Rebellen feiern Sieg

Libyen: Gadafis Regime vor dem Zusammenbruch

Ausland
22.08.2011 08:35
Das Ende des Regimes des libyschen Diktators Muammar al-Gadafi scheint nach mehr als 40 Jahren gekommen. Am frühen Montagmorgen war die Hauptstadt Tripolis nach Angaben der Rebellen bis auf wenige Widerstandsnester vollständig in der Hand der Regimegegner. Die Leibgarde von Gadafi habe die Waffen niedergelegt, berichteten Sprecher der Aufständischen. Zwei Söhne Gadafis wurden festgenommen, ein dritter unter Hausarrest gestellt. Über den Aufenthaltsort von Gadafi selbst lagen zunächst keine Informationen vor. Ein Vertreter des Übergangsrates sagte, er "glaube nicht, dass Gadafi noch in Tripolis" sei.

Die Rebellen hatten am frühen Montagmorgen den Grünen Platz im Herzen von Tripolis unter ihre Kontrolle gebracht. Fernsehsender zeigten Hunderte von Menschen, die auf dem Platz in der Nähe des Anwesens von Gadafi feierten und Freudenschüsse abgaben. Andere schossen auf Riesenposter mit dem Konterfei von Gadafi. Laut dem Nachrichtensender Al-Jazeera kündigten die Rebellen an, den Platz wieder in "Platz der Märtyrer" umzubenennen. Die Rebellen besetzten auch das staatliche Rundfunkgebäude.

Auch in der Rebellenhochburg Bengasi und anderen Städten wurden Feuerwerkskörper gezündet und Freudenschüsse abgefeuert. "Wir gratulieren dem libyschen Volk zum Sturz von Muammar al-Gadafi und rufen das libysche Volk auf, auf die Straßen zu gehen und das öffentliche Eigentum zu beschützen. Lang lebe das freie Libyen", heißt es in einer in der Früh verbreiteten Erklärung des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, berichtete die Tageszeitung "New York Times" auf ihrer Website.

Heftige Gefechte bei Gadafis Residenz
Trotzdem lieferten sich Truppen Gadafis auch weiterhin Kämpfe mit den Aufständischen. Die Gadafi-Anhänger würden noch vier Zonen von Tripolis und damit 15 bis 20 Prozent des Stadtgebiets kontrollieren, sagte ein Sprecher der Rebellen gegenüber Al-Jazeera. Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete von heftigen Gefechten in der Nähe der Residenz des Diktators. Ein Panzer habe nach Angaben der Rebellen die Gadafi-Residenz verlassen und Schüsse abgegeben.

Auch im Süden der Hauptstadt wurde am Montag nach wenigen Stunden Waffenruhe wieder gekämpft. Seit 6 Uhr waren Explosionen und das Feuer schwerer Waffen zu hören. Auch in der Nähe des Hotels, in dem die meisten ausländischen Journalisten untergebracht sind, gab es Gefechte.

Viele Soldaten Gadafis seien gefangen genommen worden, hieß es. Andere würden immer noch Widerstand leisten. Gadafis Regierungssprecher Moussa Ibrahim sagte am Sonntagabend, in Tripolis habe es bei den Kämpfen mindestens 1.300 Tote gegeben. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen libyschen Regierungsvertreter, der sagte, 376 Menschen seien bei den Auseinandersetzungen getötet worden und rund ein tausend verwundet.

Gadafi-Söhne von Rebellen festgenommen
Im Westen von Tripolis hatten die Rebellen laut Al-Jazeera am Sonntag drei Söhne von Gadafi gefangengenommen, darunter den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Saif al-Islam. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder Al-Saadi in einem Touristendorf festgenommen worden, berichtete ein Sprecher der Aufständischen, Abu Bakr al-Tarbulsi. Der älteste Sohn, Mohammed al-Gadafi, wurde in seinem Anwesen unter Hausarrest gestellt. Die Aufständischen würden für seine Sicherheit garantieren, sagte Mohammed al-Gadafi in der Nacht zum Montag in einem Telefoninterview Al-Jazeera.

Gegen Gadafi, seinen Sohn Saif al-Islam und seinen Schwager, den Geheimdienstchef Abdullah Senussi, liegen internationale Haftbefehle vor. Ihnen werden schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Luis Moreno-Ocampo, rief den libyschen Übergangsrat in Bengasi deshalb auf, Saif al-Islam nach Den Haag zu überstellen.

Schon an diesem Montag wolle man darüber verhandeln, wie die Auslieferung ablaufen könnte, sagte er dem US-Sender CNN. Der Nationale Übergangsrat setzt aber offenbar darauf, die Verantwortlichen in Libyen vor Gericht zu stellen. Dazu habe Libyen das volle Recht, betonte frühere Botschafter des Landes in den USA, Ali Aujali, der inzwischen für den Übergangsrat spricht, in Al-Jazeera.

"Ihr müsst auf die Straße gehen, um die Ratten zu bekämpfen"
Gadafi selbst hatte sich am späten Sonntagabend zum dritten Mal an diesem Tag an seine Anhänger gewandt. In einer Audio-Botschaft beschwor er im Staatsfernsehen seine Gefolgsleute: "Ihr müsst auf die Straße gehen, um die Ratten und Verräter zu bekämpfen. Alle Stämme müssen nach Tripolis marschieren, um es zu beschützen. Wenn nicht, werdet ihr Sklaven der Kolonialisten werden."

Der Diktator hatte in einer weiteren Rede auch europäische Länder beschuldigt, lediglich hinter dem libyschen Öl her zu sein. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy "will unser Öl", so Gadafi.

Ein zuvor von Gadafi gemachtes Angebot zu Verhandlungen lehnten die libyschen Rebellen ab. Die Aufständischen würden ihre Offensive erst dann beenden, wenn Gadafi seinen Rücktritt erklärt habe, sagte der Chef des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abd al-Jalil, am Sonntag dem Sender Al-Arabiya. Die Hauptstadt Tripolis werde im Zuge von "Operation Sirene" "bis Montag eingenommen sein", hatte einer der Militärchefs der Aufständischen bereits am Nachmittag verkündet.

US-Präsident sieht Land vor dem Wendepunkt
US-Präsident Barack Obama sieht Libyen vor dem Wendepunkt. Tripolis entgleite dem "Griff eines Tyrannen", das Regime zeige Anzeichen des Zusammenbruchs, erklärte Obama am Sonntagabend nach einer Mitteilung des Weißen Hauses in Washington. Der sicherste Weg, um das Blutvergießen zu beenden, sei einfach: "Muammar al-Gadafi und sein Regime müssen erkennen, dass ihre Herrschaft zu einem Ende gekommen ist." Gadafi müsse einsehen, dass er Libyen nicht länger kontrolliere. "Er muss ein für alle Mal die Macht aufgeben."

In dieser historischen Zeit müsse der nationale Übergangsrat der Rebellen die notwendige Führungsstärke zeigen, um das Land durch die Phase des Übergangs zu steuern. Obama erklärte weiter: "Wir werden weiterhin mit unseren Alliierten und Partnern in der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um das libysche Volk zu beschützen und einen friedlichen Übergang zur Demokratie zu unterstützen."

NATO hatte Angriffe auf Tripolis verstärkt
Auch die NATO rechnet mit einem schnellen Ende des Regimes. "Heute können wir anfangen, eine neue Zukunft aufzubauen", erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in der Nacht zum Montag in Brüssel. "Das Gadafi-Regime bröckelt eindeutig." Rasmussen forderte Gadafi und seine Truppen auf, die Macht niederzulegen. "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Libyen zu schaffen - einen Staat, der auf Frieden beruht, nicht auf Angst; Demokratie, nicht Diktatur; dem Willen aller, nicht den Launen weniger."

Aufständische: Nur zwei Möglichkeiten für Gadafi
Für die Rebellen hat Gadafi - dies wurde bereits vor "Operation Sirene" betont - nur zwei Möglichkeiten: Entweder werde er sich ergeben oder er schaffe es, sich aus Tripolis in eine andere Region oder ins Ausland abzusetzen - jüngste Gerüchte hatten eine mögliche Flucht nach Angola oder Simbabwe zum Thema, zuvor wurde auch Algerien genannt. Sollte sich Gadafi entscheiden, Libyen zu verlassen, würden die Rebellen dies "positiv begrüßen und akzeptieren".

Das libysche Fernsehen hatte in der Nacht auf Sonntag eine im Voraus aufgezeichnete Rede von Gadafis Sohn Saif al-Islam vor einer Gruppe von Anhängern ausgestrahlt. Darin sagte dieser, es sei ausgeschlossen, dass er und sein Vater das Land verlassen würden.

Tunesien erkennt Übergangsrat der Rebellen an
Nachbarland Tunesien erkannte unterdessen nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur TAP den Übergangsrat der Rebellen in Libyen als einzige legitime Vertretung der libyschen Bevölkerung an. TAP vermeldete den Entscheid am Samstag unter Berufung auf das Außenministerium in Tunis. Bisher hatte sich Tunesien in dem seit Monaten andauernden Konflikt neutral verhalten.

Frankreich und Italien gehörten zu den ersten Staaten, die den Übergangsrat der Aufständischen als legitime Vertreter Libyens bezeichnet hatten. Nach und nach folgten weitere Staaten, Österreich erkannte den Übergangsrat im Juni an. Zugleich wurde im Wiener Außenministerium aber betont, dass Österreich Staaten anerkenne, nicht Regierungen.

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