Ernst H. vor Gericht

Fall Kampusch: Letzter Akt endet mit Freispruch

Österreich
30.08.2010 21:50
„Begünstigung“ warf der Staatsanwalt Ernst H. (47) vor. Weil er seinen Freund, Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil, „der polizeilichen Verfolgung entzogen hätte.“ Verteidiger Manfred Ainedter sprach von einer Notsituation und forderte einen Freispruch – den er auch bekommen sollte. Eines machte der hoffentlich letzte Akt in der „Causa Kampusch“ aber überdeutlich – die junge Frau ist ein bedauernswertes Opfer . . .

„Es geht nicht mehr um die Frage, was passiert ist. Sondern ob mein Mandant Priklopil bei der Flucht unterstützt hat. Das hat er nicht. Denn er selbst befand sich in einer doppelten Notstandssituation. Zum einen hatte er während der Fahrt erfahren, dass sein Freund bewaffnet sei und dass er selbst mit der abscheulichen Tat in Zusammenhang gebracht wird.“ Klare Worte des Verteidigers Manfed Ainedter zum Auftakt eines Prozesses im Wiener Landesgericht, in dem der Angeklagte sehr blass ist, sehr nervös. Und die Fragen von Richterin Minou Aigner zögerlich und mit leiser Stimme beantwortet.

Wie jene nach der Begegnung mit Natascha Kampusch zu einem früheren Zeitpunkt, wo er noch nichts wusste. Die ihm wieder einfiel, als „der Wolfgang dann seine Lebensbeichte bei mir im Auto abgelegt hat und gesagt hat, ich bin ihr Entführer, du kennst sie eh.“ Da erinnerte er sich an das pausbäckige blonde Mädchen, das ihm als „Nachbarskind“ vorgestellt worden war. „Gestrahlt hat sie, wie wenn ein Kind einen Ausflug in einem tollen Auto machen darf.“

„Er brauchte jemanden zum Reden“
Dass Priklopil auf der Flucht sei, habe Ernst H. nicht so empfunden: „Er brauchte jemanden zum Reden. Und er brauchte noch Zeit in Freiheit. Er hat nicht an Flucht gedacht, er hatte ja weder Kleidung noch Geld mit.“

Die Stimmung habe H. halten wollen, weil „Wolfgang erzählt hat, dass er beinahe auf einen Polizisten geschossen hätte bei einer Verkehrskontrolle. Da war mir klar: Jeder, der sich ihm in den Weg stellt, überlebt das nicht.“ Und das dürfte auch für Natascha Kampusch klar gewesen sein . . .

Mit Ernst H. auch über erwartetes Strafmaß geredet
Geredet hat Priklopil viel in diesen Stunden mit seinem Freund. Dass Natascha keine Chance gehabt hätte zu überleben, hätte er einen Autounfall gehabt. Das Verlies war schalldicht und unter einer einen Meter dicken Betondecke hermetisch abgeriegelt. Ja, auch über die Strafe, die ihn für seine Gräueltat erwartet, wurde gesprochen. Mit lebenslänglich hätte er gerechnet. „Da hab ich ihm gesagt, er kriegt maximal 15 Jahre, nach der Hälfte kommt er raus. Und das jetzt, das Verstecken, das ist quasi gratis, weil er nur wegen eines Deliktes angeklagt wird. Er hat dann noch gesagt, dann lohne sich kein teurer Anwalt.“

Geredet wurde auch über die Flucht Nataschas. Aus einem nichtigen Anlass. Zucchini im Garten habe sie ernten wollen, und das habe Priklopil nicht gepasst. Genauso wenig gepasst wie ein Telefonat, das Ernst H. führte. Mit einem Mitarbeiter. Weil „ich wollte, dass ich per Handy geortet werden kann“. Das dürfte auch Priklopil erkannt haben – H. musste sofort unterbrechen und abschalten.

Hier hakt Anwalt Ainedter ein: „Dieses Verfahren zeigt eines überdeutlich. Nämlich dass die arme Frau Kampusch Opfer war und ist, sie selbst unter massivem Druck stand und vieles von ihrem Verhalten dadurch erklärbar ist.“

Priklopil bat noch um Verzeihung, dann ging er
Bevor er ausstieg, habe Priklopil dem Freund noch aufgetragen, er soll Natascha sagen, sie möge ihm verzeihen. Ihr sagen, dass er sie sehr gern gehabt hat.

Richterin Aigner fällt einen Freispruch, Staatsanwalt Kronawetter gibt keine Erklärung hab. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Ernst H. verlässt den Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht – fluchtartig

Und Kampusch-Vater Koch, stiller Beobachter, senkt schweigend den Kopf.

Kampusch gibt Stellungnahme ab
Natascha Kampusch war im Prozess gegen Ernst H. nicht als Zeugin geladen. Was rechtlich völlig korrekt ist. Trotzdem stand sie indirekt im Mittelpunkt und hat uns folgende Stellungnahme gegeben: „Es ist nicht einfach, immer wieder von dritter Seite zu erfahren, wie meine Gefangenschaft abgelaufen sein soll. Ich hoffe auch, dass die Mittäter-These nun endgültig verworfen wird, sofern sich nicht wirklich stichhaltige Hinweise finden.“ Ihr Anwalt Gerald Ganzger ergänzt: „Die Aussagen des Angeklagten Ernst H. bestätigen, dass Natascha Kampusch Opfer eines Martyriums und einer jahrelangen schrecklichen Gefangenschaft war.“

Dazu soll Wolfgang Priklopil seinem einzigen Freund Ernst H. auch Details seiner „Beziehung“ zu seinem Opfer gestanden haben. Wir meinen, dass dies den intimsten Lebensbereich einer jungen Frau betrifft – und niemand anderer als sie selbst hat das Recht, darüber etwas zu sagen.

Anfang September wird Kampusch ihr Buch – Titel: „3096 Tage“ – präsentieren. In einer Buchhandlung in Wien-Landstraße wird es eine Lesung geben, zu der großer Medienandrang erwartet wird.

von Gabriela Gödel und Peter Grotter (Kronen Zeitung)

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