Herbe Fekter-Kritik

Schengen-Visa für Tunesier: “Italien putzt sich hier ab”

Österreich
11.04.2011 13:20
Innenministerin Maria Fekter hat Italien mit dessen Ausstellung von Touristen-Visa für Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien eine "unsolidarische Maßnahme" vorgeworfen. Frankreich und Deutschland lehnen das ab, "auch Österreich. Das hat eigentlich einen enormen Staubsaugereffekt auf alle Migranten, die nach Italien gelangen. Italien putzt sich hier ab", empörte sich Fekter am Montag vor Beginn des EU-Innenministerrats, der sich mit der Thematik befasst.

Die Italiener rechneten laut Fekter nämlich damit, dass "diese Menschen in andere EU-Länder gehen. Wenn nach drei Monaten das Visum abläuft, haben diese EU-Staaten dann das Problem der Rückkehr und der Kosten und des Prozederes für die Heimreise" der Flüchtlinge. "Das ist eine neue illegale Migration, das ist ein Faktor, den die EU so noch nicht beantwortet hat." In Österreich gebe es beispielsweise "dreimal so viele illegale Aufgriffe als Asylwerber. Das Asylsystem ist bei uns vom Niveau her zwar stabil und kein Problem, aber die illegale Migration stellt ein Mega-Problem dar", so die Innenministerin.

EU-Kommission "mit falschen Prioritäten unterwegs"
Fekter warf auch der EU-Kommission vor, "mit falschen Prioritäten unterwegs" zu sein. Die Brüsseler Behörde diskutiere "mit highly sophisticated new regulations (sehr ausgefeilten neuen Regelungen, Anm.) im Asylbereich", habe aber keine Antwort auf die illegale Migration. "Die Kommission soll sich endlich darum kümmern, bestehende Regeln einzuhalten, dass die Regeln in allen EU-Ländern umgesetzt werden und dort funktionieren, bevor man ständig über neue Dinge nachdenkt", so Fekter. Wenn man Illegale nach Europa einsickern lasse und dann nur mit den Achseln zucke, brauche man sich über die fatalen Folgen nicht zu wundern.

Sollte Italien bei der illegalen Migration durch die Ausstellung von Schengen-Visa für Flüchtlinge aus Tunesien weitertun, "muss man Schengen andiskutieren. Wenn Bayern andenkt, die Schengen-Grenzen wieder dicht zu machen, müssen wir Österreicher das selbstverständlich auch", erklärte Fekter.

Ihr deutscher Amtskollege Hans-Peter Friedrich hatte zuvor verstärkte Kontrollen angekündigt und Italien vorgeworfen, tunesische Arbeitsmigranten mit "undurchsichtigen Aufenthaltstiteln" auszustatten. "Italien nutzt eine Härtefallregelung im Einzelfall" und stellt diese Genehmigungen "massenweise aus". Die "große Befürchtung" der anderen EU-Länder sei, dass damit ein "Sog" entstehe und "noch mehr Migranten über Italien nach Europa kommen. Das können wir so nicht akzeptieren", erklärte Friedrich.

"Das kann ich als Sicherheitsministerin nicht zulassen"
Fekter erklärte, Österreich werde sich jedenfalls "anschauen, inwiefern wir die Visa von Italien auch tatsächlich anerkennen, ob wir die Menschen einreisen lassen, die sich nicht selbst ernähren können und die nicht nachweisen können, dass sie ihren Unterhalt hier haben". Eine derartige Einreise "würde den Boden für Kriminalität bedeuten - und das kann ich als Sicherheitsministerin nicht zulassen".

Die Vorschläge von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström "sind schön blumig formuliert, aber das ist keine Lösung". Es müsse "unbedingt eine rasche Ausweitung des Mandats für Frontex (Europäische Grenzschutzagentur, Anm.)" geben und eine Hilfe vor Ort in Tunesien sowie ein besseres "Bordermanagement in Nordafrika. Da müssen wir solidarisch sein. Dazu bekennt sich auch Österreich. Das wird wahrscheinlich Geld kosten. Aber illegale Massenströme kosten Europa noch wesentlich mehr".

EU-Innenkommissarin Malmström mit vagen Aussagen
Malmström hatte vor Beginn der EU-Innenministertagung in Luxemburg auf Fortschritte bei der gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union gedrängt. Es sei der Moment gekommen, hier Fortschritte zu erzielen. Was die Flüchtlinge aus Nordafrika betrifft, meinte sie, dass einige Länder bereit seien, schutzbedürftige Menschen aufzunehmen. Auf die Richtlinie zum zeitweisen Schutz im Fall eines Massenansturms angesprochen antwortete sie, es sei zu früh, darüber zu reden - man könne solidarisch sein, auch ohne Regeln zu haben.

Fekter jedenfalls zeigt sich überzeugt, dass Italien trotz der steigenden Flüchtlingsströme die Probleme selbst bewältigen kann. "Italien ist ein großes Land. Das kann schon ein bisschen guten Willen zeigen, um eine seriöse Abwicklung zu bewerkstelligen. Wir werden aber Ähnliches mit Malta diskutieren. Das ist anders zu sehen. Die bemühen sich sehr, haben eine kleine Bevölkerung, eine kleine Insel. Bei einem Ansturm auf Malta muss man hier, was die Solidarität betrifft, wesentlich sorgsamer umgehen als bei Italien", so Fekter.

Schweizer Ministerin: Italiener "ein bisschen provokativ"
Die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga sieht angesichts der Probleme mit Italien das Schengensystem "auf die Probe gestellt". "Was Italien gemacht hat, war aber nicht unrechtmäßig und verstößt nicht gegen Schengen, ist aber keine Lösung der Probleme", so Sommaruga beim EU-Finanzministerrat. Die Schweiz nimmt als Schengen-Mitglied am sogenannten gemischten Schengen-Ausschuss in Luxemburg teil.

Die Italiener seien "ein bisschen provokativ" gewesen, um die anderen "aufzuwecken". Aber "niemand hat gedroht, aus dem Schengen-System deswegen auszusteigen", betonte Sommaruga. Dass Schengen ein Schönwetter-System sei, wies sie zurück. "So krass würde ich das nicht ausdrücken. Aber in der jetzigen Situation sind Schengen und auch das EU-Asylsystem Dublin II auf die Probe gestellt". Das System könne nur funktionieren, wenn Solidarität vorhanden sei.

Italien brachte die ersten Flüchtlinge zurück nach Tunesien
Italien hat unterdessen begonnen, die ersten Flüchtlinge aus Lampedusa nach Tunesien abzuschieben. Eine Maschine mit etwa 30 Migranten an Bord verließ am Montag die süditalienische Insel. Daraufhin begannen die Migranten, gegen die Abschiebung zu protestieren. Dutzende kletterten auf das Dach des Flüchtlingslagers der Insel und verletzten sich selbst mit Messern. Die Polizei umringte das Auffanglager, in dem sich noch rund 1.000 Flüchtlinge befinden. Die Abschiebung der Flüchtlinge erfolgte im Rahmen des vergangene Woche abgeschlossenen Abkommens zwischen Italien und Tunesien zur Bekämpfung der illegalen Migration aus dem nordafrikanischen Land.

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