Neue Eskalation

Giftgas-Vorwürfe in Syrien: Alles nur inszeniert?

Ausland
11.04.2018 10:37

Berichte über einen Giftgasangriff auf syrische Rebellen mit Dutzenden toten Zivilisten, Bilder von weinenden und toten Kindern, martialische Drohungen gegen „das Tier“ Bashar al-Assad: Der Krieg in Syrien steuert auf die nächste Eskalation zu. US-Präsident Donald Trump kündigte eine „starke Reaktion“ bzw. einen Raketenangriff an und trommelt seither seine westlichen Verbündeten für eine gemeinsame Militäraktion zusammen. Die USA vermuten das Regime von Syriens Präsident Assad hinter dem „absolut verwerflichen“ Vorfall in der Stadt Duma. Die syrische Führung und ihr Verbündeter Russland weisen die Vorwürfe auf das Schärfste zurück und sprechen von einer Inszenierung.

Es ist tatsächlich auch ein Krieg der Bilder, deren Authentizität schwer zu überprüfen ist. Zumeist basieren die Berichte auf Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien oder auf Angaben der Weißhelme. Diese Rettungsorganisation wird vor allem von Großbritannien und den USA finanziert. Sind sie deshalb Handlanger des Westens?

Als genau solche betrachtet sie Russland und verweist sogar auf Aussagen einer kanadischen Journalistin und Nahostexpertin, die seit 2014 mehrmals in Syrien war und von dort berichtete. Eva Bartlett gab im Dezember 2016 in einer Pressekonferenz in den Räumlichkeiten der syrischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York einen Einblick in ihre Recherchen, die sich ziemlich stark von denen westlicher Medien unterscheiden. So erzählte die Kanadierin, dass obwohl Dutzende Videos aus der Provinz Aleppo von Rettungseinsätzen der Weißhelme in den sozialen Medien verbreitet worden seien, die Bewohner Ost-Aleppos noch nie von dieser Organisation gehört hätten.

Kooperieren Weißhelme mit „Terroristen“?
Seitens Russlands und Syriens gibt es laufend Vorwürfe, dass die Weißhelme vor allem in jenen Gebieten aktiv seien, in denen islamistische Rebellen die Kontrolle hätten. Aus diesem Grund sei eine Kooperation zwischen den Weißhelmen und „Terroristen“, wie das Assad-Regime pauschal alle Rebellengruppen bezeichnet, plausibel. Während einer UN-Sicherheitsratssitzung am Montag wies der syrische UN-Botschafter Bashar al-Jaafari darauf hin, dass die syrische Regierung in den vergangenen Jahren mehr als 140 Briefe an die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) geschickt habe, in denen davor gewarnt worden sei, dass Rebellengruppen in den Besitz von gefährlichen chemischen Substanzen gekommen sein dürften.

Video: Ein Aktivist der Weißhelme inspiziert den Einschlagsort einer „Giftgasrakete“, wie er behauptet.

WHO: 500 Menschen mit Atembeschwerden
Auch wenn die Weltgesundheitsorganisation deutliche Anzeichen für einen Giftgaseinsatz in Syrien sieht, UNO-Personal konnte die Berichte über den Angriff mir Sarin oder Chlorgas bisher nicht bestätigen. Nach Angaben der WHO wurden in den vergangenen Tagen in der Region rund 500 Menschen mit entsprechenden Symptomen behandelt. Besonders Anzeichen von schweren Irritationen der Schleimhäute, Atemversagen und Störungen des Zentralnervensystems seien bei den Frauen, Männern und Kindern aufgetreten. Nach Informationen der WHO sind mehr als 70 Menschen, die während der Angriffe auf Duma in Kellern Schutz gesucht hatten, gestorben. 43 Todesfälle seien auf die Belastung mit besonders giftigen Substanzen zurückzuführen.

Welche Substanzen es waren, soll nun ein Expertenteam der OPCW vor Ort untersuchen. Assad hat vor Kurzem eingewilligt, die ausländischen Experten ins Land zu lassen, um die Vorwürfe prüfen zu lassen. In US-Medien wird diese Bereitschaft lediglich als Zeitschinderei beurteilt. Außerdem wird die Organisation die Frage nach dem Urheber nicht beantworten können. Nach westlicher Lesart steht der Schuldige bereits fest: Bashar al-Assad. Doch an dieser Stelle müsste auch die Frage gestellt werden, warum der syrische Präsident kurz vor seinem Sieg in Ost-Ghouta und dem ausverhandelten Abzug mehrerer Rebellengruppen ein derartiges Kriegsverbrechen begehen sollte. In diese Richtung argumentiert auch der ehemalige britische Botschafter in Syrien, Peter Ford. In einem Interview mit der BBC appellierte der Brite am Dienstag an das westliche Publikum, „das Gehirn einzuschalten und sich zu fragen und nicht der Propaganda der Dschihadisten zu verfallen“.

Nahostexperte: „Angriff ergibt aus Sicht der syrischen Regierung keinen Sinn“
Der deutsche Nahostexperte Günter Meyer von der Universität Mainz bezweifelt ebenfalls, dass der mutmaßliche Giftgasangriff auf Assads Konto geht. Die Erkenntnisse für eine solche Schuldzuweisung reichten absolut nicht aus, sagte der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt am Mittwoch dem Sender hr-info. Auch ergebe eine solche Attacke aus Sicht der syrischen Regierung „absolut keinen Sinn“. Aus diesem Grund geht der Professor von einem Angriff „unter falscher Flagge“ aus. „Wenn es überhaupt einen solchen Angriff gegeben hat, dann wurde er insbesondere von der Gruppe der sogenannten Weißhelme inszeniert, die eine Vielzahl von ähnlichen Fällen bereits über die Bühne gebracht haben“, führte Meyer weiter aus.

Debatte über Rechtmäßigkeit eines US-Angriffs in Syrien
Ein Eingreifen der USA sollte also auf diesem Wege provoziert werden. Tatsächlich deutet derzeit alles auf eine größere Militäraktion der Alliierten hin. Der Druck, den sich Trump mit seinen martialischen Drohungen selbst auferlegt hat, verlangt nämlich Taten, die mehr als nur diplomatisch Strafen wie Sanktionen sind. In den USA findet bereits eine Debatte über die rechtliche Grundlage für eine Intervention statt. Die republikanische Seite vertrat mehrheitlich die Ansicht, Trump habe die Legitimation für einen limitierten Angriff. Die meisten Demokraten erklärten, das wäre ein Gesetzesbruch.

Riskiert Trump mit Eingreifen Amtsenthebung?
Der Rechtswissenschaftler Francis Boyle von der juristischen Fakultät an der Universität Illinois erklärte am Dienstag: „Jeder US-Angriff auf die syrische Regierung oder ihre Streitkräfte würde klar sowohl US-Recht als auch internationales Recht verletzen.“ Sollte Trump zu diesem Mittel greifen, wäre sogar ein Amtsenthebungsverfahren denkbar. „Die Verfassung ist eindeutig“, heißt es in einer Stellungnahme des Professors für Internationales Recht.

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