Geheime Dokumente

Wie der MI5 den Staatschef von Guyana stürzte

Ausland
27.08.2011 19:38
In Großbritannien zeigen geheime Dokumente, die am Freitag freigegeben wurden, die gewichtige Rolle des britischen Geheimdienstes MI5 bei der britischen Entkolonialisierung. Anhand 39 erstmals öffentlich einsehbarer Dateiordner lässt sich der Sturz des demokratisch gewählten Staatschefs Cheddi Jagan in Britisch-Guayana - heute Guyana - im Norden Südamerikas detailliert rekonstruieren. Dabei offenbart sich nicht nur die Angst Winstons Churchills vor den Kommunisten, sondern auch die Vorliebe der Briten für Sandwiches.

Laut Christopher Andrew, offizieller Historiker des MI5, bieten die nun freigegeben Dateien neue Details des Coups und stellen einen "weiteren Beweis, dass MI5 eine wichtigere Rolle in der britischen Entkolonialisierung spielte, als oft angenommen" dar, wie er der Tageszeitung "The Guardian" erklärt.

Das Vereinigte Königreich hatte in den frühen 1950er-Jahren einer neuen Verfassung zugestimmt, die es allen politischen Parteien Britisch-Guayanas erlaubte, an den nationalen Wahlen teilzunehmen und eine Regierung zu bilden. Die Macht beließen die Briten dabei aber wohlweislich in den Händen des von ihnen eingesetzten britischen Gouverneurs.

Die bisher geheimen Papiere zeigen, welch intensiver Prüfung britische Spione Cheddi Jagan und seine Frau Janet unterzogen. Das Ehepaar hatte gemeinsam die Fortschrittliche Volkspartei (PPP) gegründet und eine Kampagne für die Rechte der Arbeitnehmer und der Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft für die Zucker produzierende Kolonie im Norden Südamerikas gestartet.

Ein Jahrzehnt der intensiven Überwachung
Die Jagans - ein in den USA ausgebildeter ehemaliger Zahnarzt und seine Frau, geborene Janet Rosenberg in Chicago - schienen zunächst eine unwahrscheinliche Bedrohung darzustellen. Aber die 39 Ordner von Dateien, die nun durch die National Archives freigegeben wurden, sind vollgestopft mit angezapften Telefongesprächen, abgefangenen Briefen und Rechnungen der intensiven Überwachung, die mehr als ein Jahrzehnt andauerte.

1951, im Jahr nachdem die Jagans ihre Partei PPP gegründet hatten, beschrieb ein auf der nahegelegenen Insel Trinidad stationierter MI5-Agent das Ehepaar als "etwas Neues in der Politk Britisch-Guayanas". Beide seien fähig und intelligent und die bloße Tatsache, dass Janet Jagan weiß, jung und nicht unattraktiv in ihrer Erscheinung sei, verleihe ihren Aktivitäten und denen ihres Mannes großes Interesse, schrieb der Agent.

Unzufrieden über "störende Possen"
Den britischen Behörden bereiteten die Jagans Kopfschmerzen. Und für die Amerikaner stellten sie eine potenzielle kommunistische Bedrohung vor der eigenen Haustür dar. MI5 kam zwar zu dem Schluss, dass die PPP keine finanzielle Unterstützung von irgendeiner kommunistischen Organisation außerhalb des Landes erhalte, trotzdem wuchs in Großbritannien die Unzufriedenheit über die "störenden Possen" der Jagans.

Nachdem die PPP mit großer Mehrheit als Sieger bei den Wahlen 1953 hervorgegangen war und Cheddi Jagan Premierminister wurde, entschied sich Churchill zu handeln. "Wir sollten in unseren Bemühungen, die kommunistischen Zähne in Britisch-Guayana zu zerbrechen, sicherlich die amerikanische Unterstützung erhalten", schrieb er an seinen kolonialen Sekretär.

Startschuss für "Operation Windsor"
Am Ende wirkten die Briten letztlich alleine und unternahmen eine militärische Operation mit dem Codenamen "Windsor". Churchill entsandte das Kriegsschiff HMS Superb und Hunderte von Soldaten per Flugzeug und Schiff, um die wichtigsten Standorte zu sichern. Am 9. Oktober setzte Großbritannien dann die Verfassung Britisch-Guayanas außer Kraft, feuerte die Gesetzgeber des Landes und verhaftete die Jagans.

Die überraschende militärische Operation verlief nach Plan. Der MI5-Offizier in Trinidad stellte mit stiller Genugtuung fest, es sei offensichtlich gewesen, "dass die PPP-Führer keine Ahnung von der Außerkraftsetzung der Verfassung oder ihrer möglichen Verhaftung gehabt hätten". Und der Spion bedankte sich in einer Notiz noch bei den Frauen, die der Armee bei ihrem Marsch geholfen hatten.

600 Sandwiches für die britischen Truppen
"Ich möchte als Zwischenbemerkung ergänzen, dass die Catering-Arrangements für die Luftlandetruppen während ihres Aufenthalts in Trinidad von Mrs. Beadon, der Frau des Polizeikommissars, meiner Gattin Mrs. Rahr und Joyce Huggins durchgeführt wurden (...) und es wurden meines Wissens nach nicht weniger als 600 große Sandwiches von diesen Damen gemacht", schrieb der MI5-Agent.

Ein empörter Cheddi Jagan appellierte via Telegramm an die britische Opposition, ihm und seiner Frau zu helfen. Die Antwort des damaligen Parteichefs der Labour Party, Clement Attlee, fiel kurz aus: "Bedaure, unmöglich einzugreifen." Für die nächsten drei Jahre wurde Britisch-Guayana unter Notstandsbefugnissen vom britischen Gouverneur und eigens eingesetzten Beamten regiert. Die Jagans wurden unter Hausarrest gestellt und strikt überwacht.

Angst vor Kommunismus als treibende Kraft
In den folgenden Jahren begann die Position der MI5 gegenüber Cheddi Jagan etwas aufzuweichen. Der Geheimdienst erkannte immerhin an, dass er ein kluger und beliebter Politiker sei, auch wenn der Agent in Trinidad keinen Hehl aus seiner Abneigung Janet Jagans machte, die er als überzeugte Kommunistin beschrieb, die "kompromisslos in ihrem Hass" sei.

In den 1960er-Jahren sorgten sich britische Spione dann, die Jagans könnten sich dem jungen kommunistischen Kuba zuwenden und ihr Land zu einer Basis für die lateinamerikanischen Revolutionäre machen. "Wenn die Jagans nach der Unabhängigkeit an der Macht bleiben und wenn ihre Aktivitäten und Ansichten unverändert bleiben, werden sie eine Bedrohung für die Stabilität sowohl Britisch-Guayanas selbst und der benachbarten Gebiete darstellen", schrieb der Offizier.

Briten gaben Druck des Weißen Hauses nach
Historiker Andrew sagte, es sei aufgrund zuvor veröffentlichter offizieller Dokumente klar, dass die britischen Regierungen "dem Druck aus dem Weißen Haus nachgaben, damit die CIA geheime Mittel einsetzen konnten, um sicherzustellen, dass der erste Führer des unabhängigen Guyana im Jahr 1966 nicht Cheddi Jagan werde". Andrew fügte in einem Podcast der National Archives hinzu: "In den meisten britischen Kolonien gab es eine relativ freundliche Übergabe der Macht an unabhängigen Regierungen. Britisch-Guayana war eine bemerkenswerte Ausnahme."

Die Jagans blieben eine wichtige Kraft in Guyanas Politik und Cheddi Jagan wurde bereits 1961 wieder Premierminister. Hier enden auch die MI5-Dateien über seine Partei. Nach dem Ende des Kalten Krieges diente Jagan von 1992 bis zu seinem Tod im Jahr 1997 als Präsident von Guyana. Seine Frau folgte ihm zwischen 1997 und 1999. Sie starb im Jahr 2009, im Alter von 88.

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