Wer ist das Volk?

Die arabische Revolution ist führungslos

Ausland
04.04.2011 15:23
An revolutionärem Eifer mangelt es weder den libyschen Rebellen noch den jemenitischen Demonstranten (Bild) oder der Jugend in Tunesien und Ägypten. Was im arabischen Frühling aber fehlt, sind glaubwürdige Führer. Dies liegt unter anderem daran, dass die Despoten in den vergangenen Jahrzehnten konsequent alle potenziellen Konkurrenten weggebissen haben. In Syrien etwa gab es zeitweise mehr Oppositionelle im Gefängnis als in Freiheit. Und auf der Suche nach libyschen Regimekritikern wurde man bisher in London eher fündig als in Tripolis.

Auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih besetzte die meisten wichtigen Posten in Verwaltung und Armee mit Angehörigen seines Clans. Dadurch wollte er verhindern, dass ihm jemand die Macht streitig macht. Seine Rechnung ging allerdings nicht auf: Denn jetzt forderte ihn sein Halbbruder General Ali Mohsen al-Ahmar heraus, der sich auf die Seite der Demonstranten geschlagen hat. Al-Ahmar taugt jedoch nach Einschätzung unabhängiger Beobachter nicht zum Revolutionsführer, weil er zu viele dunkle Flecken auf seiner Weste hat.

Kein charismatischer Führer in Sicht
Zu einer "ordentlichen" Revolution gehörte in der arabischen Welt bisher immer ein charismatischer Revolutionsführer. Das war in Ägypten so, wo Gamal Abdul Nasser mit der Ideologie des arabischen Nationalismus die Massen euphorisierte, und auch in Libyen, wo der junge Muammar al-Gadafi einst ein neues Zeitalter der Herrschaft des Volkes versprach.

Die neuen arabischen Aufstände und Revolutionen müssen dagegen bisher fast gänzlich ohne Führungspersonal und Visionäre auskommen. "Es sind Revolutionen ohne Anführer", sagt der jordanische Aktivist Mohammed al-Sunaid, "diese Art von Revolution ist erst durch das Internet möglich geworden, weil es den Menschen ermöglicht, sich schnell zusammenzufinden".

Wenn es keine Führungspersönlichkeiten gibt, ist es zunächst zwar leichter, Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen von Unzufriedenen zu vermeiden. Das macht es auch einfacher, viele unzufriedene Menschen auf die Straße zu treiben, die sich dann auf allgemeine Slogans wie "Freiheit und Demokratie" einigen. Doch der Führungsmangel in der Politik wird in der postrevolutionären Zeit zum ernsthaften Problem, weil plötzlich jede der verschiedenen Gruppierungen, die bei den Protesten noch Einigkeit demonstriert hatten, glaubt: "Wir sind das Volk."

Tunesier leiden am Revolutionskater
"Dass die tunesische Revolution spontan war - weder wurde sie von einer Führung geplant noch hat sie eine Führung hervorgebracht - ist ein Segen gewesen, aber gleichzeitig ist es auch ein Fluch", bilanziert die Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden. Denn zweieinhalb Monate nach dem schmählichen Ende der Ära von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ist es den tunesischen Revolutionären noch immer nicht gelungen, einen geordneten Reformprozess einzuleiten. Viele Tunesier, die gejubelt hatten, als Ben Ali das Land verlassen hatte, leiden jetzt am Revolutionskater.

Selbst in Ägypten, wo es um die Meinungsfreiheit in den vergangenen Jahren deutlich besser bestellt war als in Tunesien oder Libyen, tut man sich sehr schwer mit der Frage, wer die Nachfolge von Hosni Mubarak antreten könnte. Ein Präsident aus der Führungsriege der Muslimbruderschaft wäre für etliche Christen und liberale Ägypter ein Grund auszuwandern. Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei hat, weil er lange im Ausland gelebt hatte, nicht genügend Anhänger. Amr Mussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, ist zwar beliebt, aber bisher unterstützen ihn die Vorsitzenden der Oppositionsparteien nicht, was wohl auch mit persönlichen Eitelkeiten zu tun hat.

"Google-Jugend noch im Zustand politischer Unschuld"
Die Jugend, die mit ihren Protestaufrufen im Internet und per SMS ganz wesentlich zum Gelingen der arabischen Aufstände beigetragen hat, ist generell misstrauisch. Da diese jungen Araber mit Staatschefs aufgewachsen sind, die ihre Ämter alle auf Lebenszeit behalten wollten, wünschen sich viele von ihnen nun eine parlamentarische Demokratie, in der die Verantwortung auf viele Schultern verteilt wird. Gleichzeitig sind sie aber kaum bereit, selbst Parteien zu gründen und Verantwortung zu übernehmen. Der ägyptische Politologe Abdelmoneim Said bringt diese Misere denn auch mit den Worten auf einen Punkt: "Die Google-Jugend befindet sich noch in einem Zustand der politischen Unschuld."

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