Panzer beschossen

NATO will sich für getötete Rebellen nicht entschuldigen

Ausland
08.04.2011 15:05
Die verfahrene und zunehmend chaotischer werdende Situation im Kampf der libyschen Rebellen gegen Machthaber Muammar al-Gadafi sorgt nun auch zusehends für Spannungen zwischen Opposition und NATO. Der Vorwurf, die Alliierten würden den Rebellen zu wenig helfen, wird von den verantwortlichen Militärs aber zurückgewiesen. Harte Worte an die Adresse der Widerstandskämpfer gab es bezüglich der jüngsten Fehlangriffe, die den Tod von Rebellen zur Folge hatten. NATO-Vize-Kommandant Russell Harding ließ sich dafür kein "Sorry" entlocken.

Die NATO sieht keinen "Stillstand" bei der von ihr geführten Militäraktion in Libyen. "In der ersten Woche, in der wir die Verantwortung tragen, hat sich das Einsatztempo ständig beschleunigt", sagte der stellvertretende Kommandant der Operation, der britische Konteradmiral Harding, am Freitag in der NATO-Befehlszentrale in Neapel.

"In den vergangenen 48 Stunden sind wir 318 Einsätze geflogen und haben 23 Ziele in Libyen getroffen", so Harding. In der ersten Woche unter NATO-Befehl seien es 1.500 Einsätze gewesen. "Wir fliegen täglich mehr als 600 Stunden, was schon eine erhebliche Anstrengung ist." In Bezug auf den Vorwurf der Rebellen, die alliierten Luftwaffen zeigten zu wenig Einsatz, fügte Harding hinzu: "Wir greifen in der Tat - auch wenn das den Rebellen nicht klar sein mag, denen wir übrigens nicht beweisen müssen, wo wir sind - Ziele an, die direkt Zivilisten bedrohen."

NATO sieht keine Pattstellung, US-Armee schon
Anders als der US-General Carter Ham wollte Harding nicht von einer Pattsituation in Libyen sprechen. "Ja, es bewegt sich, aber nur in einem relativ kleinen Bereich", sagte er. Wenn jemand das als Patt definieren wolle, könne er das tun. Ham, der Chef des US-Afrika-Kommandos, das zu Beginn den Einsatz kommandierte, hatte sich vor dem US-Senat zu Libyen geäußert und gesagt, es sei unwahrscheinlich, dass es den Rebellen gelingen werde, Machthaber Muammar al Gadafi zu stürzen.

Die von der westlichen Militärkoalition am 19. März gestarteten Luftangriffe hätten die Schlagkraft der Gadafi-Einheiten gegen Zivilisten zwar erheblich beeinträchtigt, sagte Ham. Das gelte allerdings nicht für die von den Rebellen kontrollierte und von Gadafis Einheiten belagerte Küstenstadt Misrata im Westen des Landes.

Harding zu Rebellen: Nicht erkennbar, wer Panzer fährt
Eine Entschuldigung für die versehentlichen Luftangriffe auf Rebellen lehnt die NATO ab. "Es scheint, dass unsere Angriffe von gestern den Tod einiger Rebellen zur Folge hatten", sagte Harding, typisch britisch kühl. "Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen." In den beiden umkämpften Küstenstädten Ajdabiya und Brega sei die Lage "fließend" und schwer überschaubar. "Die Lage dort ist unübersichtlich, Panzer und Fahrzeuge sind in allen Richtungen unterwegs, und es ist schwer festzustellen, wer sie fährt."

Bei dem Bombardement von NATO-Kampfflugzeugen nahe Brega waren am Donnerstag drei Panzer zerstört und ein Krankenwagen von Granatsplittern getroffen worden. Mindestens zwei Rebellen und ein Sanitäter starben. "Bis gestern hatten wir keine Ahnung, dass die Aufständischen auch Panzer benutzen", sagte Harding. "Unsere Aufgabe ist der Schutz von Zivilisten. Und Panzer sind in der Vergangenheit benutzt worden, um Zivilisten anzugreifen."

Der Militärchef der libyschen Rebellen, Abdel Fattah Younes, erklärte dagegen, die NATO sei sehr wohl über den Einsatz von Panzern durch die Aufständischen informiert worden. Harding lehnte aber auch eine bessere Kommunikation mit den Rebellen ab: "Wir, die wir Zivilisten mit welchen Überzeugungen auch immer zu schützen versuchen, haben nicht die Aufgabe, die Kommunikation mit den Rebellen zu verbessern." Die NATO würde auch die Rebellen angreifen, falls diese Zivilisten attackierten oder bedrohten, versicherte der Konteradmiral: "Die Antwort muss Ja lauten. Das Mandat der Vereinten Nationen ist sehr klar."

Zivilisten zu schonen, wird immer schwieriger
Die NATO muss sich dieser Tage nicht sonderlich viel Mühe geben, um zu verdeutlichen, wie schwierig die Operation in Libyen mittlerweile geworden ist und was die Prämisse, der Schutz von Zivilisten, bedeutet. In einem Video aus einem britischen Kampfflugzeug, das Reportern am Freitag bei einer Pressekonferenz in der Brüsseler NATO-Zentrale gezeigt wurde, ist zu sehen, wie ein Panzer in der Stadt Misrata durch eine Rakete zerstört wurde. Zuvor hatte dieser Panzer seine Kanone auf ein Gebäude abgefeuert. Nach der Explosion des Panzers flüchteten Gadafi-treue Soldaten auf mehr als einem Dutzend Kleintransportern.

"Die Pro-Gadafi-Kräfte nutzen menschliche Schutzschilde und parken Panzer neben Schulen und Moscheen", erklärte NATO-Sprecherin Oana Lungescu am Freitag. Die NATO verzichte immer dann, wenn das Ziel nicht eindeutig zu identifizieren sei, auf einen Einsatz.

EU rechnet in Kürze mit Militäroperation
Indes verlautete aus der EU, sie werde schon in Kürze mit Soldaten - möglicherweise auch mit Bodentruppen - humanitäre Hilfseinsätze in Libyen schützen. Diplomaten sagten am Freitag in Brüssel, die EU rechne in der kommenden Woche mit einer offiziellen Anfrage des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA). Es werde erwartet, dass die Vereinten Nationen Hilfe für die Zivilbevölkerung von Misrata erbitten. Unmittelbar nach der Anforderung durch OCHA könne eine bereits beschlossene Militäroperation der EU Gestalt annehmen. Die EU-Staaten würden dann gefragt, welche Militärkräfte sie zur Verfügung stellen.

Die EU wird am Montag bei einem Gespräch Ashtons mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen das weitere Vorgehen besprechen. Die EU-Außenminister werden sich am Dienstag bei einem Treffen in Luxemburg mit dem Einsatz befassen. Der italienische Konteradmiral Claudio Gaudiosi soll die Mission von Rom aus leiten. Die Kosten werden zunächst auf 7,9 Millionen Euro geschätzt.

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