Amtsmissbrauch

Akten Monate nicht bearbeitet: Anklage gegen Staatsanwalt

Wien
18.05.2011 16:05
Ein vermutlich überforderter Wiener Staatsanwalt soll mithilfe eines Kanzleimitarbeiters in zahlreichen Fällen Akten nicht bearbeitet, sondern über Monate hinweg in seinen Schränken und Regalen "schlummern" gelassen haben. Der seit Herbst 2009 suspendierte Jurist wird nun wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht gestellt, wie Martin Ulrich, Sprecher der Korruptionsstaatsanwaltschaft, am Mittwoch bekannt gab. Der Verteidiger des Mannes sieht in den Vorwürfen "das Tatbild des Amtsmissbrauchs" nicht verwirklicht.

Der Staatsanwalt, der mit dem Bearbeiten von Strafsachen erheblich in Rückstand geraten war, soll seiner Behördenleitung die Erledigung überfälliger Akten vorgetäuscht haben, indem er inhaltlich unrichtige Eintragungen ins Register vornahm bzw. den Kanzleimitarbeiter anwies, im Register Verfahrensschritte zu vermerken, die in Wahrheit noch nicht erledigt waren.

Akten in Schränken verborgen gehalten
Der Ankläger habe damit "das interne Kontrollsystem ausgehebelt" und die Republik in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Vornahme von Amtsgeschäften geschädigt, sagte KStA-Sprecher Ulrich. Im Zuge einer "Nachschau im Dienstzimmer und in den betroffenen Amtsräumlichkeiten" habe man "eine nicht geringe Zahl von Akten vorgefunden", die der Staatsanwalt in Schränken verborgen gehalten hatte, um den Eindruck zu erwecken, seine Rückstände würden sich noch im vertretbaren Rahmen bewegen.

Verschleppung ohne Auswirkungen?
Offensichtlich gezielt unerledigt blieben unspektakuläre Freifuß-Sachen - Routinefälle, bei denen der oder die Verdächtigen nicht in U-Haft genommen wurden und damit keine Haftfristen zu beachten waren. Wie Ulrich betonte, gebe es "keine Anhaltspunkte, dass der Staatsanwalt jemandem amtsmissbräuchlich geschadet oder jemandem genützt hat".

Kein Verdächtiger sei infolge der Manipulationen zu Unrecht in U-Haft gesessen bzw. im Gefängnis "vergessen" worden. Der Staatsanwalt habe auch "keine materiell falschen Entscheidungen getroffen", hielt Ulrich fest. Bei den rund drei Dutzend Akten, die er amtsmissbräuchlich "verschleppt" haben soll, sei in keinem einzigen Fall Verjährung eingetreten.

Kollegen vermuten "Burnout"
Tatsache bleibt allerdings, dass der Staatsanwalt im Jahr 2009 in zahlreichen Fällen die ihm zugegangenen Anzeigen nicht bearbeitete, sondern über Monate hinweg in seinen Schränken und Regalen "schlummern" ließ. Kollegen des jedenfalls bis zur rechtskräftigen Erledigung seines Strafverfahrens außer Dienst gestellten Anklägers vermuten berufliche Überforderung als Auslöser für das Handeln des Juristen. Er habe sich "sicher im Burnout befunden", dies aber nicht nach außen kommuniziert oder um Entlastung gebeten, hieß es.

Kontrollmechanismen enger gestaltet
Die Staatsanwaltschaft Wien arbeitete die teilweise angejahrten Aktenberge - insgesamt wurden in den Räumlichkeiten des Staatsanwalts mehrere 100 Akten sichergestellt - mittlerweile zur Gänze auf. "Zudem sind im Zuge der Dienstaufsicht die Kontrollmechanismen enger gestaltet worden, sodass so etwas zukünftig nicht mehr passieren sollte", versicherte Behördensprecher Thomas Vecsey.

Mitangeklagt wurde ein Kanzleimitarbeiter der Wiener Strafverfolgungsbehörde. Dieser dürfte sich zunächst aus Gutmütigkeit auf die Bitte des Anklägers eingelassen haben, ihm bei den nicht geschäftsordnungsgemäßen Verfügungen behilflich zu sein bzw. solche selbst vorzunehmen. Dass er vom Staatsanwalt unter Druck gesetzt wurde, wird im Grauen Haus in Kenntnis der handelnden Personen ausgeschlossen.

Causa wegen Befangenheit nach Wiener Neustadt delegiert
Aus Befangenheitsgründen wurde die Causa vom Wiener Oberlandesgericht nach Wiener Neustadt delegiert. Nachdem die Anklage nicht rechtskräftig ist, gibt es für den Staatsanwalt und seinen Kanzleimitarbeiter noch keinen Prozesstermin. Für Missbrauch der Amtsgewalt sieht das Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vor. Die Anklage ist den Verteidigern der beiden Betroffenen am Mittwochvormittag zugestellt worden. Diese haben nun zwei Wochen Zeit, dagegen allfällige Einsprüche vorzubringen.

Verteidigung sieht keinen Amtsmissbrauch
Der angeklagte Staatsanwalt reagierte am Mittwochnachmittag über seinen Verteidiger auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. In einer Stellungnahme wurde betont, dem Staatsanwalt und seinem mitangeklagten Kanzleimitarbeiter würden "bloß mehrere, möglicherweise verfrüht vorgenommene Eintragungen von Enderledigungen in das Register angelastet".

Die den verfrühten Eintragungen zugrundeliegenden und in die alleinige Beurteilungskompetenz des Staatsanwaltes fallenden Causen wären von diesem "umfassend und rechtsrichtig geprüft" worden. "Die Prüfungsergebnisse waren materiell vollständig dokumentiert, nur noch nicht formell in die Akten übertragen", hieß es in der Stellungnahme. Nach Ansicht der Verteidigung verwirkliche der angeklagte Sachverhalt aus mehreren rechtlichen Gründen nicht das Tatbild des Amtsmissbrauchs.

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