in die Haare, weil sich jeder allein mit dem Double fotografieren lassen will. Ansonsten ist die Stimmung sehr friedlich. Niemand verbrennt hier israelische Flaggen oder wie noch zwei Tage zuvor Fotos von US-Präsident Barack Obama nach dessen israelfreundlicher UN-Rede.

Der Platz ist leidlich gefüllt, auch auf den Dächern der Gebäude rundherum drängen sich Menschen. Auf einem riesigen Plakat sind Arafat und Abbas vereint unter dem Slogan "UN 194 Palestine State". Das Fernsehbild zerfällt bisweilen zwar in seine digitalen Einzelteile, und auch die Stimme von Abbas verwandelt sich dann in ein tiefes, unverständliches Gebrummel. Aber großer Beifall brandet sofort wieder auf, wenn Abbas Sätze wie diesen sagt: "Das ist unser Land, und wir werden für immer hierbleiben." Weniger laut ist der Beifall, als er davon spricht, Israel die Hand des Friedens auszustrecken.

"Wir hoffen auf das israelische Volk"
"Klar wird es jetzt nicht gleich einen Staat geben", meint auch der 34-jährige Ouf. "Aber Abu Mazen (Abbas) geht eben einfach so weit, wie das Volk will, das er geht. Er macht das, wovon wir träumen", sagt er. "Wir haben jahrelang alles für den Frieden unternommen. Und die Israelis? Die schießen auf uns. Warum tun sie das", fragt er verärgert. Irgendwann müsse es Frieden mit Israel geben. "Aber bestimmt nicht mit Netanyahu. Wir hoffen eher auf das israelische Volk", sagt Ouf.

Sehr versöhnlich äußert sich ein Familienvater. "Ich hoffe, dass der Antrag auf UN-Mitgliedschaft uns dem Frieden näher bringt", sagt Mahmoud Tarifi, einer der Zuschauer auf dem Arafatplatz. "Dann könnten Israelis und Palästinenser friedlich nebeneinander leben, jeder in ihrem Staat. Aber wir schaffen das nicht allein, wir brauchen die Hilfe der Welt dafür", sagt Tarifi. Euphorie ist das nicht, aber vielleicht das nötige Maß an Realismus, um den wohl noch langen Weg zu einem Ausgleich mit Israel zurücklegen zu können. Und ein guter Schutz gegen Frust.

Sicherheitsrat berät am Montag
Bereits am Montag wird der UNO-Sicherheitsrat über den Antrag der Palästinenser beraten. Dass das höchste UN-Entscheidungsgremium den Antrag auf Mitgliedschaft eines Staates Palästina so rasch aufgreift, ist ungewöhnlich für das Tempo bei den Vereinten Nationen. Laut UN-Charta muss zunächst der Generalsekretär, dann der Sicherheitsrat und zuletzt die Vollversammlung über eine Neuaufnahme entscheiden.

Im Parlament der 193 Nationen gilt den Palästinensern die Mehrheit als sicher. Der kritische Punkt ist aber der Sicherheitsrat. Selbst wenn die Palästinenser die nötigen neun von 15 Stimmen bekommen, wollen die USA mit ihrem Veto eine Aufnahme verhindern. Washington hatte eine Friedenslösung mit Israel immer zur Bedingung für eine Anerkennung eines Palästinenserstaates gemacht.

Fahrplan für den Frieden
Aus Sorge vor neuer Gewalt forderte das Nahost-Quartett unterdessen beide Seiten auf, ihre Friedensgespräche binnen vier Wochen wieder aufzunehmen. Der Fahrplan des Quartetts aus Vereinten Nationen, Europäischer Union, USA und Russland sieht vor, dass sich Israel und die Palästinenser gleich zu Beginn verpflichten, eine Lösung bis spätestens Ende kommenden Jahres anzustreben.

Wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte, sollten dann binnen drei Monaten umfassende Vorschläge in den Fragen Grenzen und Sicherheit gemacht werden. Nach sechs Monaten solle es sichtbare Fortschritte geben, die dann auf einer internationalen Konferenz in Moskau festgeschrieben werden sollten. Im kommenden Jahr sei auch einer Geberkonferenz für die Palästinenser geplant.

Der Beauftragte des Nahost-Quartetts, Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair, sagte: "Wir brauchen eine Lösung, endlich eine Lösung. Und die beste Möglichkeit, das zu erreichen, ist, sich einfach mal hinzusetzen und zu sprechen." Die USA seien "sehr froh, dass es einen klaren Zeitplan gibt", sagte US-Außenministerin Hillary Clinton. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Entscheidung. "Nun sind Israel und die Palästinenser am Zug, ihre Verpflichtung zu Verhandlungen innerhalb der vereinbarten Fristen schnellstmöglich in die Tat umzusetzen und einen glaubhaften und zielorientierten Prozess zu beginnen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

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