Virtuoser Poseur

Nick Cave rockte mit Grinderman in Wien

Musik
11.10.2010 12:05
Klänge, als würden die Ohren in rohes Fleisch beißen: Grinderman gastierten am Sonntagabend im fast vollen Wiener Gasometer und quälten - ganz dem Bandnamen (Grinderman heißt so viel wie Schinderhannes) gerecht - ihre Instrumente mit Inbrunst. Doch so anarchisch und anarchistisch sich der Garagenrock der Zweitgruppe von Nick Cave und einigen seiner Bad Seeds auch anhörte, war kein Ton reiner Zufälligkeit entsprungen. Das war musikalischer Zorn auf hohem Niveau, ein dämonischer Spaß zum Dampfablassen.
(Bild: kmm)

Willkommen in der Welt der Wolfmänner, der Mörder und Heiden, wo hinter jeder Ecke - in diesem Fall: hinter jeder Songzeile - das Böse lauert! Nein, es lässt auf keine netten Absichten schließen, wenn Cave etwa in "Kitchenette" mit dunkler Stimme davon singt, wie er in der Küche seiner Angebeteten seine Finger in die Teigmasse steckt und dann alle ihre Lebkuchenmännchen zerbricht - "because I waaaaant you". Oder wenn er in "Heathen Child" warnt: "Du glaubst, dein großartiger, großer Ehemann kann dich beschützen - du liegst falsch!" Und kaum hat Cave ausgeheult wie ein räudiges Tier, fährt sein Mitstreiter Warren Ellis über seine elektronische Geige, als würde er einen Baumstamm zersägen.

Musiker gingen in ihren Stücken auf
Grinderman konnte zunächst als ein kurzweiliges Austoben, ein Abstandgewinnen von den Bad Seeds, eine Nebenprojekt älter und situiert gewordener Herrschaften verstanden werden, die noch einmal ihr wildes Temperament ausleben. Doch auf das passable Debüt "Grinderman" folgte das großartige zweite Album "Grinderman2", das losgelöst von der Bad-Seeds-Discographie steht und funktioniert. Die Emanzipation war perfekt. Die Formation, die sich nie ganz ernst nimmt, geht ernsthaft zur Sache: Das ist kein Scherz, versicherte Cave in Interviews. Darum durfte man live erleben, wie die Musiker ihre Stücke nicht nur spielten, sondern in ihnen aufgingen.

Schräg, wüst, schnell und rau
Das komplexe "Mickey Mouse And The Goodbye Man" machte den idealen Anfang und gleich klar, wie Grinderman tickt. Schräg, wüst, schnell, rau, dann wieder melodisch, mal eingängig, mal chaotisch rumpelte das Stück daher, gefolgt vom ächzenden, schleppenden "Worm Tamer" und dem schwerfälligeren, knurrenden "Get It On". Mit "Heathen Child", der aktuellen Single (Video in der Infobox), haben Cave und Co. sogar einen echten Indie-Ohrwurm, der mit seinem komplexen Aufbau allerdings in keiner Sekunde um Airplay buhlt. Grinderman muss nicht unbedingt brachial sein, wie etwa das fast zarte, psychedelisch angehauchte "Palaces of Montezuma" verdeutlichte. Aber gleich ging es mit "Evil" im Death-Metal-Arrangement weiter bis der Höhepunkt, der boshafte "No Pussy Blues", erreicht war.

Fotos: Andreas Graf

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