Wilde Newcomerin

Florence and the Machine

Musik
14.07.2009 19:14
Nirgendwo sonst auf der Welt bestimmen derzeit Auszeichnungen so stark über Musikkarrieren wie in Großbritannien. Wer nicht mindestens einmal als "New Hot Shit" prämiert wurde, reißt bei den Untertanen der Queen zu 90 Prozent kein Leiberl. Als man Florence Welch den "Critic's Choice Award" bei den Brit Awards im Februar 2009 um ihren hübschen Hals hängte, war sie bei den Musiksüchtigen schon längst in aller Munde - es gibt eben auch Ausnahmen. Jetzt ist das Debütalbum von Florence and The Machine, wie sich die erst 22 Jahre junge Künstlerin nennt, erschienen.
(Bild: kmm)

"Nicht noch so ein junges Ding!", werden sich an dieser Stelle die ersten beschweren. Tatsächlich reiht sich Fräulein Welch momentan neben einer Heerschar an jungen und nicht minder auffälligen Damen ein, die gerade in Begriff ist, von London aus die Musikwelt zu erobern. Frische Luft ist in der inoffiziellen Musikhauptstadt Europas eben schnell abgestanden. Wo gestern noch Duffy und Adele plakatiert waren, hängen heute Little Boots, La Roux und zwei Platzhalter für die nächsten beiden. Wäre Florence Welch nur Florence und nicht Florence and The Machine, man könnte sie wohl genauso links liegen lassen wie die anderen, wenn man etwas Neues hören möchte und nicht etwas Altes anders.

Florence Welch hat aber eine geradezu sagenhafte "Musikmaschine" im Gepäck, die ihre alle Stückerl spielt und manchmal gleich zwei auf einmal. "The Machine" ist dabei nicht nur die fünfköpfige Begleitband in der typischen Pop-Besetzung (git, dr, ba, key) samt einem Harfisten, der eines Tages zufällig am Studio vorbeispaziert war und seither dazugehört. Lärminstrumente wie Mülltonnen und der eine oder andere Ton aus dem Computer bilden das "Nitro" im Triebwerk, damit so richtig die Post abgeht. Dieser Sound fällt nicht mehr in die Kategorie "frischer Wind", sondern klingt nach einem mittelstarkem Sturm. Auf dem mit Hochspannung erwarteten Debütalbum "Lungs" brauen sich jedenfalls mitreißender Indie-Pop, ein Prise Rock 'n' Roll, hin und wieder ein bisschen Electro und Folk-Music-Zitate zu dicken Wolken zusammen, die die Londonerin mit ihrer betörend kräftigen Stimme zu einer Windhose aufstiert, worauf sich alle Aufmerksamkeit des Zuhörers dem Sog nicht mehr entziehen kann.

Was die junge Frau noch spannender macht - und das ist ein weiterer Grund warum sich viele Plattenrezensenten beim Anhören von "Lungs" wünschen, bei der einen oder anderen Newcomer-Kritik jetzt den fünften Stern wieder zurückstibitzen zu können: Sie hat Persönlichkeit, auch und vor allem als Songwriterin. "A kick in the teeth is good for some / A kiss with a fist is better than none", heißt es in "Kiss with a fist", inspiriert von einem Pärchen, das sich im wahrsten Sinn der Worte brutal gern hat. "My Boy Builds Coffins" schrieb Welch über den selbstzerstörerischen Sänger einer Londoner Punkband, deren Song "Girl With One Eye" klaute sie für "Lungs" um mit dem Thema Frauenliebe zu flirten.

Ihre Mentorin, die Londoner DJane und Agentin Mairead Nash, hat sich Welch im Vollrausch auf einer Wirtshaus-Toilette geangelt. Sie zog die Musikmanagerin, die mit 26 zwar kaum älter ist als Welch, aber schon jetzt als eine der bestvernetzten Agentinnen Londons gilt, mit einem kräftigen Ruck in eine Kabine und hauchte ihr einen Song ins Ohr. Das ist übrigens nicht die einzige verrückte Story, die man über die Kunstschulabbrecherin lesen kann. Nashs Jobdescription umfasst deswegen nicht nur die geschäftliche und musikalische Komponente von Florences Karriere: "Ich mache ihr das Leben leicht, damit sie daraus Kunst macht", sagt sie. Nach zwei Jahren Zusammenarbeit hat sie es mit Fräulein Welch immerhin auf Platz 2 der britischen Charts geschafft - und das auch nur, weil ein gewisser Michael Jackson an die Spitze gestorben ist.

Dass die 22-jährige Tochter zweier geschiedener Ex-Hippies in Narrenfreiheit lebt und in ihrer Musik wie auf der Bühne ständig zwischen (Pop-)Genie und Wahnsinn balanciert, ergibt natürlich eine potenziell explosive Mischung; ähnlich derer, die man vor ein paar Jahren auch bei Amy Winehouse und Pete Doherty unheilvoll anklingen hörte. Mit letzterem hatte Welch bereits ein Tête-à-tête auf einer Live-Bühne: Sie mit einem Vorhang bekleidet, er mit einem Mordstrum Rausch. "Es war chaotisch und surreal. Er ist aber ein lieber Kerl", berichtete Welch der "Times" über die Session. Das Spiel mit dem Feuer kennt die junge Frau, nicht nur musikalisch. Man kann sich getrost darauf einstellen, dass von Florence and The Machine auch in Zukunft etwas zu hören sein wird. So oder so.

9 von 10 fauchenden Musikmaschinen

von Christoph Andert

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