"Krone"-Interview

“Wir Japaner hoffen auf den rettenden ‘Götterwind'”

Oberösterreich
15.03.2011 16:34
Die Japanerin Maki Namekawa begeistert als Pianistin ihr Publikum in Asien, Amerika und Europa gleichermaßen. Die 41-Jährige lebt mit ihrem aus den USA stammenden Ehemann Dennis Russell Davies, dem Chefdirigenten des Linzer Bruckner Orchesters, in Oberösterreich. Im großen "Krone"-Interview spricht sie – entgegen dem Bild, das wir von Japanern haben – offen über ihre Gefühle. Und warum Linz die ideale Stadt für das Künstlerpaar ist.

"Krone": Frau Namekawa, Ihre Familie lebt in Japan. Wie hat sie die apokalyptischen Tage bisher überstanden?
Maki Namekawa: Meine Eltern und meine Schwester wohnen in Tokio, wobei meine Eltern aus Fukushima stammen. Dort leben mein Onkel und ein Cousin – sie haben das Beben zwar überlebt, aber ihr Haus ist kaputt.

"Krone": Und wie geht es Ihren Eltern jetzt, wo eine Atomwolke Tokio bedroht?
Namekawa: Anfangs waren sie noch sehr gelassen. Die meisten Informationen haben sie nicht aus Japan, sondern von uns aus Österreich bekommen. Bis Anfang der Woche waren sie noch optimistisch. Aber jetzt sind sie sehr irritiert. Das habe ich aus der Stimme meines Vaters herausgehört. Und das tut mir sehr leid. Ich habe ihnen sofort angeboten, zu uns nach Linz zu kommen. Ich hoffe, sie tun es – es ist aber gar nicht leicht, überhaupt zum Flughafen Tokio-Narita zu kommen.

"Krone": Welche Gefühle empfinden Sie bei dem, was Sie derzeit aus Ihrer Heimat hören und sehen?
Namekawa: Hilflosigkeit! Ich bin tief betroffen – in mehreren Punkten. Weil wir eine Naturkatastrophe haben, gegen die man nichts machen kann. Zweitens aber die Atomkraftsache: Wir können jetzt nicht stoppen, was wir selber gebaut haben. Und natürlich vor allem die Frage, wie es mit meiner Familie weiter geht.

"Krone": Hat sich ein aktuelles Bild besonders in Ihrem Gedächtnis  eingeprägt?
Namekawa: In einer japanischen Zeitung war ein Foto einer Mutter, die in ihrem zerstörten Haus nach ihrem dreijährigen Sohn sucht – und ihn tot in den Armen der toten Großmutter findet. Wenn ich das sehe, denke ich, wie vielen Menschen es jetzt so geht. Und da bin ich sehr betroffen!

"Krone": Sie haben am Abend des Beben-Tages im Brucknerhaus ein umjubeltes Konzert gegeben. Können Sie am Piano abschalten und vergessen, was passiert?
Namekawa: Wenn ich auf der Bühne musiziere, dann ist das hoch konzentrierte Arbeit. Da kann man nicht an diese schrecklichen Sachen denken. Aber ein Gefühl, das spürt man schon.

"Krone": So, dass es das Publikum bemerkt?
Namekawa: Das glaube ich nicht. Aber es kann schon sein, dass ich dann etwas – sagt man so? – "wackelig" spiele. Ich bin ja auch nur ein Mensch!

"Krone": Das, was jetzt in Japan passiert, das muss für die Menschen dort ja fast unerträglich sein.
Namekawa: Wir Japaner hoffen auf den rettenden "Gotteswind". Den nennen wir Kamikaze. Man hofft immer, dass es doch irgendwie gut ausgeht. Aber ich kann auch nicht begreifen, was hier geschieht. Ich weiß, dass ich nichts tun kann – und das ist viel schlimmer, als mit den eigenen Schwierigkeiten umzugehen.

"Krone": Ein Gefühl der Ohnmacht.
Namekawa: Ja, schrecklich.

"Krone": Man sagt den Japanern bewundernswerte Besonnenheit und Ruhe nach.
Namekawa: Ja, die Japaner sind so. Wir versuchen, die innere Ruhe zu finden. Die Bilder der Menschen nach dem Erdbeben jetzt sind doch ganz anders, als jene nach dem Hurrikan Katrina in den USA. Japaner zeigen ihre Trauer nicht so.

"Krone": ... und überhaupt wenig Emotion. Gerade Sie aber gelten als besonders gefühlvolle Musikinterpretin!
Namekawa: Ich bin in Europa wohl anders geworden (denkt nach; hält inne). Ich habe mich beim Studium in Deutschland sehr wohl gefühlt, ich habe gelernt, dass ich meine Gefühle nicht verstecken muss.

"Krone": Japaner gehen anders miteinander um.
Namekawa: Ja, wir sprechen und lesen auch mit den Augen, mit der Gestik.

"Krone": Kommunikation ohne Sprache.
Namekawa: Ja, ich habe in Europa erst lernen müssen, alles in Worten mitzuteilen. Und das nicht nur ungefähr, sondern präzise. Ach, ich bin froh, dass ich auf der Bühne nicht sprechen muss (lacht).

"Krone": Sie leben als Japanerin mit ihrem amerikanischen Ehemann in Linz. Wie funktioniert das?
Namekawa: Spannend! Es ist immer wieder interessant, bei den verschiedensten Fragen und Aufgabenstellungen: Wie geht mein Mann damit um – und wie ich? Oft ist unser Zugang zu verschiedensten Dingen ganz unterschiedlich. Amerikaner gehen geradlinig an ein Thema heran, wir Japaner nähern uns kreisförmig.

"Krone": Und die Österreicher ...
Namekawa: ... liegen in der Mitte!

"Krone": So ist Linz gewissermaßen der ideale Ort für ein japanisch-amerikanisches Paar.
Namekawa: Ja, hier ist es gut für uns.

"Krone": Diese japanische Katastrophe – wird Sie nach Ihrer Meinung Ihr Heimatland auch geistig verändern?
Namekawa: Ja, man spürt, dass das Land wieder aufgebaut werden muss – aber nicht so, wie es bisher war. Man hat in den letzten Tagen gesehen, was noch funktioniert: nicht Handys und Internet, sondern die alten, die einfachen Dinge. Ich habe viel nachgedacht über die hohe Geschwindigkeit, in der heute alles gehen muss. Ja, nach dieser Katastrophe muss nicht nur Japan, da muss die ganze Welt nachdenken!

Kronen Zeitung

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