"Haiti ärmer als arm"

Linzerin hilft in Haiti – das große Interview

Oberösterreich
20.01.2010 12:57
Sie hat alles verloren, außer ihrem Leben. Seit drei Jahren ist die Linzerin Regina Tauschek für die Welthungerhilfe Deutschland in Haiti. Nur weil sie noch in ihrem Büro an der Jahresbilanz gearbeitet hat, ist sie dem Tod in ihrer einstürzenden Wohnung entkommen.

"Krone": Sie waren während der Katastrophe mitten im Gefahrengebiet – wie haben Sie diese Momente erlebt?
Regina Tauschek: Ich war im Büro, habe wie immer meine Arbeit gemacht, als plötzlich die Wände zu wackeln begonnen haben. Ich bin nur raus und war mir absolut sicher, dass das Haus hinter mir einstürzen würde. Aber es steht noch.

"Krone": Sie waren nahe an der schlimmsten Beben-Zone.
Tauschek: Hautnah. 200 Meter von unserem Büro entfernt hat die Katastrophe begonnen. Als wir versucht haben, zu unseren Wohnungen zu gelangen, war da nichts mehr – außer Chaos, Verletzte und Tote. Auch meine Wohnung war weg. Und damit meine Pässe, mein Geld im Safe, mein Laptop, meine Sachen – alles. Mein Hab und Gut bestand plötzlich nur mehr aus den Kleidern, die ich am Leib getragen habe.

"Krone": Was denkt man denn in so einem Moment, in so einer Extrem-Situation?
Tauschek: Gar nichts. Ich hatte keine Zeit zu denken. Irgendwie ist alles sehr schnell gegangen. Meine erste Nacht habe ich im Auto verbracht und habe bei 15 Grad gefroren und kein Auge zugetan, weil es meine Wohnung einfach nicht mehr gegeben hat.

"Krone": Stimmt es, dass es bei der Verteilung von Hilfsgütern drunter und drüber geht?
Tauschek: Nein. Es dauerte eben eine Weile, bis sich die Hilfsorganisationen selbst einmal organisiert hatten. Es dauert auch noch immer sehr lange, bis Hilfsgüter über zugeschüttete Straßen überhaupt zu uns transportiert werden können. Es gibt hier am Flughafen nicht einmal die nötigen Maschinen, um die Hilfsgüter auszuladen. Auch die Verteilung muss manuell erledigt werden. Wir arbeiten eh schon durchgehend 24 Stunden. Wer die Hilfe kritisiert, der kennt die Abläufe nicht.

"Krone": Sie erklären die Sachlage mit kühlem professionellen Kopf. Wie war es bei Ihnen? Haben Sie nahestehende Menschen verloren?
Tauschek: Ich kenne sicher 50 Leute, die tot sind. Ich weiß aber noch gar nicht, wer von meinen Bekannten sonst noch tot ist.

"Krone": Wie geht es Ihnen jetzt?
Tauschek: Es reißt mir das Herz heraus, wenn ich das Leid sehe. Die Haitianer sind ja vorher schon so arm gewesen Wenn sie eine einzige Schüssel besessen haben, war das viel. Jetzt ist auch die noch weg. Ich habe nicht gedacht, dass man noch ärmer als arm werden kann. Aber auch ich habe geweint, als meine Sachen weg waren. Aber ich habe immerhin noch die Wohnung in Linz. Trotzdem - ich spüre keine Resignation. Meine Aufgabe ist, Überlebende am Leben zu erhalten. Ich habe Vertrauen und Hoffnung.

Kronen Zeitung
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