Gewalt eskaliert

Syrisches Militär geht brutal gegen Demonstranten vor

Ausland
25.04.2011 10:14
In Syrien scheint die Gewalt angesichts der andauernden Proteste gegen das Regime von Staatschef Bashar al-Assad immer mehr zu eskalieren. Hunderte schwer bewaffnete Sicherheitskräfte sind am Montag in der Stadt Daraa aufmarschiert. Wie ein Vertreter der Opposition der Nachrichtenagentur AFP telefonisch sagte, wurden sie von zahlreichen Panzern begleitet. Nach dem Einmarsch seien umgehend heftige Schusswechsel zu hören gewesen. Die Opposition berichtet via Facebook bereits von über 20 Todesopfern.

Die Sicherheitskräfte schossen "in alle Richtungen" und versteckten sich auf ihrem Weg durch die Stadt hinter den Panzern. Sowohl die Stromversorgung als auch das Telefonnetz seien in der Stadt weitgehend zusammengebrochen. Wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete, sagte ein Augenzeuge in einem Gespräch aus Daraa, es seien etwa 3.000 Soldaten in die Stadt eingerückt. Sie würden in Häuser einbrechen. Während des Gesprächs mit dem Zeugen seien Schüsse zu hören gewesen. Menschen hätten laut "Gott ist groß" gerufen.

In Daraa hatte die syrische Protestbewegung gegen Staatschef Assad Mitte März ihren Anfang genommen. Nachdem es dort zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei kam, griffen die Proteste auch auf andere Städte über. Die syrische Führung stellt die Massenproteste als Angriffe krimineller Banden auf die Sicherheitskräfte dar und greift hart durch.

Assad verliert Rückhalt
Staatschef Assad setzt im voll entbrannten Machtkampf auf blutige Gewalt und verliert allerdings zusehends an Rückhalt in den eigenen Reihen. Nachdem allein in den vergangenen beiden Tagen 112 Menschen ums Leben kamen, verschärften die Demonstranten ihren Ton und verlangten nicht mehr nur Reformen sondern direkt den Rücktritt von Assad. Zudem sieht sich Assad verstärkter Kritik aus dem Westen ausgesetzt.

Die Protestbewegung hatte mit Demonstrationen für demokratische Reformen begonnen. Nachdem mehrere Demonstranten getötet worden waren, änderten sich die Parolen. "Freitag war der Wendepunkt", sagte Aktivist Amar Kurabi. Die Regierung habe den Reform-Test nicht bestanden und das syrische Volk verliere die Geduld. "Alles, was das Volk jetzt noch will, ist der Sturz des Regimes." Auf einem Beerdigungszug in südlichen Nawa riefen die Teilnehmer am Sonntag: "Lang lebe Syrien. Nieder mit Bashar!"

Demonstrationen im ganzen Land
Die Demonstrationen am Wochenende hatten erneut fast das ganze Land erfasst. Menschen gingen etwa in Latakia, Homs, Hama oder Damaskus auf die Straße. In der Stadt Jabla wurde Menschenrechtlern zufolge ein Zivilist durch Sicherheitskräfte getötet. Reformen seien nicht mehr der richtige Weg, sagte ein Aktivist. Er bereue jede Minute, in der er daran geglaubt habe. Noch am Freitag hatte die Opposition in einer Resolution ein Ende des Machtmonopols der Baath-Partei, ein demokratisches System und die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Einen Tag zuvor hatte Assad den seit 48 Jahren geltenden Ausnahmezustand aufgehoben. Allerdings blieben andere Gesetze, die der Staatssicherheit weitgehende Vollmachten einräumen, in Kraft. Kurz darauf eskalierte die Gewalt.

Am Freitag erschossen regierungstreue Heckenschützen nach Angaben der Opposition mindestens 100 Menschen. Am Samstag erschossen Assads Sicherheitskräfte zwölf Teilnehmer von Trauerzügen, die den am Vortag getöteten Demonstranten die letzte Ehre erweisen wollten. Damit sind seit dem Ausbruch der Proteste vor fünf Wochen rund 350 Menschen ums Leben gekommen.

Internationale Kritik an blutiger Niederschlagung der Proteste
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte Syrien dringend zum Verzicht auf Gewalt gegen Demonstranten auf. "Die syrische Regierung muss ihre Gewalt sofort stoppen und das Recht der Bürger zu friedlichen Demonstrationen achten", sagte Ashton am Samstagabend in Brüssel. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) appellierte am Samstag an Assad, den Einsatz von Waffengewalt gegen die Bevölkerung sofort zu beenden.

"Ich verurteile die zunehmende Gewalt in Syrien", sagte Großbritanniens Außenminister William Hague am Sonntag. Er sei über das Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte entsetzt. Er rief britische Staatsbürger auf, das Land zu verlassen.

Eine angesehene Gruppe von Juristen forderte den UN-Sicherheitsrat auf, mutmaßliche "Massentötungen der Sicherheitskräfte" zu untersuchen. Drahtzieher und Schützen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, sagte der Generalsekretär der Internationalen Kommission der Juristen, Wilder Tayler.

Razzien bei Bürgerrechtlern, zahlreiche Festnahmen
In der Nacht auf Sonntag nahm die syrische Geheimpolizei nach Angaben von Bürgerrechtlern zahlreiche Aktivisten bei Razzien fest. Die Sicherheitskräfte seien zivil gekleidet und mit Sturmgewehren bewaffnet gewesen, hieß es. Menschenrechtler berichteten, am Samstagabend sei der Vorsitzende der Organisation Komitee für die Verteidigung der demokratischen Freiheiten und der Menschenrechte in Syrien, Daniel Saud, festgenommen worden.

Aus Protest gegen das harte Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten erklärte auch ein islamischer Geistlicher der Regierung seinen Rücktritt. Der Mufti von Daraa, Rezq Abdulrahman Abazeid, sagte, er trete ab, weil Protestteilnehmer von der Polizei erschossen worden seien. Er bezeichnete die Getöteten als Opfer und Märtyrer. Es entspreche nicht der Wahrheit, wenn von oberen Stellen verkündet werde, dass auf Demonstranten nicht geschossen werde, sagte der Prediger dem Fernsehsender Al-Jazeera. Zuvor hatten die Abgeordneten Nasser al-Hariri und Khalil al-Rifai aus Protest gegen die massive Gewalt ihr Mandat niedergelegt. Solch ein Vorgehen funktioniere nicht, sagte Rifai zu Al-Jazeera.

Reisewarnung des Außenministeriums für Syrien
Das Außenministerium warnt inzwischen vor Reisen nach Syrien. "Am Osterwochenende hat sich die Sicherheitslage in Syrien weiter verschlechtert. Vor Reisen nach Syrien wird daher gewarnt", ist auf der Homepage des Ministeriums zu lesen. Den in Syrien lebenden Österreichern gehe es den Umständen entsprechend gut, wie Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal am Montag mitteilte.

Etwa 150 in Syrien lebende Österreicher, zumeist Doppelstaatsbürger, seien registriert. Sie hätten laut Launsky-Tieffenthal aktuell nicht den Wunsch nach einer Ausreise geäußert. Auch sei keiner von ihnen "zu Schaden gekommen". Es wird aber vermutet, dass sich mehr Österreicher in Syrien aufhalten bzw. dort zeitweise leben.

Das Außenministerium hatte bisher vor nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Syrien abgeraten und eine partielle Reisewarnung für die Städte Daraa und Lattakia ausgesprochen. Aufgrund der Proteste "wird dringend empfohlen, sich von Demonstrationen, größeren Menschenansammlungen und Schauplätzen von Polizei- und Militäreinsätzen fernzuhalten". Auch von Foto- oder Videoaufnahmen von Demonstrationen und Kundgebungen wird dringend abgeraten. Inzwischen sei die Einrichtung zahlreicher Checkpoints erfolgt. Überlandstraßen und Autobahnen seien teilweise gesperrt worden; auf der Zufahrtsstraße zum Flughafen Damaskus sei mit Personen- und Fahrzeugkontrollen zu rechnen.

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