"Liebe ist für alle da"

Rammstein: Porno, F. und trotzdem kein Skandälchen

Musik
22.10.2009 19:26
Vier Jahre nach ihrem letzten Studioalbum "Rosenrot" kehren Rammstein mit ihrem neuen Longplayer "Liebe ist für alle da" zurück. Neben Leidenschaft und Liebe mit einer obligatorischen Portion Schmerz und BDSM-Romantik, widmet man dem Thema Pornografie viel Platz. Was zum Aufregen verdammt wäre, wirkt hier aber bisweilen unfreiwillig komisch. "Liebe ist für alle da" ist wahrscheinlich das erste Rammstein-Album, bei dem man eher lachen kann, als darüber schockiert sein zu müssen.
(Bild: kmm)

Ob Rammstein überhaupt jemals Skandale provozieren oder schockieren wollten, ist ja bis heute noch nicht restlos geklärt. In knapp 15 Jahren haben sich die Ostberliner damit allemal eine weltweite Fangemeinde aufgebaut. Die Musik, und vor allem die Texte, haben für ihre Zuhörer etwas reizvoll Verbotenes. Und falls nicht, bleibt immer noch recht gut gemachter "Tanzmetall".

Endstation: Pornoportal
Das Vorspiel um "Liebe ist für alle da" begann Ende des Sommers mit der ersten Singleauskoppelung "Pussy" und dem dazugehörigen Video, in dem sich die Band unzensiert als Pornodarsteller mit hübschen Frauen vergnügt. "Zu groß zu klein der Schlagbaum sollte oben sein / Schönes Fräulein Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr / Schnaps im Kopf du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut." Diesen Text kann man nicht einmal unabsichtlich ernst nehmen. Anstatt "Skandal!"-Ausrufe zu bekommen, wurde in Zeitungen und Blogs plötzlich über "Rammelstein" gewitzelt.

MTV und YouTube spielen das Video natürlich nicht, Rammstein kann angesichts seiner Fangemeinde auf diese Promotion aber getrost verzichten. Nur wird das Video halt auch von denen nicht gesehen, die sich mit hochrotem Kopf darüber aufplustern würden. Ironie pur: Wer heute (ohne Jugendfilter) nach dem Clip googelt, landet auf englischsprachigen Porno-Portalen, wo "Pussy" in Gegenwart einschlägiger Videos das Blümchensex-Filmchen schlechthin ist.

Balladen in Paris und die Jagdschule Gut Grambow
Rammstein scheinen sich selbst auf "Liebe ist für alle da" ohnehin nicht allzu ernst zu nehmen. Im Opener "Rammlied" wird man zu "Legenden", nennt sich zusammen mit den Fans "ein Kollektiv aus Fleisch und Blut", so als ob die Band, die sich nie von etwas oder jemandem vereinnahmen lassen wollte, plötzlich einen auf "Mir san mir"-Community machen würde. Zeilen wie "Stacheldraht im Harnkanal" und "Ich führ dir Nagetiere ein" gibt's auf "Ich tu dir weh", bevor man mit "Waidmanns Heil" in den Jäger-Jargon eintaucht, wo sich Sänger Till Lindemann in den Credits herzlich bei der Jagdschule Gut Grambow für den sprachlichen Input bedankt.

Aber auch zwei ernste Lieder gibt es: "Frühling in Paris" ist die erste Ballade Rammsteins und der erste gelungene Ausflug Lindemanns ins Französische. Ungewöhnlich ergreifend klingt der letzte Song "Roter Sand": ein kaltes, kriegerisches Liebesgedicht.

Amstettener Blut
Mit dem Song über den Fall Amstetten lässt sich indes wenig anfangen. Zur Tarnung als "Wiener Blut" betitelt, verrät sich der Text spätestens bei "Und bist du manchmal auch allein / Ich pflanze dir ein Schwesterlein". Anders als beim Kannibalen-Lied "Mein Teil" findet sich in "Wiener Blut" jedoch keine Aussage, keine Rechtfertigung, nicht einmal eine schwarzhumorige Provokation am Ende, die das Thema auf der Platte rechtfertigt. Und wenn's nur der Zweck war, die Sache als Erster musikalisch aufgegriffen zu haben - ganz ehrlich: so mancher Reporter, Paparazzi und ausländischer Buchautor hat in der Causa um das Kellerverlies in den letzten anderthalb Jahren ganz andere Grauslichkeiten geliefert. Leider.

Besser live als Studio?
Sänger Till Lindeman, die Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers, Bassist Oliver Riedel, Keyboarder Christian Flake Lorenz und Drummer Christoph Doom Schneider haben bei "Liebe ist für alle da " mit Sicherheit ein musikalisch einwandfreies Album auf die Beine gestellt. Der Sound, in kalifornischen und deutschen Studios erschaffen, kann sich sehen lassen und übertrumpft in Sachen Knackigkeit locker das letzte Metallica-Album.

Man weiß halt am Ende nicht recht, ob man jetzt zufrieden sein soll, dass sich die Herren plötzlich nicht mehr ums große Aufregungs-Tamtam und die bisher obligatorischen Skandälchen bemühen wollen. Vielleicht hatten sie aber auch einfach keine Lust mehr drauf. Da kommen die Andeutungen der Rammstein-Mitglieder in den jüngsten Interviews gerade recht, es könnte sich bei "Liebe ist für alle da" um das letzte Studiowerk der Band handeln.

Am 21. November gastieren Rammstein übrigens in Wien. Mit dem, was der Band am meisten die große Fangemeinde beschert haben dürfte: einem bombastischen Live-Spektakel mit Metal, Blut und Explosionen. Und diesmal vielleicht auch ein bisschen Porno.

7 von 10 Rammelsteinen

von Christoph Andert

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