Stadthalle live

Sam Smith: Zwischen Bombast und Botschaft

Musik
09.05.2018 00:37

Nach einem Oscar, vier Grammys und zwei immens erfolgreichen Alben kam Englands Soulstimme Nummer eins, Sam Smith, Dienstagabend erstmals nach Österreich. Vor ausverkauftem Haus begeisterte er in der Wiener Stadthalle mit Sympathie, starken Songs und einem eigenwilligen Bühnendesign.

(Bild: kmm)

Mit rund acht Millionen verkauften Exemplaren seines Debütalbums „In The Lonely Hour“ ist Sam Smith ein Paradoxon in der modernen Popkultur. In einer Zeit, wo sich die Streamingzahlen vervielfachen, selbst etablierte Künstler ihren Lebensstandard nicht mehr ohne wuchtige Livetourneen halten können und nur mehr treue Schlager- und Heavy-Metal-Fans auf physische Produkte zurückgreifen, gelang es dem damals 22-Jährigen, die Regeln des Marktes über den Haufen zu werfen. Großbritannien ist eben noch ein guter Hort für die alte Schule - schließlich dürfen sich auch Adele und Ed Sheeran über fulminante Verkaufszahlen freuen. Dem letzten Herbst nachgelegten, heiß ersehnten Nachfolger „The Thrill Of It All“ waren diese exorbitanten Ziffern zwar nicht mehr vergönnt, doch am europäischen Triumphzug des sympathischen Youngsters hat sich nichts verändert.

Eine Reise für alle
Für seine Österreich-Premiere vor ausverkauftem Haus in der Wiener Stadthalle hat sich der elegante Entertainer eine besonders schmucke Bühne zurechtbauen lassen. Die Segelschiff- bzw. Pyramidenästhetik mit verstellbarem Korpus und nach vorne spitz zusammenlaufender Bewegungsfläche kann wahlweise für Aufbruch oder Illuminatenliebe stehen, jedenfalls ist das ungewöhnliche Gebilde ein absoluter Eyecatcher, der sich optisch gut an die schwermütigen Songs anpasst. „Ich weiß, dass meine Musik eher depressiv klingt“, gibt der Sänger nach den ersten Nummern mit einem frechen Lächeln zu, „aber ich versuche so fröhlich wie möglich zu klingen. Begleitet mich doch einfach auf dieser Reise.“ Der Anker ist ausgeworfen und die Bestuhlung schnell obsolet. Schon nach dem schwermütigen Opener „Burning“, bei dem Smith mit einem markanten Lichtstrahl zur Silhouette imaginiert wird, hält es niemanden mehr auf den Sitzen.

Wie kaum wo stehen Schmerz und Erfolg so nah beieinander wie beim Londoner. Erst die Trennung von seinem langjährigen Ex-Freund führte zum Debütalbum, vier Grammys und Millionenerfolgen. So ist Smith bis ans Ende seiner Tage verdammt, die schmerzhafte Rückbesinnung auf eine nicht erwiderte Liebe allabendlich mit einem frenetisch feiernden Publikum zu teilen. Ein Wechselbad der Gefühle, das der Interpret - heute längst wieder glücklich vergeben und mit der eigenen Vergangenheit im Reinen - souverän zu meistern weiß. Dabei befinden sich die wirklich harten, tiefschürfenden Stücke gar nicht auf dem Erstwerk, sondern auf dem aktuellen Album. Das entspannt-soulige „One Last Song“, die geschlechtsgemischt akzentuierte Ballade „Palace“ und das mit einem schweren Piano-Intro versehene „HIM“ sind allesamt Ergüsse aus der Gegenwart. Letzteren Song garniert Smith mit den Worten „ich bin stolz, schwul zu sein“ und rät den 10.400 Fans, diesen Stolz für sich zu übernehmen. „Die Liebe ist Liebe“ - was Smith als verbales Gemeinschaftsmanifest verwendet, füllt bei Julia Engelmann einen halben Poetry Slam.

Ersatzfamilie
Smith ist aber alles andere als ein stimmkräftiger Wanderprediger, sondern hält sich mit Weisheiten vornehm zurück. Erstmals nach sechs Wochen kam er vor dem Wien-Gig wieder für zwei Tage nach Hause, um seine Mutter und die Schwestern zu treffen und sich auch mal ordentlich einen hinter die Binde zu gießen. Der Kurzurlaub als Frischzellenkur, das Wiener Publikum als Profiteur davon. Die fünfköpfige Band spielt präzise wie ein Uhrwerk, die vier famosen BackgroundsängerInnen übernehmen bei „Baby, You Make Me Crazy“ sogar kurzzeitig die Hauptrolle. Seine Mitstreiter sind weit mehr als bloße Söldner im Dienste der Lichtfigur mit Strahlkraft - es sind Kollegen und Freunde, die er immer wieder herzt und umarmt und auch neben der Vorstellungsrunde aktiv in sein Set einbaut. Gitarrist Brandon kriegt sogar das Prädikat „Ersatzfamilie“ umgehängt und illustriert sein Standing bei Smith mit theatralischen Tönen aus der Stromaxt.

Das herausragende Stimmvolumen Smiths drückt sich besonders in den fragilen Momenten nach vorne und die Befürchtung, dass dieser Abend allzu drückend enden würde, erstickt der Frontmann im Keim. Nicht nur die elektronisch beladene Disclosure-Nummer „Latch“ sorgt für emotionales Aufflackern, mit dem schwungvollen „Money On My Mind“, dem funkigen Cover „Like I Can“ und dem kraftvollen „Restart“ hat der Brite genügend Uptempo-Nummern im Talon, um die Fans aus ihrem huldvollen Nirwana zu reißen. Das Konzert ist ein Schauspiel seiner Persönlichkeit, aufgeteilt auf unterschiedliche Akte, die zusammenhängend das Wesen des Sam Smith wiederspiegeln. Dieses ist einerseits einnehmend, andererseits aber auch gleichförmig. Die starke Stimme mäandert zu oft in bedrückender Bedeutungsschwere und wird auf Dauer eintönig. Das ungewöhnliche Wechselspiel zwischen Bombast und Botschaft beherrscht der 25-Jährige aber so gut wie kein Zweiter. Dass am Ende sogar die roten Herzerl-Konfetti im Zeitlupentempo vom Hallendach fallen, fasst den Abend in seiner ganzen Symbolik perfekt zusammen.

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