Sieg für "Harmonie"

Polit-Erdbeben in Lettland: “Russen” stärkste Partei

Ausland
18.09.2011 14:34
Der Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahl in Lettland kommt einem politischen Erdbeben gleich: Zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion ist erstmals eine von ethnischen Russen dominierte Partei stärkste Kraft im Parlament geworden. Das von Nils Usakovs (auf dem Wahlplakat im Bild) angeführte "Harmoniezentrum" kam bei der Wahl am Samstag auf 28,43 Prozent der Stimmen (31 der 100 Mandate).

Die rechtsliberale "Einheit" von Premier Valdis Dombrovskis landete mit 18,82 Prozent (20 Mandate) nur auf dem dritten Rang, hinter der kürzlich gegründeten "Reformpartei" von Ex-Präsident Valdis Zatlers mit 20,81 Prozent (22 Mandate).

Zwei Fünftel der Bevölkerung Lettlands sind ethnische Russen, doch gelten sie in vielen Bereichen des Lebens als Bürger zweiter Klasse. Viele Letten sehen die russischsprachige Bevölkerung als "fünfte Kolonne" Moskaus, das die ehemalige Baltenrepublik wieder an sich binden will. Wie die beiden anderen Baltenrepubliken Litauen und Estland war auch Lettland im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion annektiert worden.

Parteien von Korruptionsaffären gebeutelt
Beobachter erklären den Erfolg des "Harmoniezentrums" mit ihrer um Aussöhnung zwischen den Sprachgruppen bemühten Politik. Zugleich profitiert die Partei vom Glaubwürdigkeitsverlust der rein lettischen Parteien, die in den vergangenen Jahren bemüht waren, die Russen von der Macht fernzuhalten, dabei selbst aber immer wieder in den Strudel zahlreicher Korruptionsaffären gerieten und unter ständigen internen Machtkämpfen litten.

Dennoch kündigte der geschlagene Regierungschef Dombrovskis am Wahlabend an, Koalitionsgespräche mit der "Reformpartei" von Zatlers beginnen zu wollen. Der Präsident hatte den vorgezogenen Urnengang initiiert, um gegen korrupte Praktiken in der lettischen Politik zu protestieren. Wie zum Beweis dafür verweigerte das Parlament ihm eine zweite Amtszeit, woraufhin er die "Reformpartei" gründete.

Rechtsextreme verdoppeln Stimmenanteil
Dombrovskis, Zatlers und die rechtsextreme "Nationale Allianz", die ihren Stimmenanteil auf 13,86 Prozent (14 Mandate) fast verdoppeln konnte, begannen am Sonntag als erste mit Sondierungsgesprächen. Wahlsieger Usakovs will erst am Montag Sondierungen mit allen Parlamentsparteien - mit Ausnahme der Nationalisten - aufnehmen. Königsmacher ist nach Einschätzung von Politikwissenschaftlern Ex-Präsident Zatlers. Er hat als Premierminister-Kandidaten den politisch unerfahrenen 31-jährigen Betriebswirt Edmunds Spruds ins Rennen geschickt.

Während das "Harmoniezentrum" und die "Reformpartei" rechnerisch eine deutliche Mehrheit von 53 der 100 Mandate im neuen Parlament haben, dürfte sich eine "rein lettische" Regierungsbildung schwieriger gestalten. Zatlers hat nämlich ein Zusammengehen mit der von ihm als korrupt kritisierten Partei "Grüne/Bauernunion" des Ventspilser Bürgermeisters Aivars Lembergs ablehnt, die auf 12,19 Prozent (13 Mandate) absackte. Damit kommt nur noch ein Zusammengehen mit den Nationalisten infrage, gegen die es aber sowohl innerhalb der Dombrovski-Partei als auch innerhalb der Reformpartei große Vorbehalte gibt.

Falls Dombrovskis und Zatlers die Nationalistische Allianz nicht ins Boot holen können, dürfte sich eine Pattstellung ergeben. Das "Harmoniezentrum" würde dann erneut eine Schlüsselrolle erhalten. Den Auftrag zur Regierungsbildung muss Staatspräsident Andris Berzins erteilen. Er befindet sich noch bis Anfang übernächster Woche in den USA, wo er unter anderem an der UNO-Generalversammlung teilnehmen und US-Präsident Barack Obama treffen wird.

OSZE lobt faire Wahlen
Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellten dem Urnengang ein gutes Zeugnis aus. "Die Wahlen fanden in einem demokratischen und pluralistischen Umfeld statt und waren geprägt durch Rechtsstaatlichkeit, Respekt für Grundfreiheiten und das Funktionieren demokratischer Institutionen", heißt es in einer am Sonntag veröffentlichten Aussendung. Allerdings wird dabei die Ausgrenzung vieler ethnischer Russen aus dem Wahlprozess kritisiert. Es sei eine "Herausforderung", dass 16 Prozent der erwachsenen Wohnbevölkerung wegen ihrer fehlenden Staatsbürgerschaft nicht an den Wahlen teilnehmen können und damit auch "ohne Vertretung bleiben".

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