Buchstabengewirr

Gérard Depardieu und die Magie des Lesens

Kino
27.04.2011 13:22
In der berührenden französischen Komödie "Das Labyrinth der Wörter" (Kinostart: 29. April) spielt der sanfte Koloss Gérard Depardieu einen Analphabeten, der die Lust am Lesen entdeckt. Depardieu selbst hält es mit Voltaire: "Lesen stärkt die Seele"!

Sie sind die Fenster zur Welt, unsere Augen. Zu unserem realen, uns umgebenden Dasein, aber auch zu einer imaginären, in unserer Vorstellungskraft existierenden Gedanken- und Bilderwelt, deren Schlüssel die Literatur ist. Wer liest, öffnet die Tür zur Poesie. Oder beschreitet voller Neugier die Wege fremder Schicksale. Und eignet sich Wissen an. Wer ein Buch in Händen hält, ist immer reich beschenkt.

Wer nicht lesen kann, nicht zu buchstabieren vermag, der sitzt überschwemmt von Ahnungslosigkeit im Trockenen. Ihm entzieht sich das Geheimnis, das Schriftsteller Zeile für Zeile preisgeben. Ihm sind Wortspiel und lyrische Lust fremd. Wer nicht liest, lebt in einer bernsteinartigen erstarrten Welt, so als säße er vor einem Koffer voller Zeit und wüsste nicht, was damit anfangen.

Der Arbeiter Germain, ein stiller Koloss, dessen riesige Hände von Jugend an nur das Zupacken, nicht aber das Umblättern einer Buchseite gelernt haben, ist Analphabet. Nie hat sich ihm das Buchstabengewirr erschlossen. Doch dann eilt ihm ein Zufall zu Hilfe, der an seinen Verstand, seinen Ehrgeiz appelliert – und ihm die wundersame Welt der Bücher erschließt.

Lust am Lesen entdecken
"Das Labyrinth der Wörter", so der Titel einer einfühlsamen französischen Kino-Komödie – basierend auf Marie-Sabine Rogers Roman "La tête en friche" (wörtlich: "Der brachliegende Kopf") –, in dem ein Analphabet, gespielt von Gérard Depardieu, durch die Begegnung mit einer kultivierten alten Dame die Lust am Lesen entdeckt. Bezaubernd Depardieus Kollegin und "Mentorin im Geiste": die 96-jährige Gisèle Casadesus, die ihre Lebensjahrzehnte mit dem wachen Esprit der im Herzen jung Gebliebenen überspielt.

Regie führte Jean Becker, den man in Frankreich gern "Maître de l’humanité", also "Meister der Menschlichkeit" nennt. Mit Filmen wie "Dialog mit meinem Gärtner" oder "Ein Sommer auf dem Land" betörte er Filmkritiker und sein Publikum. Es ist stets das zärtliche Geschenk verschmitzter Lebensweisheit, das berührt – Szene für Szene.

Gute Fee der Literatur
In einem Park kommen die betagte Margueritte und der füllige Germain zufällig nebeneinander zu sitzen. Sie – die leidenschaftliche Leserin, er – ein Schiffbrüchiger in der rauen See tanzender Buchstaben. Vierzig Jahre und hundert Kilo trennen das ungleiche Paar, das da auf einer steinernen Bank Platz genommen hat. Margueritte wird dem Gelegenheitsarbeiter Passagen aus einem Roman vorlesen, ihn einführen in das Labyrinth der Wörter. Und seinen Eifer wecken. Aus tief empfundener Freundschaft zu der charmanten und zarten alten Dame wird Germain das Lesen üben, er wird sich die Wörter untertan machen, um ihr, dieser guten Fee der Literatur, zu beweisen, dass er es einmal sein wird, der ihr vorlesen wird, wenn ihre Augen zu schwach sind. Eine wunderbar unaufgeregte Parabel, die den Keim stiller unausgesprochener Nähe in sich trägt und von der Hingabe an den Augenblick erzählt.

Zwei herausragende Charaktere und Schauspielergrößen machen diesen nostalgisch angehauchten Streifen zum Erlebnis. Gérard Depardieu, ungeschliffener Rohdiamant des französischen Films, hat zu seiner alten Strahlkraft zurückgefunden. Der plötzliche Tod seines Sohnes Guillaume im Oktober 2008, auch er ein Ausnahmetalent, hatten ihn ins Exil selbst gewählter Einsamkeit getrieben. Lange war er für keinen Part zu haben gewesen.

Gedichte sind Depardieus Leidenschaft
Sein Zugang zum Lesen? G. Depardieu: "Als Jugendlicher waren mir diese extrem dicken Schmöker, sogenannte Weltliteratur, auch suspekt. Man ist in diesem Alter wohl noch nicht reif dafür. Über meine Kinder – und durch das Vorlesen habe ich später begonnen, mich bewusst auf diese phantastische Welt der Autoren einzulassen." Und das Textlernen? G. Depardieu: "Das war immer einfach ein Pingpong-Spiel von Dialogen, die man intus haben musste."

Was lesen Sie heute gerne? G. Depardieu: "Gedichte. Weil sie kürzer sind als Romane. Nein, im Ernst, ein Gedicht in seiner ganzen inhaltlichen Tragweite zu erfassen ist ein schöner Zeitvertreib. Obwohl man lesend die Zeit ja nie vertreibt. Im Gegenteil, man hält sie an. Ich halte es mit Voltaire: 'Lesen stärkt die Seele'!"

Was halten Sie von diesen modernen eBooks? G. Depardieu: "Brauch ich nicht. Ich möchte ein Buch in Händen halten, ich mag den Geruch des Papiers. Und ich möchte meine Rotweinflecken auf den Buchseiten hinterlassen. Mit einem guten Buch kann man sich vermählen..."

von Christina Krisch, Kronen Zeitung

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