"Annus horribilis"

Erneutes Drama vor Lampedusa schockt Italien

Ausland
05.08.2011 11:25
Ein neues Flüchtlingsdrama erschüttert Italien: Rund 100 Migranten, die vor einer Woche an der libyschen Küste aufgebrochen waren, sind bei der Überfahrt in Richtung Lampedusa verhungert und verdurstet, ihre Leichen wurden einfach ins Meer geworfen. Die italienischen Medien sprechen bereits von einem "annus horribilis" - einem Horrorjahr.

Mehrere Augenzeugen an Bord des Flüchtlingsbootes berichteten am Freitag von schlimmen Szenen während der Überfahrt. "Über 400 Personen befanden sich an Bord des Bootes. Nach einiger Zeit hat der Motor nicht mehr funktioniert, das Boot ist tagelang auf offener See herumgetrieben. Vor allem Frauen und Kinder sind unter der prallen Sonne verdurstet, ihre Leichen wurden ins Meer geworfen", erzählte eine schwer geschockte Überlebende.

Das Boot war vor genau einer Woche von Libyen abgefahren. Tagelang sollen die Migranten ohne Hilfe auf dem Boot auf offener See ausgeharrt haben. 40 dehydrierte und geschockte Flüchtlinge wurden im Krankenhaus von Lampedusa behandelt. "Ihr Zustand hat sich gebessert", erklärte der Leiter des Krankenhauses Pietro Bartolo. Eine Frau mit Nierenproblemen wurde in ein Krankenhaus in Palermo eingeliefert.

Traurige Statistik mit über 1.700 Toten
Die toten Flüchtlinge reihen sich in eine traurige Statistik ein. Allein seit Beginn der Unruhewelle in Nordafrika verschwanden Schätzungen zufolge über 1.700 Menschen auf ihrer Flucht vor Armut und Krieg in den Fluten des Mittelmeers. Die Zahl übersteigt den bisherigen Rekord von 2008. Damals ertranken bei der letzten großen Flüchtlingswelle im Laufe des Jahres offiziell 1.274 Menschen in der Straße von Sizilien. Die Dunkelziffer liegt dabei ungleich höher.

Von Vermissten und Toten erfährt Europa in der Regel nur durch Berichte Überlebender oder im Meer treibende Leichen. Italienische Medien sprachen Freitag bereits von einem "annus horribilis" - einem neuen Horrorjahr.

Erst am Montag 25 Leichen auf Schiff entdeckt
Die schockierenden Berichte über tragische Überfahrten über das Mittelmeer häufen sich dabei. Am Montag waren in einem aus Libyen abgefahrenen Flüchtlingsboot 25 Menschen tot aufgefunden worden (siehe Infobox). Die Leichen junger afrikanischer Männer wurden im Laderaum des Schiffes gefunden, auf dem sich insgesamt 271 Personen, darunter 36 Frauen und 21 Kinder, befanden. Die Migranten seien gestorben, weil sie stundenlang die Abgase des Motors eingeatmet hätten.

Nicht ausgeschlossen wird, dass die Migranten im Laderaum eingesperrt worden seien, um sie daran zu hindern, auf das überfüllte Bootsdeck zu steigen. Die italienische Polizei ermittelt gegen eine kriminelle Organisation, die die dramatische Reise der Flüchtlinge nach Italien organisiert haben soll. Sechs Männer, die das Flüchtlingsboot gesteuert haben, wurden von der Polizei am Freitag festgenommen. Dabei handelt es sich um Syrer, Somalier und um einen Marokkaner.

Die sechs Männer wurden von den Flüchtlingen als jene Personen angezeigt, die die 25 Migranten im Lagerraum des Bootes eingesperrt haben sollen. Die Flüchtlinge im Lagerraum hätten nach einigen Stunden Reise versucht, den stickigen Laderaum zu verlassen, in dem sie die Abgase einatmen mussten. Sie wurden jedoch daran gehindert. Das Boot sei so überfüllt gewesen, dass es für andere Personen im Freien keinen Platz mehr gab. An Bord waren einer Hilfsorganisation zufolge Flüchtlinge aus Somalia, Nigeria und Ghana.

Extrem gefährliche Mittelmeerroute
Seit Jänner wählten 43.000 Immigranten die als extrem gefährlich geltende Mittelmeerroute, um Italien und damit Europa zu erreichen. Oft sind die Boote wenig seetauglich, fast immer völlig überladen. Viele der Afrikaner können zudem nicht schwimmen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind seit Februar mehr als 20.000 Menschen von Tunesien und 13.000 von Libyen aus über das Meer zu ihrer gefährlichen Fahrt in Richtung Lampedusa aufgebrochen.

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