"Der Vertrag ist tot"

Tschechiens Präsident Klaus blockiert EU-Vertrag

Ausland
06.05.2009 18:19
Der tschechische Senat hat am Mittwochnachmittag dem EU-Reformvertrag zugestimmt. Für die Ratifizierung des Dokuments votierten 54 Senatoren, 20 waren dagegen. Erforderlich war eine Verfassungsmehrheit (Drei-Fünftel-Mehrheit) der anwesenden Mitglieder der 81-köpfigen zweiten Parlamentskammer. Für knapp zwei Stunden war daher die Freude im Lager der EU-Befürworter und - Unterstützer in Tschechien selbst und in der EU groß. Doch dann setzte der tschechische Präsident Václav Klaus einen - nicht unerwarteten - Kontrapunkt: Er denke im Moment nicht daran, den Beschluss des Senats zu beurkunden.

Klaus will erst eine mögliche Verfassungsklage abwarten. Eine Gruppe von Senatoren der konservativen ODS hatte eine solche Klage in Aussicht gestellt. Wenn es dazu komme, werde er über die Ratifizierung erst dann nachdenken, wenn das Verfassungsgericht entschieden habe, erklärte Klaus.

Was sagen die Richter?
Allerdings hatte das tschechische Verfassungsgericht in Brünn schon im November 2008 geurteilt, dass der Lissabon-Vertrag in den beanstandeten Punkten mit tschechischem Recht vereinbar sei. Auch die tschechische Bevölkerung sprach sich zuletzt in einer Umfrage mit 64 Prozent für das Dokument aus. Über das Votum der oberen Kammer zeigte er sich "enttäuscht". "Der Lissabon-Vertrag ist tot, weil er in einem EU-Staat in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde. Deswegen steht für mich die Entscheidung über die Ratifizierung des Vertrages nicht auf der Tagesordnung", so Klaus.

Klaus vergleicht Senatsvotum mit 1938 und 1968
Mit ihrer Zustimmung hätten sich einige Senatoren "mit dem Rücken zu den langfristigen Interessen Tschechiens gestellt", so das Staatsoberhaupt weiter. Das Votum im Senat sei ein "sehr trauriger Beleg für ein weiteres Versagen eines bedeutenden Teiles unserer politischen Eliten", das man bereits aus der tschechischen Geschichte kenne. "Unsere Politiker haben immer derartig feige Begründungen gefunden", wonach man klein und schwach sei und man im europäischen Kontext nichts bedeute, sodass "wir uns unterwerfen müssen, auch wenn wir nicht einverstanden sind".

"Dies lehne ich ab", betonte Klaus in offensichtlicher Anspielung auf das Vorgehen tschechoslowakischer Politiker in den Jahren 1938 (nach der Unterzeichnung des Münchener Abkommens) und 1968 (nach der Warschauer-Pakt-Invasion in die Tschechoslowakei). "Entweder haben wir im November 1989 die Freiheit wieder erobert und damit auch die Verantwortung für das Schicksal unseres Landes, oder das Ganze war ein tragischer Irrtum", meinte Klaus.

Zuvor klare Zustimmung im Senat
Davor hatten am Nachmittag die oppositionellen Sozialdemokraten, die mitregierenden Christdemokraten und die Mitglieder des Klubs der offenen Demokratie, in dem unabhängige Senatoren zusammengeschlossen sind, für den Lissabon-Vertrag gestimmt. Auch ein Teil der Senatoren der konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS des scheidenden Premiers Mirek Topolanek unterstützte das Dokument, obwohl die Partei den Reformvertrag recht kritisch sieht. Aus Protest trat gleich nach der Abstimmung mit Alena Paralova eine Abgeordnete der ODS aus der Partei aus.

Außenminister Schwarzenberg zufrieden
Das tschechische Außenministerium "begrüßte" dagegen in einer offiziellen Erklärung den Ausgang der Abstimmung "sehr". Das Außenamt hofft, dass der Ratifizierungsprozess "in der nächsten Zeit" erfolgreich abgeschlossen werde. "Unser Land schließt sich damit jenen Staaten an, die entschlossen sind, konsequent den europäischen Weg zu gehen. Das ist eine gute Nachricht nicht nur für Europa, sondern auch für die nationalen Interessen Tschechiens", betonte Außenminister Karl Schwarzenberg. Der für Europafragen zuständige Vizepremier Alexandr Vondra sprach von einem "wichtigen Tag" für Tschechien und seine Position in Europa und in der Welt. Es sei auch eine Genugtuung für die Regierung, die "sehr harte Verhandlungen" über das Dokument geführt habe.

Barroso: "Das ist eine sehr gute Nachricht"
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat das Ja im tschechischen Senat umgehen begrüßt. "Das ist eine sehr gute Nachricht", so Barroso am Mittwoch in Brüssel. Die Abstimmung in Prag habe das Bekenntnis der Tschechen zu mehr Demokratie, Verantwortung, Effizienz und einer kohärenten Europäischen Union gezeigt. Er hoffe, dass die verbleibenden konstitutionellen Schritte in Tschechien sowie anderen EU-Staaten so rasch wie möglich umgesetzt werden, sagte Barroso noch vor Bekanntwerden des Vetos von Klaus.

Noch weitere Hürden für den Reformvertrag
Nicht abgeschlossen ist das Ratifizierungsverfahren neben Tschechien indes auch noch in Polen, Deutschland und Irland. In Polen ist die Unterschrift von Staatspräsident Lech Kacynski ausständig, in Irland ist eine zweite Volksabstimmung geplant, in Deutschland fehlt noch ein Urteil des Verfassungsgerichts. Nur mit Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten kann der Reformvertrag in Kraft treten, um die erweiterte Union funktionsfähiger zu machen.

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