"Demokratiedefizit"

Klaus: ‘Keine Alternative zur EU’ – aber auch Kritik

Ausland
19.02.2009 16:33
Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus hat am Donnerstag in einer Rede vor dem Europaparlament in Brüssel betont, dass es auch für sein Land "keine Alternative zur Mitgliedschaft in der EU gibt". Dies sei aber "nur die Hälfte" der Wahrheit. Der "Status quo, dass die gegenwärtig vorhandene institutionelle Anordnung der EU als ein für alle Mal nicht kritisierbares Dogma betrachtet wird, ist ein Irrtum". Die Beziehungen zwischen den Bürgern und der Union seien anders als in einzelnen Ländern. Indes wird der EU-Reformvertrag, den das Prager Abgeordnetenhaus am Mittwoch gebilligt hat (siehe Story in der Infobox), höchstwahrscheinlich doch noch einmal beim tschechischen Verfassungsgerichtshof landen.

"Zwischen den Bürgern und den Repräsentanten der EU existiert ein Abstand, der wesentlich größer ist als innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten - und das nicht nur im geografischen Sinn", betonte Klaus. Die Vorschläge zur Änderung des "Demokratiedefizits" durch den abgelehnten Verfassungsvertrag "oder in dem nur gering abweichenden Lissabon-Vertrag" würden "diesen Defekt nur vergrößern", so Klaus. Auch die "eventuelle Stärkung der Rolle des EU-Parlaments stellt keine Lösung für diesen Defekt dar".

Kritik an Europaparlament
Es gebe, was das EU-Parlament betrifft, zu viele Entscheidungen, die man eher auf nationaler Ebene treffen sollte. Die EU-Institutionen seien kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Umsetzung der Ziele von Freiheit der Menschen und einer wirtschaftlichen Ordnung, die Prosperität mit sich bringe, so Klaus.

In einem "normalen parlamentarischen System gibt es einen Teil der Abgeordneten, der die Regierung unterstützt, und einen Teil der die Opposition unterstützt. Das ist im Europaparlament nicht der Fall", sagte er. Und wer hier über Alternativen nachdenke, werde gleich als Gegner der europäischen Integration angesehen. "Wir haben die bittere Erfahrung gemacht, dass dort, wo es keine Opposition gibt, die Freiheit verkommt." Deshalb seien politische Alternativen so wichtig.

Er wolle auch kein "Fundamentalist" sein. Er sei aber davon überzeugt, dass heute Europa wirtschaftlich überreguliert sei. Deshalb bedürfe es einer Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Klaus kritisierte auch EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering, weil dieser glaube, dass das Europaparlament jene Institution sei, die geeignet sei, den Protektionismus zu bekämpfen. Er sei hier doch "leicht überrascht" über diese Aussage gewesen. Befragt, warum er keine Alternative zur EU sehe, antwortete Klaus leicht ironisch, dass er nicht der "bad guy" sein wolle.

Klaus ließ die Frage offen, ob er den Lissabon-Vertrag unterzeichnen werde. "Das ist wirklich eine Frage, die ich jetzt nicht bereit bin zu beantworten." In Tschechien hatte am Vortag das Unterhaus den Vertrag gebilligt, die zweite Parlamentskammer, der Senat entscheidet erst "in zwei bis drei Monaten" und das werde er abwarten, sagte Klaus.

Sowohl Beifall als auch Buhrufe
Zuvor war die Rede des tschechischen Staatschefs im Europaparlament sowohl von Beifall als auch von Buhrufen der Europaabgeordneten begleitet worden. Darauf angesprochen sagte Klaus, es hab sich um eine "perfekte Atmosphäre" gehandelt. Unzufrieden wäre er gewesen, hätte es eine "totale Stille" oder einen Mangel an Reaktionen gegeben. So sei er aber "sehr positiv überrascht" gewesen.

Die Liste der Reaktionen reichte von "verächtlich" seitens der Klaus-Kritiker bis zu "skandalöser Respektlosigkeit der EU-Fanatiker", die die Aussagen des tschechischen Staatschefs verteidigten. Die SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Maria Berger, warf Klaus vor, die Zeichen der Zeit nicht zu verstehen. Seine "eigenwillige" These zur Wirtschaftskrise, diese sei durch zu viel staatlichen Eingriff in die Märkte entstanden, bezeichnete Berger als "komplett falsch". Nur zu provozieren, ohne einen konstruktiven Beitrag zu leisten, sei zu wenig für ein soziales und stabiles Europa.

Der FPÖ-Europaabgeordente Andreas Mölzer wiederum verteidigte Klaus. Er hielt dem ÖVP-Abgeordneten Reinhard Rack vor, den tschechischen Präsidenten als "Oberlehrer beschimpft" zu haben, dies sei "skandalös". Es habe sich damit gezeigt, dass das "EU-Polit-Establishment zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit EU-Kritikern weder fähig noch willens" sei. Gleichzeitig warf Mölzer Klaus einen "antideutschen Reflex" vor, weil dieser den Lissabon-Vertrag nur deshalb ablehne, weil dann die Benes-Dekete entsorgt werden müssten.

Die Grüne EU-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Ulrike Lunacek, wiederum ortete eine "verdrehte und manipulierte Wahrnehmung" der europäischen Wirklichkeit durch Klaus. Weniger dramatisch sieht ihr europäischer Fraktionskollege Daniel Cohn-Bendit die Rede, der Klaus für den Karnevalsorden vorschlug.

Weiter Wirbel um Reformvertrag
Der Senator der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), Jiri Pospisil, bestätigte unterdessen die seit Wochen kursierenden Gerüchte, wonach seine Parteikollegen den EU-Reformvertrag "bestimmt" wieder von den Verfassungsrichtern überprüfen lassen wollen. Dabei solle geklärt werden, ob das Dokument nicht im Widerspruch zur tschechischen Verfassung stehe. "Wir werden sicher eine Beschwerde einreichen", betonte Pospisil. "Der EU-Reformvertrag ist schlecht, daran hat sich nichts geändert. Ich kann nicht verstehen, wie ihn jemand unterzeichnen konnte." Man wolle die Beschwerde nach der Abstimmung im Senat einreichen.

Der Senat soll sich im April mit dem EU-Reformvertrag befassen und wahrscheinlich darüber abstimmen. Man geht davon aus, dass das Dokument auch von den Senatoren ratifiziert wird, auch wenn die ODS bestimmte Bedingungen dafür hat: Ratifizierung der tschechisch-amerikanischen Verträge über die Stationierung des US-Raketenabwehr-Radars und die Verabschiedung einer Gesetzesnovelle, die garantieren sollte, dass Prag ohne Zustimmung beider Parlamentskammern keine Vollmachten nach Brüssel übertragen kann.

Die ODS ist in der Frage des EU-Reformvertrags gespalten: Ein Teil lehnt das Dokument entschieden ab, während es der andere Teil, einschließlich Premier Mirek Topolanek, als "nötiges Übel" dulden will. Eine Gruppe von ODS-Senatoren hatte bereits im Frühjahr 2008 den EU-Reformvertrag zum Verfassungsgerichtshof nach Brünn geschickt. Die Verfassungsrichter erklärten dann im Herbst, dass man bei den beanstandeten Punkten keine Widersprüche zur tschechischen Verfassung gefunden habe.

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