„Krone“-Interview

Editors: Das Wechselspiel der Emotionen

Musik
24.04.2018 07:00

Seit 15 Jahren begeistern die Editors mit zurückgelehnten, melancholischen Indie-Rock in Europa und den USA. Letzte Woche feierten rund 2.500 Fans im Wiener Gasometer große Hits wie „Blood“ und „Munich“, als auch die nachdenklichen und flotten Songs des elektronischen neuen Albums „Violence“. Vor dem Gig standen uns Sänger Tom Smith und Gitarrist Justin Lockey zu den unterschiedlichsten Themen bereitwillig Rede und Antwort.

(Bild: kmm)

„Krone“: Tom, Justin, auf eurem neuen Album „Violence“ habt ihr mehr als je zuvor auf elektronische Sounds und eine zeitgemäße Atmosphäre gesetzt. War es an der Zeit, euch klanglich klar zu verändern?
Tom Smith:
Das Album versprüht auf jeden Fall eine gewisse Art von Frische. Wir haben darauf geachtet mit Leuten zusammenzuarbeiten, die uns fordern und weiterbringen. Ich finde nicht, dass wir eine große Evolution gemacht haben - zumindest nicht verglichen mit „The Weight Of Your Love“. Ich sehe aber sehr wohl Parallelen zu „In This Light And On This Evening“ und bei „In Dream“. Wir suchen immer nach neuen klanglichen Spielplätzen. Wir wollen immer aus der Komfortzone und das reflektiert dieses Album.

Was waren die wichtigsten Dinge, um zu verhindern, dass ihr euch wiederholt und im Kreis dreht?
Justin Lockey:
Es geht gar nicht so um die klanglichen Veränderungen, sondern darum, dass wir die Zugangsweise adaptieren. Wir haben uns überlegt, wie wir auf anderem Weg als gewohnt gute Songs schreiben können. Wir haben viel herumgespielt und sind glücklich mit dem Ergebnis. Irgendwann, wenn alles gut geht, siehst du das große Bild, das sich für ein Album öffnet.
Smith: Der größte Unterschied zu „In Dream“ ist, dass wir Leute zur Hilfe ins Boot holten. Etwa den Elektronikkünstler Blanck Mass oder Leo Abrams. Sie haben produziert, das letzte Mal haben wir das selbst gemacht. Die Einflüsse von außen waren auf jeden Fall sehr prägend für das Album.

War es für euch schwierig, das Vertrauen in andere Hände zu legen und euch fallen zu lassen?
Smith:
Mit Blanck Mass war das kein Problem, weil wir sehr stressfrei zusammenarbeiteten und nicht alles verwenden mussten, was er vorschlug. Nicht alles passte zu uns und so mussten wir gar kein so dichtes Vertrauen dafür aufbauen. Abrams war der Hauptproduzent und er hat wirklich darauf geachtet, dass die Editors zeitgemäß und gut klingen. Ihm mussten wir vertrauen, aber das war auch der Grund, warum wir mit ihm zusammenarbeiteten. Er wusste, wie das Album klingen soll. Wenn wir selbst produzieren, dann schreiten wir immer durch eine Zeitperiode voller Unstimmigkeiten und gespannter Momente. Das kann gut sein und die Entscheidungsebene vereinfachen, aber wir selbst hätten niemals so viele Ideen verworfen, wie es Leo bei uns tat. Am Ende haben wir uns gemeinsam auf eine Reise begeben.

Die Musik klingt sehr oft sehr fröhlich und lebensbejahend, die Texte sind düster, melancholisch und oft auch pessimistisch. Wolltet ihr bewusst einen Gegensatz dieser beiden Welten erschaffen?
Smith:
Diese Kontraste haben mich immer fasziniert. Es ist wichtig, dass der Sound zugänglich ist und auch mal positiv hervorglänzt. Der textliche Inhalt ist sicher etwas ernsthafter und manchmal auch boshaft - jedenfalls nicht konventionell. Wir haben heuer ein paar Shows mit The Cure gespielt und sie sind die Großväter dieser Vermischung aus zugänglicher Musik und anspruchsvollen Texten. Sie haben die dunklen Texte in den Pop gebracht, das hat mich immer interessiert.

Brauchen dunkle und schwere Tage wie die in unserer Gegenwart ein inhaltlich schwereres Album?
Lockey:
Ich glaube schon. Jeder von uns hat auch dunkle Momente und dann versucht du, diese Zeit zu reflektieren. Wir versuchen die Dunkelheit mit helleren Momenten im musikalischen Bereich zu balancieren. Das war sehr wohl ein Ziel, das wir erreichen wollten.
Smith: Es gibt darauf keine richtige oder falsche Antwort. Die Musik ist eine direkte Reflektion darauf, was gerade passiert und sie soll Menschen auch eine Fluchtmöglichkeit aus der Realität anbieten. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir ein Album wie „Violence“ schreiben mussten. Wir singen über die hyperschnellen Zeiten, in denen wir leben. Die Überbotschaft der neun Songs ist, dass man die Tür hinter sich zuschmeißen sollte, um mit seinen Freunden und der Familie einmal in Ruhe Zeit zu verbringen. Fokussiert euch auf die Realität und die Beziehungen unter echten Menschen.

Auch ihr werdet bei euch wahrscheinlich bemerken, dass ihr manchmal allzu oft am Smartphone oder im Internet hängt. Ist so eine Botschaft mitunter auch an euch selbst gerichtet?
Smith:
Du musst es einfach vernünftig verwenden. Die technischen Möglichkeiten heute sind auf einer Hand großartig, andererseits kann es die Leute aber entzweien und zum Verzweifeln bringen. Es schadet aber sicher nicht, mal ein Buch in die Hand zu nehmen oder mit Leuten zu sprechen.
Lockey: Auf Tour leben wir sowieso in einer Blase, reden aber durchaus sehr viel miteinander.
Smith: Ich ertappe mich selbst sehr oft, wie ich vor meinen Kids mit dem Ding hantiere und vieles nicht mitkriege. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich da zusammenreißen muss. Die Vorbildwirkung ist essenziel. Du darfst ihnen aber auch nichts verbieten, sondern musst moderat vorgehen. (lacht)

„Magazine“ dreht sich um die Unterdrücker auf dieser Welt, „Hallelujah (So Low)“ handelt von deinen Erlebnissen, als du mit deiner Familie ein Flüchtlingscamp in Nordgriechenland besucht hast. Die Probleme der modernen Welt sind ein wichtiger Bestandteil von „Violence“.
Smith:
Es war nicht immer bewusst entschieden, das so zu machen. Politische Alben haben meist eine Botschaft und wollen dir etwas Bestimmtes zum Denken mitgeben - das sehe ich bei uns nicht so. „Magazine“ dreckt sich auch nicht um jemand Spezifischen, auch wenn das Thema heute relevant ist. „Hallelujah“ war stark von Griechenland inspiriert. Es war das erste Mal, dass ich mit Betroffenen sprach und wirklich mitbekam, was da alles passiert. Das war auf jeden Fall prägend, da ich mit meiner ganzen Familie dort war. Ich wollte nicht bewusst einen Song darüber schreiben, aber es musste dann doch raus.

Macht euch auch der Brexit sorgen und die Unsicherheit ob der künstlerischen Zukunft, die britische Bands haben?
Lockey:
Es ist kein Geheimnis, dass die Zeiten momentan ziemlich beschissen sind, aber viel schlimmer kann es kaum noch werden. Man versucht etwas zu Revolutionären, was nichts zur Revolution braucht. Anstatt aber auch dauernd zu sagen, Großbritannien wird künftig ein furchtbarer Platz sein, um dort zu leben, sollte die Kommunikation zwischen UK und dem Rest Europas wieder vernünftiger werden. Großbritannien macht etwas sehr Suizidales, aber es läuft eben leider so. Es wird auch logistisch härter, weil es wieder alte Grenzen gibt. Aber gut - du musst es nehmen, wie es ist.

Mit „No Sound But The Wind“ und „Counting Spooks“ habt ihr am Ende zwei sehr balladeske, atmosphärische Stücke am Album. Waren sie euch wichtig, um mehr Verletzlichkeit zu transportieren?
Smith:
Mit Sicherheit. Du kannst nicht die Höhen ohne die Tiefen haben.
Lockey: Wir wollten das Album dringend ausproggen. (lacht)
Smith: Der übliche Pop alleine ist nicht ausreichend, man muss schon verschiedene Emotionen und Stimmungen transportieren. Wir suchen nicht danach, aber die Vielseitigkeit ergibt sich von selbst und jedes Album braucht Momente der Ruhe, um durchatmen zu können. Das Album kann nicht immer gleich dahindudeln, das ist nicht zielführend.

Ihr habt für den Aufnahmeprozess sehr viel Zeit gemeinsam in einem Haus in Oxford verbracht.
Smith:
Wir haben dort viel entwickelt und daran geschraubt, bevor das Album in unterschiedlichen Studios eingespielt haben.
Lockey: Man muss sich zusammensetzen, um eine Konsistenz des Klangs zu erreichen. Würde jeder nur für sich an seinen Themen arbeiten, würden wir schnell im Chaos landen. Die Songs formen sich früher oder später ohnehin, denn Tom kommt meist mit Texten und Ideen an. Zusammen entstehen die Songs dann aber endgültig.
Smith: Ursprünglich haben wir Songs mit Gitarre und Schlagzeug gespielen, aber heute stehen auch schon Computer und Keyboards herum. Es ist mehr ein Studio als ein Proberaum, aber wenn alle fünf von uns für ein paar Tage oder Wochen zusammenarbeiten, dann ergibt sich erst die Persönlichkeit der Band. Das Kollektive kann nur dann entstehen, wenn sich jeder einbringt und alles zusammenfließt.
Lockey: Außerdem bekommst du Reaktionen, diskutierst und überlegst.
Smith: Die besten Ideen entstehen aus der Spontanität und die kann man dann in der Gruppe entwickeln. Mit dem alten Outfit der Band verschwand die Kreativität, das Gruppenfeeling war nicht mehr vorhanden. Mit den Jungs jetzt sind wir eine Einheit, alles fließt zur Musik zusammen. Etwas zusammen in einer Gruppe zu erschaffen ist ein einzigartiges Gefühl, das kannst du mit nichts vergleichen.

Was macht ihr, um in diesem Line-Up alles spannend zu halten? Wie könnt ihr euch die positive Aufregung bewahren?
Lockey:
Wenn sind mittlerweile seit sechs Jahren zusammen und haben viele Alben zusammen gemacht. Es fühlt sich immer noch frisch und neu an, weil wir musikalisch sehr gut zusammenpassen und kombinieren. „In Dream“ war vielleicht noch nicht so mutig, aber auf „Violence“ haben wir uns mehr zugetraut und jeder hat seine Ideen eingebracht. Das ist aufregend und spannend zugleich. Viele Bands haben Probleme, nach den ersten paar Alben eine Richtung zu finden, weil ihre Ideen gleich am Anfang explodieren. Wir sind nie so richtig explodiert, konnten unseren Sound aber kontinuierlich entwickeln. Wenn wir fünf in einem Raum sind, dann entsteht etwas ganz Besonderes.

Wie weit kann sich ein Editors-Sound verändern? Wo ist die Grenze, oder wann würde es einfach zu weit gehen?
Smith: Es gibt keine Reise, für das wir ein Ticket gekauft hätten. Wir beobachten Dinge, reagieren darauf und experimentieren herum. Irgendwie passen die Teile am Ende immer zusammen und das klappt bislang jedes Mal.
Lockey: Ich dachte anfangs, dieses Album würde viel zu elektronisch ausfallen, das wurde auch diskutiert. Aber es gibt verdammt viele Rockgitarren, die aus dem Nirgendwo kommen und sich in den Sound spielen. Das macht die Sache spannend und kurzweilig, weil immer alles sehr spontan abläuft. So kommt niemals Langeweile auf.

Wie hat die Band euch als Persönlichkeiten verändert über die Jahre. Immerhin gibt es die Editors, zumindest mit dir, Tom, seit 15 Jahren.
Lockey:
Die Hälfte unseres Leben ist sehr bizarr und das prägt natürlich. Da sind wir fünf, die irgendwo auf der Welt stundenlang in einem Raum sitzen und auf die Show warten. Oder wir fliegen, fahren in einem Nightliner oder was auch immer. Mittlerweile weiß auch längst jeder, was der andere braucht oder in den falschen Momenten auch nicht braucht. Wir kennen uns längst schon sehr gut, aber ein Tourleben prägt jeden die ganze Zeit.
Smith: Es ist auch interessant in der Band alt zu werden. Es ist nicht so, dass wir alte Fürze wären, aber drei von uns haben Kinder, manche davon sogar schon fast Teenager. Außerdem kommen wir zum Beispiel auch alle drei Jahre hier in den Wiener Gasometer zurück, was auch eine Art von Routine ist. Das andere halbe Jahre bist du daheim in der Normalität, was auch immer das ist. Heute sind unsere Familien oft schon mit am Start, womit sich das Heimatgefühl erleichtert.

Shows zu geben und auf Tour zu sein ist ja auch eine Art von Heimat, die ihr habt? Nur eben eine ungewöhnliche.
Smith:
Klar wird auch das zu einer Routine, es ist eben ein eklatanter Teil unseres Lebens. Es ist komisch in Interview sagen zu müssen, dass Konzerte Routine sind, aber es ist so. Unlängst spielten wir in Zagreb und in Budapest in ungewöhnlich kleinen Clubs, die aber bis oben hin voll waren. Das hatte eine bedrohliche, wundervolle Atmosphäre, weil die Stimmung dort durch die Decke ging und sich nicht alles im Saal verlief. Wir haben überall gleich viel Spaß, aber es wichtig, dass sich Dinge ändern. Wir können von Glück reden, dass wir auf dieser Tour seit Jahren auf gleichem Level spielen - das ist nicht selbstverständlich. In Paris spielen wir vor 2.000 Leuten, in Wien immer vor noch mehr. Das ist nicht jedem vergönnt.

Haben sich eure Ziele, eure „Goals“, über die Jahre verändert?
Smith:
„Goals“ sind etwas für den Fußball. (lacht) Was uns antreibt ist die Möglichkeit, Musik und Alben zu erschaffen, die für uns aufregend sind. Wir haben unlängst über das Gefühl der Gemeinschaft und des Musizierens gesprochen und solang das da ist und die Leute uns sehen wollen, ist das einfach brillant. Es ist großartig, dass uns alle drei Jahre in Wien mehr als 2.000 Leute sehen wollen.
Lockey: Wir reden schon oft darüber, was wir machen können und wie wir uns entwickeln können, aber das wird niemals als ein Ziel deklariert. Wir klassifizieren uns nicht in eine bestimmte Richtung und haben keine To-Do-Liste, auf die wir Erreichtes abhaken.
Smith: Awards, Verkaufszahlen oder so können schön sein, aber sie stellen dich nicht zufrieden. Das sind nur kurzfristige Bedürfnisbefriedigungen. Ich kann nicht inspiriert sein, wenn ich so denken würde, das wäre unmöglich. Weißt du was ein Ziel wäre? Dass sie für uns endlich mal die Galerie im Gasometer öffnen müssen. (lacht)

Tom, für dich könnte etwa ein Ziel sein, für deinen Lieblingsklub Arsenal FC eine Stadionhymne zu schreiben. Oder Arsene Wenger als Trainer ersetzen.
Smith:
(lacht) Wenger als Trainer zu ersetzen oder eine Hymne zu schreiben, habe ich nicht auf der Liste.
Lockey: Dafür sind wir nicht vielseitig genug. Da bräuchte es wohl eine andere Band. Ein Ziel war zum Beispiel mit The Cure zu spielen, mit ihnen die Bühne zu teilen. Vielleicht einmal ein Festival zu headlinen, auch das ist schön. Aber wir denken für gewöhnlich nicht in diesen Sphären, denn vieles kannst du nicht selbst beeinflussen und man sollte nicht zu viel erzwingen.
Smith: Wir sind sehr entspannt, wenn es um die Band geht. Bis es zur Entscheidung geht, wann wir was wie umsetzen, nehmen wir nicht einmal die Musik zu ernst. Wir sind dort, wo wir sind, weil wir sehr oft auch nein und nicht immer ja gesagt haben. Wir haben immer versucht, die Dinge mit viel Integrität zu machen, auch wenn dass heute immer schwieriger wird. Ein wichtiger Grund unserer Langlebigkeit ist auch, dass wir oft den richtigen Instinkt hatten.

Gibt es nach so vielen Jahren auch schon Songs, die ihr gar nicht mehr wirklich aushält, mit denen ihr euch nicht identifizieren könnt oder aus denen ihr rausgewachsen seid?
Smith:
Nicht mehr aushalten klingt sehr hart, das würde ich nicht sagen. Manchmal höre ich Songs von mir, die sich überhaupt nicht mehr nach mir anfühlen. Ich fühle mich ihnen nicht mehr verbunden. Ich würde manche Songs heute ganz anders komponieren oder entscheidend verändern. Aber du triffst die Entscheidungen in jeder Lebensperiode nicht umsonst zu einer gewissen Weise. Und ich muss sagen, auch auf meine Frühwerke bin ich ziemlich stolz. (lacht) Es war nicht alles gut, aber schon vieles.
Lockey: Die Perspektive ändert sich, die Meinungen ändern sich, aber damit musst du leben und trotzdem zu den alten Songs stehen.
Smith: Mit „All Sparks“ habe ich vielleicht ein paar Probleme, das habe ich einfach zu oft gespielt. (lacht) Unlängst saß ich in der Küche und hörte im Radio „Munich“. Den Song spiele ich zwar allabendlich, aber ich habe ihn Jahre nicht mehr wirklich gehört. Schön, dass ihn so viele Menschen noch immer mögen. Es ist nicht immer leicht, die eigene Musik zu hören, aber es schadet nicht, um sich selbst reflektieren zu können. Mein einziges Ziel ist es, nicht zu gemächlich zu werden. (lacht)

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