„Krone“-Interview

Brian Fallon: „Offenbar hatte ich viel Glück“

Musik
22.05.2018 07:00

Die kultigen The Gaslight Anthem spielen noch hier und da live, doch ein neues Album ist nicht in Sicht - Frontmann Brian Fallon ist nach einer dunklen Lebensphase aber voller Motivation und tourt mit seiner Band The Howling Weather auf und ab. Zuletzt spielte er eine ausverkaufte Show in der Wiener Arena, bald ist er am Nova Rock zu Gast. Im ausführlichen Gespräch gab er uns Einblick in seine Zeit mit The Gaslight Anthem, was ihm sein aktuelles Soloalbum „Sleepwalkers“ bedeutet, wie das Vaterwerden sein Leben veränder hat und wie seine Beziehung zu Bruce Springsteen jetzt eigentlich wirklich aussieht.

(Bild: kmm)

„Krone“: Brian, im Gegensatz zu deinem 2016er Solodebüt „Painkillers“ hattest du für dein neues Album „Sleepwalkers“ nicht so viel Zeit, um Songs früh genug zu schreiben und reifen zu lassen. Inwiefern hat diese veränderte Situation Stimmung und Atmosphäre des Albums verändert?
Brian Fallon:
Auf dem neuen Album habe ich wirklich bei null begonnen. Manchmal bleiben alte Songs oder Songideen liegen und du weißt nicht so ganz warum. Plötzlich schießt dir eine Idee ein und du kannst etwas völlig anderes daraus machen, als du eigentlich geplant hast. Manche alten Songs kommen dir nur anfangs gut vor, aber der Vibe passt dann später plötzlich nicht mehr. Beginnst du aber wirklich bei nichts, dann hängt alles etwas besser und stringenter zusammen. Ich will nicht werten, ob etwas besser oder schlechter ist. Nur hörst du dem neuen Album deutlich an, dass es in einem bestimmten, geschlossenen Zeitraum geschrieben wurde.

Songtitel wie „Little Nightmares“, „My Name Is The Night (Color Me Black)“ oder „See You On The Other Side“ klingen wesentlich dunkler als die Musik selbst. Wolltest du bewusst eine Interaktion schaffen, zwischen lichten und weniger lichten Momenten, die sich in Musik und Texten aufteilen?
Die Songtitel sind deshalb so dunkel geraten, weil ich verdammt viel „Twilight Zone“ geschaut habe. (lacht) Manche kommen einfach direkt von dort. Selbst in dieser Show gibt es hellere Elemente, die das Leben in der Dunkelheit etwas erleichtern. Es ist für einen Interpreten selbst schwierig, immer und immer wieder die düsteren Seiten wiederzugeben. Deshalb musst du aufpassen, es damit nicht zu übertreiben. Man muss in der richtigen Stimmung dafür sein und ich wollte beide Seiten relativ fair aufteilen. Das passierte aber alles zufällig, nicht aus Vorsatz.

Wenn man sich von dir aktuelle Interviews ansieht oder dem Album selbst lauscht hat man fast das Gefühl, deine Solokarriere fernab von The Gaslight Anthem wäre wie eine große Befreiung für dich. Ist diese Annahme korrekt?
Da ist definitiv was dran. In einer Gruppe musst du jeden davon überzeugen, dass deine Ideen okay sind und du musst alles durchbesprechen. Menschen landen nur selten zur selben Zeit auf derselben Position wie andere, weil sich meist jeder an einem anderen Platz im Leben befindet. Die Inspirationen für Musik kommen aus unterschiedlichen Ecken und das kann die Zusammenarbeit auch erschweren. Das Soloprojekt ist für mich natürlich leichter. Andererseits hast du kein Korrektiv. Niemanden, der dir jetzt sagt, ob du dich wo verrennst oder nicht. Du musst ganz deinen Instinkten vertrauen. Das ist aber nicht unbedingt schlecht. Wenn du etwas magst, dann wird es schon okay sein. Außerdem hat man so viel mehr Arbeit. Du musst all die Instrumente einspielen, singen, texten und dann noch performen. Am Ende bist du mit dieser Verfahrensweise aber so nah an deinem Wunschziel dran, wie mit sonst nichts anderem.

Wir alle wissen, wie erfolgreich The Gaslight Anthem immer waren. Insofern schwebt die Band wie ein unsichtbarer Schatten über deiner Solokarriere.
Das sehe ich nicht wirklich so.

Aber die Menschen beurteilen dich anders, als jemanden, der sich einfach immer schon als Solokünstler seinen Weg bahnte.
Da liegst du natürlich richtig. Ich vergleiche diese zwei Welten aber nicht. Speziell das frühe Material von The Gaslight Anthem ist einzigartig und ganz speziell. Es ist ein Teil meiner Sammlung und nichts, mit dem ich mich messen muss. Du kannst nicht zwanghaft gegen dich selbst kämpfen, vielmehr bin ich froh, dass ich dieses Zeug von damals erschaffen habe. Es ist schön, diese Alben aufgenommen zu haben. Ich verstehe deinen Punkt, aber ich habe lieber beide Welten, als gar keine davon.

The Gaslight Anthem ist derzeit mehr ein Spaßprojekt als eine Band - kann man das so sagen?
Das ist korrekt. Es ist alles leichter, weil wir uns nicht mehr um viele Dinge sorgen müssen, die uns nerven. Wenn du so populär bist, wie wir es damals waren, dann verlierst du die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der frühen Tage, wo es einfach nur um das Aufnehmen eines neuen Albums ging. Wir machen uns das Leben derzeit leicht. Der lustige Teil dieser Band, ist live zu spielen - das machen wir diesen Sommer auf ausgewählten Veranstaltungen. Der weniger lustige Teil ist alles andere - das Albenaufnehmen, Interviews geben und sich kreativ zusammenraufen. Für uns ist es besser, einfach nur live zu spielen. (lacht)

Was wohl auch der Grund ist, warum es in absehbarer Zeit eher kein neues Album von The Gaslight Anthem geben wird…
Ich sehe da nichts kommen, um ehrlich zu sein. Wir haben aber starke Alben veröffentlicht und können viel davon live spielen. In allen möglichen Konstellationen. Insofern haben wir da keinen Stress. Hätten wir nur zwei aufgenommen, wäre es härter, aber so ist das kein Problem. Uns allen geht es momentan sehr gut und ich spüre keine Dringlichkeit, ein neues Album aufzunehmen. Ich weiß nicht, ob es für uns das Ende mit Studioalben ist, aber es gibt so viele Bands, die den richtigen Zeitpunkt zum Absprung verpassen und völlig wertloses Material auf den Markt werfen. Das ist traurig, weil sich Gewohnheiten zu lange hinziehen, bis sie kein Feeling mehr haben. Das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Andererseits erfordert es auch viel Mut und Selbsterkenntnis, eine erfolgreiche Maschinerie rechtzeitig zu stoppen.

Die Fans von The Gaslight Anthem haben deine Soloambitionen und Alben aber großteils von Anfang an unterstützt. Das ist auch keine Selbstverständlichkeit, die allen „Ausreißern“ aus erfolgreichen Bands zuteilwird.
Dessen bin ich mir bewusst und dafür bin ich dankbar. Ich hatte anfangs keine Ahnung, wie alles enden wird. Ich wusste nur, ich müsste es so machen. Viele Leute folgen einzelnen Mitgliedern von Bands auf ihren Solopfaden nicht und ich bin verdammt froh, dass es bei mir funktioniert. Selbst ich würde skeptisch reagieren, wenn ein toller Musiker einer grandiosen Band zu mir sagen würde, er geht jetzt alleine auf die Pirsch. Ich weiß nicht, ob ich das gutheißen würde. (lacht) Ich hatte aber sowieso keine Wahl. Als die Band stoppte, gab es keinen Plan. Auch keinen Plan für ein Soloalbum. Ich musste erst einmal nachdenken, was ich überhaupt tun soll. Sollte ich in einem Shop Gitarren reparieren oder Bücher schreiben? Einfach ganz was anderes machen? Ich hatte absolut keinen Plan. Aber die Musik war immer sehr wichtig für mich und so habe ich es einfach versucht. Offenbar hatte ich Glück damit. (lacht)

Das letzte The-Gaslight-Anthem-Album „Get Hurt“ aus dem Jahr 2014 entstand während deines Scheidungsverfahrens und einer verdammt harten Zeit, die du durchtauchen musstest. Viele Leute ziehen aber Freude, Hoffnung oder Trost aus diesen für dich so schmerzhaften Songs. Wie schaffst du es, in einem gesunden Ausmaß damit umzugehen?
Dieses Album ist für mich noch immer ein zweischneidiges Schwert. Es war für mich so hart, daran zu arbeiten, aber ich weiß natürlich, dass andere dieses Material genießen. Falls wir Songs davon im Sommer spielen, dann kann ich mich heute aber persönlich davon so lösen, dass ich diese Songs quasi interpretiere, aber sie nicht mehr lebe. Ich spiele sie für die Menschen, die dafür kommen, und nicht mehr für mich. So kann ich mich selbst rausnehmen und mich gut fühlen.

Du schlüpfst also in eine Art Charakter, die interpretiert?
Nein, so direkt nicht. Man muss die Songs schon ernst meinen und das werde ich auch weiterhin, aber ich werde mich emotional davon distanzieren. Songs verändern ihre Form über die Jahre oft und viele Künstler können eine neue Bedeutung aus alten Stücken für sich herausziehen. Das Publikum gibt dir neue Sichtweisen und das ist ziemlich cool.

Auf deinem neuen Album „Sleepwalkers“ experimentierst du stark mit Soul- als auch R&B-Einflüssen. War das eine bewusste Entscheidung, deinen Sound breiter und offener zu gestalten?
Definitiv, ich bin ein großer Fan dieser Musik. Schon in den frühen Tagen von The Gaslight Anthem stand ich total auf das Zeug, aber ich war nie in der Lage, das für mich umsetzen zu können. Auf diesem Album habe ich nun also wirklich gute Musiker wie eine Jazzband angeheuert, die ihr Metier beherrscht und authentisch rüberbringt. Ich wollte das schon so lange machen und habe mich jetzt endlich durchgerungen, es so umzusetzen. Ich wollte immer Hörner auf einem Album haben und auch da habe ich mir einen Wunsch erfüllt. Ich war schon Songwriter, ich war schon der Punk und ich habe mich im Rock versucht - aber was passiert, wenn ich all das in einen Topf werfe und mit neuen Zutaten würze? So ging das dann vor sich und es hat offenbar gut geklappt.

Und du hast auch mit deinem alten Freund Ted Hutt gearbeitet, der das Album produziert hat. Hat das die ganze Geschichte und Aufnahme entscheidend erleichtert?
Das hat so einiges erleichtert. Er war von Anfang an in meinem Leben mit dabei, als bester Freund. Er kennt mich so gut, dass er klar sagen kann, wann ich etwas besser machen kann und wann etwas nicht reicht. Viele Produzenten, die einen Musiker nicht so gut kennen, glauben, das Maximum herausgeholt zu haben und lassen alles gut sein. Ted aber wusste immer genau, wann aus mir noch mehr herauszuquetschen war. Ich habe ihm sehr vertraut, weil ich schon so viele Erfahrungen mit ihm teilte. Selbst als Automechaniker hast du einen kleinen Kreis, dem du wirklich vertraust. Ted ist bei miri das Zentrum dieses Kreises.

Gibt es für dich auch natürliche Grenzen, die du beim Songwriting nicht überschreiten willst?
(lacht) Nein, ich kann wirklich überall wildern. Ich schreibe sehr viele Songs für andere Musiker, das sind ganz unterschiedliche Stücke. Ich habe zum Beispiel mit Georgia gearbeitet, die lupenreinen Pop macht, den du bei meinen Alben bekanntlich nirgends findest. Es macht mir aber Spaß und ist etwas anderes. Ich kann dort meine Pop-Seele befriedigen und auf meinen eigenen Alben wieder anders vorgehen. Diese Abwechslung ist wichtig, aber es gibt sicher so einiges, das  einem künstlerischen Bauchfleck gleicht, dessen bin ich mir bewusst. (lacht) Es kommt sicher noch so einiges anderes, aber ich habe das nicht genau im Blickfeld. Man muss immer den Inspirationen folgen, die einem gerade auf dem Weg entgegenkommen.

Hat das Vaterwerden deinen Zugang und deine Sicht auf die Musik verändert?
Das war eine sehr große Veränderung für mich. Der Job an sich ist einfach nicht mehr so wichtig, es geht nicht mehr um alles. Die Musik wurde für mich sogar echter und bedeutungsvoller, weil du die ganze Welt durch Kinder ganz anders sieht. Die Musik an sich verändert sich aber nicht, auch wenn du in diesem Job jetzt für jemand verantwortlich bist. Du wirst deshalb trotzdem niemals Musik schreiben, um Geld zu verdienen. Das geht einfach nicht und wenn du es versuchst, wird es danebengehen. Du musst einfach dein Bestes gehen und das schreiben, was du willst. Zusätzlich darauf hoffen, dass du damit deine Rechnungen bezahlen kannst. Wenn das nicht geht, dann musst du dir nebenbei noch einen anderen Job suchen. Meine Kinder sollen nicht nichts zu essen kriegen, nur weil ich auf Biegen und Brechen einen Hitsong schreiben will - vorher suche mir wirklich eine andere Arbeit. Wenn du so denkst, dann schreibst du nicht mehr für dich, sondern nur mehr für andere und für kommerzielle Belange. Das klappt einfach nicht.

Wenn du mit deinem guten Kumpel Bruce Springsteen zusammensitzt - lacht ihr dann über all die Leute, die euch dauernd miteinander vergleichen?
Nein, denn er findet diese Vergleiche nicht lustig, sondern cool. Das ist so seltsam, denn in seiner Welt stehe ich mit ihm auf einer Stufe. Er redet immer von „Typen wie uns“ - das verwirrt mich, denn er lebt meiner Meinung nach auf einem anderen Planeten. Er ist ein um Welten besserer Songwriter und vom Erfolg reden wir gar nicht. Er sieht und behandelt mich aber wie einen alten Kumpel - als ob er mit Bob Dylan oder Tom Petty reden würde. Wir sind beide Songwriter und somit sind wir für ihn dasselbe. Ich sehe das anders, denn ich bin irgendein Typ, der Musik macht und er ist eine Legende. Aber er ist sehr liebenswürdig und hat überhaupt keine Allüren. Er versteht die verschiedenen Generationen von Elvis Presley über Bob Dylan und den Beatles bis hin zu ihm, Madonna oder Prince. Aber dann verortet er schon uns in diese Liste. Also mich, Jason Isbell oder Frank Turner. Das ist cool, aber auch ziemlich seltsam.

Die Statistiken prophezeien handgemachter Gitarrenmusik vor allem in den USA keine rosige Zukunft. Sind Typen wie Frank Turner oder du die personifizierten Retter der Rockmusik?
Nein, dieses Urteil ist viel zu mächtig. Wir würden ohnehin dasselbe machen, ob die Musik gut dasteht oder nicht. Erfolge in der Musik sind eine kulturelle Angelegenheit, eine Frage der jeweiligen Trends. Das kann sich auch wieder drehen. Wir halten die Flagge hoch, auch wenn die Musik gerade nicht populär ist. Das ist wie bei Neil Young in den 70er-Jahren. Da kamen AC/DC oder Led Zeppelin, aber er hat sich nie verbogen. Viele Jahre später kommt eine Band wie Pearl Jam und sagt, Neil Young wäre ein cooler Typ. Und so finden auch Kids, eine ganz neue Generation, wieder zu ihm und seiner Musik zurück. Ich liebe außerdem Rap und Hip Hop, allgemein neue Musik. Ich lerne auch sehr viel davon und finde den Erfolg sehr okay. Ich will auch nicht so populär sein und schon gar nicht diesen Druck verspüren müssen. Typen wie Kendrick Lamar oder auch Rita Ora machen großartige Arbeit. Sie erobern den Markt, werden groß und berühmt und sind dafür geboren. Ich bin der falsche Typ dafür. Aber es stimmt - in den USA gibt es derzeit Hip Hop und Country. Die zwei Stile regieren das Land. Das ist total okay, denn Chris Stapleton und Sturgill Simpson, die zwei Flaggschiffe, sind großartige Musiker. Bei mir in New York dringt Country aber nicht durch - keine Chance. (lacht)

Welchen Ratschlag würdest du deinem 20-jährigen Ich mit der Erfahrung von heute geben?
Entspann dich einfach Mann. (lacht) Das ist lustig, denn viele Jahre lang war ich wirklich sehr verärgert darüber, wenn Leute sich über meine Musik und meine Vorlieben lustig gemacht haben. Es gab aber so viele Kids, die mir zuhörten und liebten, was ich tue. Darauf hätte ich mich konzentrieren sollen, nicht auf die negativen Stimmen. Das ist dumm, aber da muss wirklich jeder durch. Am Wichtigsten ist, dass man sich nicht entschuldigen oder erklären sollte. Mach einfach, was für dich richtig ist und was sich gut anfühlt und ignoriere einfach alle, die anders denken als du. Mach was du willst, spiele für die Leute, die deine Musik lieben und lass alles die anderen hinter dir. Aber gut, diese Fehler muss absolut jeder machen - ein lebenslanger Prozess. (lacht)

Brian Fallon spielt solo und mit ziemlicher Sicherheit auch ein paar kultige Gaslight-Anthem-Songs auf dem diesjährigen Nova Rock. Mit seiner Band The Howling Weather ist er am Samstag, 16. Juni, auf den Pannonia Fields in Nickelsdorf zu Gast. Weitere Infos und Karten gibt es unter www.novarock.at.

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