Chronik einer Tragödie

Küchenbeil-Bluttat: Die irre Welt des Gerhard S.

Österreich
28.02.2018 06:00

Am Samstag hat ein 51-jähriger Steirer seine halbe Familie ausgerottet und danach Selbstmord begangen. Schon seit Jahren galt Gerhard S. als brandgefährlich. Die Chronik einer angekündigten Tragödie.

Ein eisiger Wind weht um das gelb gestrichene Haus, das auf einer kleinen Anhöhe im steirischen Dollrath steht. Die Vorhänge hinter den Fenstern sind zugezogen, die Türen versperrt. Niemand soll, niemand will das Gebäude betreten oder einen Blick hineinwerfen. Denn es sind noch nicht alle Spuren beseitigt von dem Massaker, das hier am Samstag geschehen ist. Als Gerhard S. (51) seine halbe Familie ausrottete, Bruder (53) und Schwester (56) mit einem Beil erschlug.

„Wie konnte er so grausam sein?“
Die Mutter (75) liegt mit schweren Kopfverletzungen im künstlichen Tiefschlaf. Nach seinem Verbrechen erhängte sich der Täter im Stall des ehemaligen Bauernhofs.

„Der Gerhard muss alles genau geplant haben“, sagt Rudolf N. (64). Der Rentner steht in seinem Schuppen, nur wenige Hundert Meter Luftlinie vom Tatort entfernt, und ordnet, wie in Trance, Werkzeuge: „Seit 40 Jahren war ich mit seiner Schwester zusammen.“ Der gemeinsame Sohn hatte die Leichen gefunden, ihn angerufen, „und ich lief zu ihm …“

Das Blut, das viele Blut, „ich werde diesen Anblick nie vergessen“. Die Wunden am Schädel und Hals seiner Lebensgefährtin, die am Bauch ihres Bruders. Die Schwiegermutter, zusammengekrümmt am Boden liegend. Tränen laufen über die Wangen des Mannes. „Wie konnte Gerhard so grausam sein?“, fragt er. Nein, das Drama sei nicht vorhersehbar gewesen: „Oder doch?“

Bereits in Kindheit „auffällig“
Gerhard S. war bereits in der Kindheit „auffällig“. Nie spielte er mit anderen Buben, lieber bastelte er alleine Modellflugzeuge. Die Menschen im Dorf führten seine Introvertiertheit auf einen Schicksalsschlag zurück: „Sein Vater verunglückte einst beim Holzfällen.“ Gerhard, damals fünf, sah ihn neben sich sterben.

Die Mutter und seine zwei älteren Schwestern versuchten, ihm Wärme und Geborgenheit zu geben. Genauso wie der Bruder, der später am elterlichen Hof Schweine und Kühe züchtete. Während Gerhard Karriere machte.

Als „extrem intelligent“ wird er beschrieben, „nach seiner Elektrotechnik-Lehre absolvierte er die HTL-Matura, in Rekordzeit“, er arbeitete – mitunter für Monate – in China, Südafrika, Australien, verdiente hervorragend.

„Nur einmal hatte er kurz eine Freundin“
Trotzdem blieb er bei der Mutter wohnen. In seiner Freizeit machte er ausgiebige Motorradtouren, und er joggte im Wald. Und sonst? „Sparte er eisern.“ Frauen schienen ihn nicht zu interessieren, „bloß einmal, da war er ungefähr 25, hatte er eine Partnerin“, erinnert sich eine frühere Kollegin. Doch die Beziehung hielt nur kurz, „weil Gerhard sich sehr sonderbar verhielt“. Inwiefern? „Jedes Mal, wenn er bei seiner Freundin übernachtete, nahm er die eigene Bettwäsche mit.“ 
Um sein „Ich“ zu bewahren, wie er meinte. Seine eigene Welt, in der bloß von ihm entworfene Gesetze Gültigkeit hatten ...

Burn-out diagnostiziert
Streitigkeiten mit der Mutter, dem Bruder, habe es deshalb „seit Langem gegeben“. Sein Verhalten den Ortsbewohnern gegenüber? Distanziert. „Er nahm nie an Festen teil.“ Wenn er sein Haus verließ, dann tat er das mit gesenktem Kopf. Wurde er von irgendwem auf der Straße angesprochen, trachtete er danach, „schnell weiterzukommen“. „Nur mit mir“, so Rudolf N., „hat er manchmal ein bisschen mehr geredet.“ Worüber? „Über technische Dinge.“

2004 brach Gerhard S. im Dienst zusammen. Ärzte stellten bei ihm ein Burn-out fest. Medikamente gegen Depressionen schlugen nicht an, er wurde in Frühpension geschickt, bekam in der Folge ein hohes Pflegegeld.

Sein weiteres Leben? Er bunkerte sich zu Hause ein, in seinem winzigen Zimmer im ersten Stock, das niemand außer ihm betreten durfte, das er stets fest verschlossen hielt. Der Raum: ein Spiegelbild seiner Seele. Am Boden eine Matratze, sein weniges Gewand in einer Kiste verstaut. Ein Tisch mit einem Computer und einem Fernseher darauf, ein alter Holzsessel.

Er glaubte, die Mutter wolle ihn vergiften
Er verbat der Mutter, seine Kleider zu reinigen; er weigerte sich, von ihr Gekochtes zu essen - weil er sie verdächtigte, das Waschmittel und die Speisen mit Gift zu versetzen. Täglich marschierte er zu einem Supermarkt, kaufte dort Lebensmittel ein, die er danach in der Küche für sich zubereitete, alleine, unter höchsten „Sicherheitsvorkehrungen“.
Täglich ging er zu dem Geldinstitut, wo er ein kleines Vermögen deponiert hatte - um zu kontrollieren, ob irgendwer von seinem Konto behoben habe. Täglich beschaffte er sich zuletzt Alkohol, den er dann einsam in seinem Zimmer trank - woraufhin er noch aggressiver wurde. „Seine Mutter machte mit ihm einen Albtraum durch“, berichtet Zecilia H. (52). Oft war sie bei der gehbehinderten 75-Jährigen zu Besuch, „um ihr ein bisschen im Haushalt zu helfen und ihr zuzuhören ...“

„Übergriffe wurden massiver“
Was erzählte die Frau der Nachbarin? Dass Gerhard sie, seinen wegen einer Diabetes-Krankheit angeschlagenen Bruder und ihren Lebensgefährten „mit irren Vorwürfen zumauerte“; dass er dauernd behauptet, die drei würden sein Erspartes stehlen oder seine Hinrichtung planen: „Manchmal ging er auch körperlich auf seine Mama los. Aber sie zeigte ihn nie an, denn sie wollte nicht, dass er in ein Gefängnis oder in die Klapsmühle kommt.“

2017 eskalierte die häusliche Situation zunehmend, „Gerhards Übergriffe wurden massiver“, mehrfach schritt die Polizei ein. Danach war der Mann jeweils für ein paar Wochen in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Diagnose: paranoide Schizophrenie.

Tat vermutlich von langer Hand geplant
„Wenn er seine Pillen nahm, verhielt er sich ruhig“, sagen die Dollrather, „aber er setzte sie häufig ab.“ Und dann war wieder sein Schreien zu hören, aus dem gelb gestrichenen Haus am Hügel. Mitte Dezember 2017 drehte Gerhard S. abermals durch. Er musste in Handschellen abgeführt werden. Er kam - wieder einmal - in eine geschlossene Abteilung. Kurz nach Neujahr wurde er heimgeschickt. „Ein paar Tage hindurch ging alles gut“, so Zecilia H.. „Gerhard schluckte brav die Neuroleptika.“

Bis er plötzlich eines Abends die Mutter verdächtigte, ihm sein Erbe nehmen zu wollen: „Er fügte ihr blaue Flecken und Prellungen zu.“ Die Pensionistin, ohnehin an einer Nierenbeckenentzündung erkrankt, der Lebensgefährte nach einer Knie-OP in einem Rehablititationszentrum - ließ sich in ein Spital einweisen. Ihre Verletzungen erklärte sie dort mit einem selbst verschuldeten Sturz.

Am vergangenen Freitag kam sie nach Hause. Am Samstag, das wusste Gerhard S., würde seine Schwester der Mutter und dem Bruder zu Mittag ein Grillhuhn bringen. Als die Frau eintraf, hatte er bereits aus dem Stall ein Beil in sein Zimmer gebracht. Und das Drama nahm seinen Lauf.

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