Umstrittene Aktion

Künstler riefen fiktive Europäische Republik aus

Ausland
10.11.2018 17:39

In mehr als 150 Theatern, Kulturinstitutionen und Privatwohnungen in ganz Europa hat am Samstag eine Kunstaktion stattgefunden, die bereits im Vorfeld für hitzige Debatten gesorgt hatte: Um 16 Uhr wurde von Balkonen dieser Schauplätze die fiktive Europäische Republik ausgerufen. Die Initiatoren dieses „European Balcony Project“ waren der Autor Robert Menasse und die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guerot.

In Wien war das Schauspielhaus neben Burgtheater, Volkstheater, Werk X, Kunsthalle Wien und Studio 77 eine jener Institutionen, die mitgemacht hatten. Auf dem Josef-Meinrad-Platz beim Burgtheater jubelten rund 200 Europa-Fans Burgschauspieler Peter Simonischek zu. Eingeleitet von der Europa-Hymne, die mit einer E-Gitarre und von einem Bläserensemble interpretiert wurde, verlas der prominente Darsteller vom Direktionsbalkon das Manifest zur Ausrufung der Europäischen Republik. Immer wieder musste Simonischek seinen Vortrag wegen spontanen Beifalls und Jubel-Rufen der EU-Fahnen schwenkenden Menschen unterbrechen.

„Wir erleben gerade, dass das politische Österreich eine Vorreiterrolle für nationalstaatliches Denken einnimmt, dabei leichtfertig unsere zivilisatorischen Werte wie Menschlichkeit und Demokratie über Bord wirft und unsere Sicherheit innerhalb der europäischen Gemeinschaft gefährdet“, wird Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann auf der Website des Hauses zitiert. „Dass sich gerade das österreichische Nationaltheater an dieser politisch-künstlerischen Aktion beteiligt, halte ich für immens wichtig.“ 

Simonischek: „Erwarte mir ein starkes Signal für Europa“
Auch Simonischek äußerte sich auf der Burgtheater-Homepage: „Ich verlese das Manifest vom Direktionsbalkon des Burgtheaters aus, mit Blick auf Ballhausplatz und Heldenplatz, also mit Blick auf den Sitz der österreichischen Regierung. Ich erwarte mir von dieser Aktion ein starkes Signal für ein Europa, das alle seine Bürgerinnen und Bürger vereint. Natürlich ist das jetzt erst einmal eine Utopie, aber wer wenn nicht denn die Kunst sollte visionär sein?“ Im Anschluss regnete es Flugzettel vom Balkon, auf denen Auszüge des Manifests abgedruckt sind.

„Setzen wir Zeichen für ein vereintes Europa“
Mit Flugzettelregen, jedoch ohne Musikbegleitung erfolgte die Ausrufung der Europäischen Republik am Wiener Volkstheater, wo der Schauspieler Jan Thümer den von Menasse und Guerot verfassten Text per Megafon vor rund 50 Zuschauern verlas. Am Schauspielhaus Graz beteiligte man sich mit einem Kurzfilm. „Setzen wir ein Zeichen für ein gemeinsames, vereintes Europa. Dem grassierenden Mangel an Solidarität und menschlicher Empathie in unserer Gesellschaft müssen wir gemeinsam ein friedliches, entschlossenes ,Wir‘ entgegensetzen“, forderte Intendantin Iris Laufenberg in einer Aussendung.

Manifest in mehr als 20 Sprachen übersetzt
„An die Stelle der Souveränität der Staaten tritt hiermit die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger. Wir begründen die Europäische Republik auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit jenseits von Nationalität und Herkunft“, heißt es in dem Manifest, das in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde.

Zukunft gestalten oder Zukunft erleiden?
„Wir haben einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Demokratie“, erklärte Menasse. Es müsse gelingen, die Gleichheit aller europäischen Bürger vor dem Gesetz durchzusetzen, ein mit allen Rechten ausgestattetes Europäisches Parlament zu haben, gleiche Rahmenbedingungen. „Und dann muss man weiterdiskutieren: Was macht man mit dem Europäischen Rat? Diese Diskussionen hat es seit den Anfangszeiten, seit dem Lissabon-Vertrag, nicht mehr gegeben. Die Sonntagsreden sind jetzt zu Ende! Was wir erreichen wollen, ist ein breites Bewusstsein dafür, dass wir uns entscheiden müssen: Wollen wir die Zukunft gestalten oder die Zukunft erleiden?“

„Wie hältst du es mit Europa?“
„Die Gretchenfrage ist heute: Wie hältst du es mit Europa?“, sagte Ulrike Guerot. Die Rechtsgleichheit gelte in Europa bisher für Güter, Arbeiter und Kapital, aber de facto nicht für Bürger. Guerot rief gemeinsam mit Menasse in Weimar die „Republik“ aus. Das Datum 10. November habe man als „Brückentag“ zwischen Ende des Ersten Weltkriegs und Republikausrufungen vor 100 Jahren gewählt, hieß es. Die Aktion sei auch als Anstoß im Vorfeld der nächste EU-Wahl gedacht und soll nach Möglichkeit am 10. November jedes Jahres wiederholt werden.

Menasse und Guerot lösten mit dem Projekt hitzige Debatten aus und wurden als Staatsfeinde dargestellt. In Österreich soll laut „Presse“ sogar eine Anzeige wegen „Staatsverweigerung“ erstattet worden sein.

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