Zwei Millionen Tote

Erster Prozess vor Rote-Khmer-Tribunal

Ausland
17.02.2009 13:42
30 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot hat in Kambodscha am Dienstag der erste Prozess vor dem eigens eingerichteten Völkermord-Tribunal begonnen. Angeklagt ist der 66-jährige Kaing Guek Eav (linkes Bild) alias "Duch", der damals das Foltergefängnis Tuol Sleng, berüchtigt als "S 21", in Phnom Penh leitete. Dort und auf den benachbarten "Killing Fields" kamen zwischen 1975 und 1979 mehr als 16.000 Menschen ums Leben. Insgesamt wurden bis zu zwei Millionen Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, gefoltert und ermordet. Eav ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das damals geltende Strafgesetz angeklagt. Ihm droht lebenslange Haft.

Sein Verteidiger Francois Roux forderte zum Prozessauftakt Respekt für die Menschenrechte in Bezug auf seinen Mandanten. Er legte Einspruch gegen den Antrag ein, einen neuen Nebenkläger zuzulassen, der sich erst nach Ablauf der gesetzten Frist gemeldet hatte. Das verstoße gegen die Regeln des Gerichts, das nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Kambodscha und der UNO außerhalb der Hauptstadt Phnom Penh eingerichtet worden war. "Der Angeklagte hat seine Verantwortung für S 21 schon öffentlich eingeräumt", sagte Roux. "Wir verteidigen jemand, dem die schlimmsten Verbrechen vorgeworfen werden. Aber er hat das Recht auf einen fairen Prozess. Die Rechte, die die Opfer einfordern, gelten auch für den Angeklagten: die Menschenrechte." Es sei unhaltbar, dass sein Mandant mehr als neun Jahre ohne Prozess hinter Gittern saß.

"Duch versah den Todesbetrieb mit Präzision"
Seine Gräueltaten soll der einstige Mathematiklehrer genauestens geplant und ausgeführt haben. "Er ist akribisch, gewissenhaft, kontrolliert, achtet auf jedes Detail und sucht Anerkennung durch seine Vorgesetzten", hieß es in einem psychologischen Gutachten des UNO-Tribunals. Akribisch führte Kaing Guek Eav Buch über seine Opfer, sammelte Geständnisse und Fotos, die später halfen, die Grausamkeiten in Tuol Sleng zu rekonstruieren. "Duch versah den Todesbetrieb mit Präzision", schreibt die US-Journalistin Elizabeth Becker einem Buch über die Roten Khmer. "Er hatte sogar bestimmte Tage für die Hinrichtung einzelner Gruppen von Gefangenen festgelegt: ein Tag für die Frauen der 'Feinde', ein anderer für die Kinder, ein weiterer für die Arbeiter." Nahezu jeder in seinem Umfeld soll Duch gefürchtet haben.

Auch Chefideologe des Pol-Pot-Regimes angeklagt
Der Prozess gegen "Duch" ist der Auftakt für insgesamt fünf geplante Verfahren. Angeklagt und inhaftiert sind auch vier heute betagte politische Würdenträger des damaligen Regimes unter Pol Pot, darunter der Chefideologe Nuon Chea. Ihnen soll der Prozess voraussichtlich nächstes Jahr gemacht werden. Die Gräueltaten der von Peking unterstützten Roten Khmer blieben 30 Jahre ungesühnt, weil das Land nach der Befreiung durch vietnamesische Truppen erst in einen Bürgerkrieg verfiel und später jahrelang Spielball der Mächte des Kalten Krieges wurde. Bis ins Todesjahr Pol Pots 1998 kämpften die Roten Khmer aus dem Untergrund weiter.

"Den Menschen vermitteln, was passiert ist"
Der vorsitzende Richter Nil Nonn sagte, mit dieser ersten Anhörung nehme das Gericht seine Arbeit als faire und unabhängige Einrichtung auf. Der kanadische Co-Ankläger Robert Petit erinnerte daran, dass das Gericht nicht nur Schuld und Unschuld festzustellen habe. "Es ist die Verantwortung und die Pflicht des Gerichts, den Menschen zu vermitteln, was in diesem Land passiert ist", sagte er. Anders als Verteidiger Roux unterstützte Petit deshalb den Antrag von Anwälten, als Nebenkläger Norng Chan Phai zuzulassen, der das Foltergefängnis als Kind überlebte. Der Mann hatte sich im Februar aber erst zwei Tage nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist für die Anträge auf Teilnahme gemeldet. Er habe von der Frist nichts gewusst, sagten die Anwälte.

Angeklagter von Journalisten aufgespürt
"Duch" saß bei der Prozesseröffnung in blauem Hemd mit offenem Kragen hinter seinem Verteidiger und verfolgte die Verhandlung aufmerksam mit versteinertem Blick. Der ehemalige Mathematiklehrer hat im Vorfeld bereits Reue geäußert und seine Verbrechen eingestanden. Er lebte jahrelang, zum Christentum konvertiert, in der Provinz und war 1999 von Journalisten aufgespürt worden. Seitdem sitzt er im Gefängnis. Angesichts der langen Untersuchungshaft kündigte sein Anwalt unter Verweis auf kambodschanisches Recht einen Antrag auf Haftentlassung an. "Duch" beriet sich mehrfach im Flüsterton mit Roux. Beim Verlassen des Gerichts zur Mittagspause hob er die Hände in einer Demutsbezeugung in Richtung Richter, Ankläger und Anwälte der Nebenkläger. In der ersten, dreitägigen Phase des Prozesses geht es nur um die Zulassung von Zeugen und den weiteren Prozessfahrplan. "Duch" wird zunächst nicht aussagen. Zeugen kommen erst in der nächsten Phase nicht vor Ende März zu Wort.

Gewaltherrschaft forderte zwei Millionen Tote
Die Roten Khmer hatten von 1975 bis 1979 Millionen Stadtbewohner zur Landarbeit verpflichtet. Bei den gesellschaftlichen Umwälzversuchen der "Steinzeitkommunisten" töteten sie bis zu zwei Millionen Menschen, die sie als "Verräter der Revolution betrachteten". Kaing Guek Eav schloss sich der ultra-maoistischen Bewegung an, wurde jedoch von der damaligen Regierung verhaftet und ebenfalls gefoltert. 1970 kam er wieder aus dem staatlichen Gefängnis frei und wurde zum Verantwortlichen für die Gefangenen der Roten Khmer.

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