Sechszylinder-Test

BMW K 1600 GT: Alles nur eine Frage des Alters?

Motor
14.08.2011 21:12
Ausgerechnet Radio Niederösterreich und der Comfort-Modus des ESA-II-Systems sind eingestellt, als ich meine dicke Bayerin abhole: die BMW K 1600 GT. Dabei ist sie doch der sportlichere Zwilling des Sechszylinder-Schwesternpaares GT/GTL. Viel mehr Blößen hat sich die dynamische Dame aber seither nicht mehr gegeben.
(Bild: kmm)

Wobei mir der Empfang schon zu denken gegeben hat. Auf unserer Facebook-Seite haben Leser mir zudem bestätigt, dass die Maschine für mich wohl eigens vorbereitet gewesen sei und mir Jugendliche in der Schnellbahn ihren Sitzplatz anbieten sollten.

Spottet nur. Der Radiosender ist schnell geändert und der Rundfunkempfänger mit etwas Einfühlungsvermögen in die Technik auch so endgültig abgeschaltet, dass mir die neue Wahl nicht jedes Mal entgegenplärrt, wenn ich die Zündung einschalte. Das ist wichtig, weil sonst die Nachbarn genervt sind und außerdem der sanfte Sound des seidigen Sechszylindermotors nicht angemessen zur Geltung kommt.

Und der ist aller Ehren wert. Klingt tatsächlich nach BMW-Sechszylinder, wie man ihn seit Jahren oder (wie in meinem Fall) Jahrzehnten in der Auto-Abteilung des Gedächtnisses abgespeichert hat. Die lange Ahnenreihe kann stolz sein auf die nachdrückliche und doch sanfte Kraftentfaltung, das Mörder-Drehmoment (175 Nm bei 5.250/min.) und die erhabene Leistung von 160 PS. Der Kleinste und Leichteste seiner Art (555 mm Breite, 102,6 kg) hat mit dem samt Seitenkoffern 342 kg wiegenden Tourer nicht die geringste Mühe.

Der Fahrer übrigens (in der Regel) auch nicht. Es gab zwar Zeiten, da BMW Autos baute, die fast das Gleiche wogen, doch der Schwerpunkt der K 1600 GT ist so niedrig, dass sogar Rangieren nicht zur schweißtreibenden Fronarbeit wird (wenn es nicht gerade abschüssig und rutschig ist), und das Fahren fällt sowieso in die Kategorie "Froh-Arbeit". Nicht nur einmal wurde ich unterwegs von anderen BMW-Fahrern gefragt, ob die Sechserin denn speziell in Kehren und engen Kurven nicht wahnsinnig unhandlich sei – nein, ist sie nicht.

Mischung aus Motorrad, Auto, Schnellzug und Wal
Zielgenau zieht man um Kurven, wie auf Schienen hält sie die Linie, der Duolever vermindert das Bremsnicken. Auch ein Wal ist wendig, wenn er in seinem Element ist. Hat man sich erst mal ein wenig an sie gewöhnt, steigt der Puls nicht mal mehr an, wenn die nächste steile, enge Kehre kommt. Solange man nicht aus Angst stehen bleibt, fällt man nicht um, der Motor zieht sogar bei 800/min. noch sauber durch, wenn man mal zu langsam geworden ist oder ein Gang zu viel eingelegt ist.

Das "Eigenleben", das der Kupplungshebel entwickelt, ist nicht besorgniserregend, man spürt lediglich die Arbeit der "selbstverstärkenden Mechanik" im Kupplungskorb, welche die linke Hand des Fahrers entlasten soll. Das Getriebe ist der einzige Punkt an der großen Schönheit, der Anlass zu echter Kritik geht. Es klackt laut, ist nicht sonderlich exakt und es kann auch mal ein Gang rausspringen. Dass man den Kardanantrieb hin und wieder spürt, wollen wir mal unter Geschmackssache verbuchen.

Hervorragende elektronische Helfer
Das teilintegrale ABS ist serienmäßig und regelt absolut feinfühlig. Aufpreis kostet dagegen die Antriebsschlupfregelung DTC, die aus der S 1000 RR stammt. Ebenfalls ins Geld geht die Fahrwerksregelung ESA II, die das Fahrverhalten in drei Grundstufen (Sport, Normal, Comfort) und zusätzlich je nach Beladungs- bzw. Soziuszustand anpasst. Anfangs vielleicht etwas verwirrend ist, dass es noch eine weitere dreistufige Einstellmöglichkeit gibt, nämlich Dynamic, Road und Rain. Dies sind Fahrmodi, die in die Charakteristik des Motors und der DTC eingreifen. Das ABS wird in keinem Fall beeinflusst.

Viel zu bedienen
Erstaunlich reibungslos komme ich nach einiger Zeit mit der Bedienung der überbordenden Ausstattungsdetails zurecht. Per Menü-Knopf und Rändelrad am linken Lenkergriff, das sich zusätzlich zum Drehen auch seitlich drücken lässt, und Farb-TFT-Display erschließen sich die meisten Funktionen. Eine Extra-Taste lässt sich wahlweise fix belegen, z.B. mit der Griffheizung oder der Fahrwerksregulierung. Zusätzlich befindet sich daneben ein praktischer Schalter für den serienmäßigen Tempomaten, und die Verkleidung trägt noch ein paar Knöpfe für die Radiobedienung (außerdem ein iPod-/USB-Fach samt Anschluss und ein weiteres wasserdichtes Fach).

Mit dem "Multicontroller" (das Links-rechts-drück-Drehrad) lässt sich sogar das optionale Navigationssystem teilweise bedienen, der Rest der Funktionen über den Touchscreen, was mit Handschuhen sogar besser funktioniert als ohne. Daran, dass der Blinker relativ weit weg vom Daumen ist (weil man ja über den Multicontroller drüber muss), gewöhnt man sich schnell.

Die beste Idee seit Erfindung der Scheinwerfer
Eine echte Sensation – nicht nur technisch gesehen, sondern vor allem für den Fahrer – stellt das optionale dynamische Kurvenlicht dar. Ist der serienmäßige Xenonscheinwerfer schon herrlich für die Nachtfahrt, wird die Nacht buchstäblich zum Tag, wenn die BMW in die Kurven hineinleuchtet. Die Schräglage wird dabei – und das ist die Sensation – ausgeglichen. So schnell und sicher war ich noch nie bei Dunkelheit unterwegs.

Spätestens jetzt fällt auf, dass die 1600er-Reihe von BMW einiges mit Autos gemeinsam hat. Fehlt nur noch eine Zentralverriegelung mit Funkfernbedienung? Auch die ist erhältlich. Sie öffnet bzw. versperrt die intelligenten Seitenkoffer, wenn vorhanden das Topcase und die kleinen Fächer in der Verkleidung. Leider verhält sich die Sechserin auch im Stau und bei der Parkplatzsuche wegen ihrer etwas ausladenden Formen ähnlich wie ein Auto.

Wir wollen die GTL nicht verschweigen
Noch ein Wort zur etwas dickeren Schwester namens GTL. Technisch ist sie identisch mit der GT, allerdings machen mit ihr lange Geraden mehr Spaß als Kurven. Ihr hat der Hersteller das Cruisen als Ausrichtung mitgegeben. Leider ist dabei die Sitzposition gründlich misslungen: Die Position der Fußrasten ist so weit hinten, dass ein ziemlich dynamischer Kniewinkel entsteht. Der wird allerdings durch das aufrechte Sitzen und den entsprechend gemütlichen Lenker ad absurdum geführt. Oder umgekehrt.

Fazit
Die BMW K 1600 GT ist dagegen ein durch und durch gelungenes Motorrad, das Maßstäbe setzt. Die monumentale und doch schlanke Verkleidung bestimmt die Optik und bietet besten Windschutz (mit elektrisch verstellbarem Windschild und manuell bedienten Windklappen), der Reihensechszylinder bestimmt den Sound und das ESA die Gangart. Der Geldbeutel bestimmt über Haben und Nichthabenkönnen und Ausstattung. Die Preisliste beginnt bei 23.900 Euro, die Aufpreisliste gibt von ESA über Audiosystem bis zum Navi einiges her.

Welchen Sender man dann einstellt, bleibt jedem selbst überlassen, Geschmack kann man nicht kaufen. Und einen (beheizbaren) Sitzplatz kann man getrost auch der Sozia anbieten.

Stephan Schätzl

Warum?

  • Weil der Sechszylinder großartig ist.
  • Trotz Gewicht hervorragend zu fahren.

Warum nicht?

  • Verbesserungswürdiges Getriebe.
  • Soziusfußrasten zu nah an den Fahrerfußrasten.

Oder vielleicht …

… eine Honda Goldwing, wegen des Sechszylinders. Allerdings ganz anderer Charakter und 80 kg schwerer.

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(Bild: kmm)



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