Kindesmissbrauch

Papst-Vertrauter schuldig: Medien sollen schweigen

Medien
15.12.2018 15:00

Ein Erdbeben erschüttert das Zentrum der katholischen Kirche - und Australien. Denn das Land beschäftigt ein Gerichtsprozess, über den nichts bekannt werden soll: weder die angeklagte Person, noch die Art des Verbrechens. Doch auch wenn eine strikte gerichtliche Nachrichtensperre gilt - eine derartige Geheimhaltung ist in Zeiten des Internets so gut wie unmöglich. Und so wurde am Wochenende öffentlich, dass in der Kurie, der höchsten Etage des Vatikans, mit Kardinal George Pell die Nr. 3 der Kirchenhierarchie des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden wurde. Pell war 2005 und 2013 sogar als möglicher Papst gehandelt worden …

Pell war 2013 vom Papst in den zuvor eigens eingerichteten Kardinalsrat, der Franziskus in der Leitung der Kirche zur Seite stehen soll, berufen worden. Anfang 2014 holte ihn der Pontifex als Leiter des neugeschaffenen vatikanischen Wirtschaftssekretariats dauerhaft an die Römer Kurie. Die Position des Finanzchefs des Vatikans gilt inoffiziell als die Nummer drei in der Kirchenhierarchie. Der 77-Jähirge ist somit weltweit der bisher ranghöchste katholische Geistliche, der sich wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht verantworten musste. Pell verteidigte sich in seiner Heimat Australien gegen den Vorwurf, in den 1990er-Jahren gegen männliche Jugendliche in Melbourne sexuell übergriffig geworden zu sein.

Erzwungener Oralsex mit zwei 13-Jährigen
Eine Jury des County Court of Victoria in Australien hat den „Finanzminister“ von Papst Franziskus jetzt wegen erzwungenen Oralsexes mit zwei 13-jährigen Chorknaben in den 1990er-Jahren schuldig gesprochen. Eines der Opfer starb 2014 an einer Überdosis Drogen. Verkündet wird das Strafmaß erst im kommenden Februar. Weitere Vorwürfe gegen Pell beziehen sich auf die 1970er-Jahre, sie werden in einem zweiten Verfahren ab März 2019 behandelt. Die Strafen bei sexuellen Übergriffen gegen Kinder sind hoch: Schwere Fälle können mit bis zu 25 Jahren Haft bestraft werden.

Das Verfahren gegen den Geistlichen ruft erwartungsgemäß bis weit über die Grenzen Australiens großes Interesse hervor. Die australische Justiz verhängte über das gesamte Verfahren ein striktes Berichtsverbot, das für alle in Australien zugänglichen Medien gilt - und somit weit über die Grenzen des Inselstaates hinaus Wellen schlug. Australische Zeitungen brachten sich in den letzten Tagen gegen das Verbot mit geschwärzten Titelseiten und der Schlagzeile „Zensiert“ in Stellung - auch wenn die Nachrichtensperre eigentlich nichts mit staatlicher Zensur zu tun hat. Vielmehr hat ein Richter das Medienverbot mit einer „Suppression Order“ verhängt. Damit soll ein faires und unbeeinflusstes Verfahren gegen den Angeklagten beim zweiten Prozess ermöglicht werden.

Geschworene sollen möglichst unbeeinflusst entscheiden
Hintergrund: Australien hat ein Jury-System, Geschworene aus dem Volk entscheiden über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten. Weil die Geschworenen möglichst unbeeinflusst über jeden einzelnen Fall entscheiden sollen, dürfen sie - wie man es auch aus den zahlreichen Krimi-Serien aus den USA kennt - keinerlei Informationen über Vorstrafen, frühere Verfahren oder Festnahmen des Angeklagten erhalten. Die Jury, so das Ziel dieser Vorgehensweise, muss von allen Einflüssen abgeschirmt werden, um eine Vorverurteilung zu verhindern.

Deshalb berichten Gerichtsreporter, die an den Prozessen teilnehmen, auch nur über das, was vor Gericht, also vor den Geschworenen, ausgesagt wird - auch wenn sie durch eigene Recherchen weitaus mehr Informationen zur Verfügung hätten. Journalisten, die gegen diese Regel verstoßen, machen sich strafbar. Und die Strafen sind durchaus beachtlich: So können Journalisten in Victoria wegen Missachtung des Gerichts zu bis zu fünf Jahren Gefängnis oder zu einer Geldstrafe von rund 100.000 australischen Dollar oder sogar zu beidem verurteilt werden. Die Maximalstrafe für Medienunternehmen beträgt fast eine halbe Million australische Dollar.

„Informationsrecht der Bürger als wichtiger bewertet“
Weil auch internationale Medien dazu angehalten waren, sich zumindest online an das Verbot zu halten - da die Internetausgabe ja auch in Australien abrufbar ist - lieferten nur einige wenige Medien Hintergründe zum Ausgang des brisanten Prozesses, im deutschsprachigen Raum ausgerechnet Katholisch.de, das Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland. Redaktionsleiter Björn Odendahl erklärte diesen Schritt gegenüber dem Medienportal „Meedia“: „Wir sehen nicht ein, warum wir uns an australisches Recht halten sollten - vor allem nach dem Schuldspruch. Danach haben wir das Informationsrecht der Bürger in Deutschland endgültig als wichtiger bewertet.“

Die renommierte „Neue Zürcher Zeitung“ bringt das Dilemma der digitalisierten Berichterstattung in einem Bericht über den Prozess gegen den mächtigen Kirchenmann auf den Punkt: „Die Garantie eines fairen Gerichtsverfahrens auch für prominente Angeklagte ist sehr wichtig. Doch die gesetzlichen Traditionen aus der Zeit des Pferdewagens, in der man die Berichterstattung der örtlichen Stadtzeitung kontrollieren konnte, erscheinen angesichts des Internets und der heutigen Medienlandschaft anachronistisch“ …

Mehr als nur peinliche Situation für den Vatikan
Dem Vatikan dürfte der strikte Medien-Maulkorb in dem Fall aber nicht unrecht gekommen sein: Denn Pell ist noch immer Leiter des vatikanischen Wirtschaftssekretariates. Zwar wurde er im Juni 2017 von diesem Posten beurlaubt, um, wie Pell damals sagte, seinen „Namen reinwaschen“ zu können. Jetzt, wo die Missbrauchsvorwürfe aber gerichtlich bestätigt wurden, befindet sich der Vatikan mit einem solchen Finanzchef in einer mehr als nur peinlichen Situation.

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