Landestheater NÖ

Roman ‘Verstörung’ sinnlos auf die Bühne gezerrt

Niederösterreich
05.12.2010 12:33
Thomas Bernhards Roman "Verstörung" aus dem Jahr 1967 ist am Samstagabend in einer Bühnenfassung von Karl Baratta, der auch Regie führte, und Gwendolyne Melchinger im Landestheater NÖ in St. Pölten zur Uraufführung gelangt. Worin der tiefere Sinn liegen soll, dieses Prosastück auf die Bühne zu zerren, wurde auch nach fast drei Stunden leider nicht ersichtlich. Das Publikum zeigte sich nach der Premiere dennoch applausfreudig.

Erstarrte Splitter aus dem zweiten Satz von Beethovens Klaviersonate op. 111 dringen aus der rechten Loge, wo Benjamin McQuade - er wird später als stummer Krainer die Bühne erklimmen - am Pianino sitzt. Das Stück beginnt mit einer Art Sprechfuge - ein in jeder Hinsicht unverständlicher Einstieg, der allenfalls symbolisiert: Wir kommunizieren vergeblich, weil aneinander vorbei. Als Landarzt dominiert Paul Wolf-Plottegg den ersten Teil, nur die Arzttasche identifiziert ihn, ansonsten könnte er ebenso ein Geschäftsmann sein. Ihn begleitet auf seinen Visiten der geduckte Sohn (Oliver Rosskopf), der zu seinem Vater offensichtlich ein kafkaeskes Verhältnis hegt.

Christine Jirku als verhärmte Witwe Ebenhöh ist die erste der besuchten Patientinnen, sie kehrt dann als Sauraus Dienerin wieder. Als weltfremder Industrieller überzeugt Helmut Wiesinger ebenso wie als Lehrer und in der Rolle des Zehetmayer, Katharina von Harsdorf ist die depressive Tochter des Landarzts wie auch der Sohn des Fürsten, Brigitte Karner erscheint dreimal in lüsterner Schwesternrolle. Mögen diese Mehrfachbesetzungen auch auf innere Zusammenhänge hinweisen, wirken sie doch zugleich ein wenig wie simple Sparmaßnahmen. Sparsam, nüchtern und kühl ist auch das blaue Einheitsbühnenbild (Daniela Juckel), in dem einige Sitzmöbel hin- und hergerollt werden.

Im zweiten Teil, der viel zu lang geraten ist, was auch der Konzentration der Schauspieler abträglich scheint, setzt Hans Hollmann als Fürst Saurau mit weißem Schal zu mozartlichen Intermezzi noch ein schauspielerisches Glanzlicht, indem er Ironie und Charakterisierung einbringt. Doch was fehlt, ist die dramaturgische Stringenz des Ganzen. Über weite Strecken wird einfach Text aufgesagt, die Personen reden auch von sich und übereinander meist in der dritten Person in indirekter Rede. "Es ist ein unheimliches Buch, das wie eine klassische Erzählung anfängt und den Leser ins Grauen hineintreibt, ohne dass er es merkt", kommentierte Bernhard einst selbst. Davon ist in der St. Pöltner Bühnenfassung absolut nichts zu verspüren.

Unachtsamkeiten finden sich in biografischen Notizen im Programmheft. Weder hat "Lebensmensch" Hedwig Stavianicek Bernhard überlebt noch gibt es einen Roman namens "Alter Meister".

von Ewald Baringer, APA

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