Großer Synthwave-Hype

GosT und Co.: Liebe zur elektronischen Nostalgie

Musik
21.04.2018 07:00

Perturbator ist erstmals am Billing des Frequency Festivals, Carpenter Brut haben in der Wiener Arena ihre Besucherzahl innerhalb von etwa zwei Jahren von rund 80 auf 800 verzehnfacht und allerorts sprießen Retro-Klänge aus den gängigen Clubs. Auch der US-Amerikaner GosT gehört zu den großen Gewinnern des Synthwave-Hypes, der nun auch bei uns sprießt. Wir haben mit dem 38-Jährigen über die Szene und seine Ideologien gesprochen.

(Bild: kmm)

Die Synthwave-Welle hat - mit einiger Verspätung - in den letzten Monaten auch Österreich und dabei speziell Wien getroffen. Vor allem in den USA und Westeuropa lassen sich mit oben genannten Bands bereits sehr eindringliche Konzerte veranstalten, mit Projekten wie Powernerd oder Kryptomorph haben sich auch hierzulande leidenschaftliche Interessierte formiert, um der klanglichen Nostalgie zu frönen. Vom Hype um das lang verschmähte, elektronische Instrument ist auch der US-Amerikaner GosT überrascht, der unlängst die kleine Halle der Wiener Arena respektabel füllte.

Niemals aufgeben
„Damit konnte keiner rechnen“, erzählte er uns vor dem Auftritt im Interview, „ich hatte zwischenzeitlich schon fast aufgegeben, meine Musik zu verkaufen zu versuchen. Fast zehn Jahre lang habe ich mich im Thrash Metal, Hardcore und Doom Metal versucht, aber egal wo ich reinrutschte, der Hype war stets verflacht. Dass es jetzt plötzlich aufwärtsgeht, kommt völlig unerwartet.“ Der 38-Jährige veröffentlichte erst unlängst sein viertes Studioalbum „Possessor“ und gilt mit diesem Werk als einer der härtesten Vertreter der Synthwave-Zunft. Er garniert seine 80er-Retrosounds mit Death-Metal- und Grindcore-Soundzitaten und reflektiert seine zutiefst antichristlichen Botschaften auf der Bühne mit paralysierenden Lichteffekten. Der Protagonist selbst verbirgt sich mystisch hinter Schleier, Kapuze und Totenschädel.

„Daft Punk sehen mit Masken doch auch cool aus, oder nicht“, lacht er, „ich mag einfach den Look, weil er gut zu meiner Musik passt. Es ist aber nicht so, dass ich mich dahinter verstecke. Bei kleineren Konzerten hänge ich danach mit den Fans ab und bin dabei auch nicht maskiert.“ Geprägt wurde seine Ideologie durch die Heimat. Der Familienvater wuchs in einem kleinen Dorf in Texas, mitten im sogenannten „Bible Belt“ auf und wurde sehr früh von den Zwängen der Religion in Beschlag genommen. „Dort gibt es an jeder Ecke Kirchen und die Menschen wollten mir immer anhand eines veralteten Buches erklären, wie ich mein Leben zu führen habe. Mit GosT verarbeite ich meine Erfahrungen damit und gebe eine Antwort auf die Fragen, die sich mir damals stellten. ,Possessor‘ ist ein Tribut an Personen wie Anneliese Michel, die einst von Priestern zu Tode exorziert wurden, anstatt vernünftig in einem Spital behandelt zu werden.“

Hunger nach Neuem
Schon in seinen Kindheitstagen in den 80ern wird GosT von zwei Musikstilen entscheidend beeinflusst - Heavy Metal und elektronischer Musik in all ihren Ausformungen und Subgenres. Parallel zu den harten Bands laufen Depeche Mode, The Cure oder Boy George. Schon aus der Historie des Künstlers lässt sich ableiten, warum die heutige Synthwave-Welle offenbar so viele Metalheads anzieht. Selbst bei den softeren, poppigeren Künstlern wie etwa der Kanadierin Dana Jean Phoenix finden Metal-Fans eine musikalische Heimat. Für GosT ist der Grund für diese nischenhafte Schräglage leicht erklärbar. „Ich bin überzeugt davon, dass das an der Redundanz des Metal liegt. Er verlor vor vielen Jahren seinen Groove und lange kam nichts mehr Neues nach. Die Leute waren davon gelangweilt und hungrig nach etwas noch nicht Dagewesenem. Zudem gibt es im Metal viele Horrorfilmliebhaber und in diese Richtung tendieren auch viele Synthwave-Bands.“

Die viel zitierte Engstirnigkeit in Metalkreisen ist obsolet, die Öffnung der Hörer und Konzertbesucher längst zum Normalfall geworden. „Gute Bands wie die Grave Pleasures, Deafheaven oder Tribulation haben bereits Bestehendes mit neuen Aspekten verknüpft und damit wieder Spannung in das Genre gebracht. Nach ihnen kamen die Synthwave-Bands, die ähnliches mit anderen Stilen vermengten. Eine gewisse Form von Konservatismus wird diese Szene nie verlassen, denn der Hass ist in der Musik immer lauter als die Liebe“, merkt GosT schwarzhumorig an, „aber wir alle kennen das Spiel: schlechte PR kann im Endeffekt die beste PR sein.“

Freiheit durch Erfolg
Für GosT hat sich die Mischung aus Sound, Image, Liveauftritten und der zunehmenden Popularität seiner Person im Einzelnen und der Szene im Allgemeinen längst ausgezahlt. „Possessor“ eroberte die Spitzenposition in den amerikanischen „Billboard Dance/Electronic Charts“ und fuhr bei „Heatseeker“ einen formidablen 17. Platz ein. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit für einen Künstler, der musikalisch nicht nur fernab der Norm operiert, sondern auch inhaltlich für Kontroversen sorgt. „Es wäre längst fällig, dass die Menschen aus diesem konservativen Geisteszustand aufwachen und sich selbst befreien. Du kannst ein wunderbares, selbstständiges Leben frühen, ohne dich an alte Regeln halten zu müssen, die dich in allen Bereichen limitieren.“

Für Aufruhr sorgen ist auch im Internetzeitalter gar nicht so schwierig - wenn es in den richtigen Gegenden passiert. „Kurioserweise hatte ich ein entscheidendes Problem mit einem Regionalmedium aus meinem Heimatdorf. Ein extrem christlicher Redakteur schrieb eine Story über mich und das Projekt und forderte mich darin auf, alle satanischen Symbole von meinen Social-Media-Kanälen zu nehmen und führte einen regelrechten Kreuzzug gegen mich. Doch nicht nur meine Fans, sondern auch viele Kollegen stellten sich gegen seinen radikalen Kurs und all das ging am Ende soweit, dass das Blatt zusperren musste.“ Auf weitere Troubles wartet der Aufrührer mit dem Gespür für technoide Sounds. „Ich würde es toll finden, wenn auch in Europa jemand gegen mich protestieren würde. Je eher es passiert, umso besser.“

Den Fahrtwind nutzen
Im realen Leben ist der Musiker aber weit davon entfernt, sich extremistisch zu gebärden. „Um wirklich aufzufallen musst du heute schon extreme Dinge tun, aber dafür ist mein Leben viel zu normal“, lacht er, „ich will die Menschen aber auch lieber mit meiner Musik provozieren, als mit irgendeinem Gehabe.“ Davor wird GosT aber noch den frischen Fahrtwind nutzen, der seine Karriere in großer Geschwindigkeit nach vorne treibt. Der Einzelgänger schraubt nach dem Vertragsende mit seinem bisherigen Label Blood Music schon an weiteren Songs. „Vielleicht versuche ich ein Doppelalbum. Auf der einen Seite mehr eine Art Post-Punk mit Gothic-Einflüssen mit Synthwave, auf der anderen mehr Metal. Zudem will ich den optischen Look adaptieren und mich dahingehend weiterentwickeln.“ Vom mysteriösen „Satanic Lord Of Slaughterwave“ wird man auch in Zukunft gewiss noch viel hören.

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