Das Urteil

Lebenslang für fünf grausame Axtmorde

Oberösterreich
07.11.2008 14:24
Wie erwartet ist der Prozess gegen den Fünffachmörder von Wien und Linz am Wiener Straf-Landesgericht ausgegangen: Der Wiener Richard St. wurde schuldig gesprochen und bekam lebenslang. Damit geht sein Wunsch offensichtlich in Erfüllung: Am ersten Prozesstag (siehe Video) schockierte er die zahlreichen Anwesenden im Gerichtssaal mit einem emotionalen Auftreten und einer bizarren Schilderung seiner Motive für die Bluttaten: "Ich war unfähig zum Selbstmord. Meine Strafe ist, dass ich leben muss. Wenn ich schon leben muss, dann wünsche ich mir eine lebenslange Haftunterbringung."

Bei der Strafbemessung wurden dem Mann die bisherige Unbescholtenheit mildernd angerechnet. "Ein reumütiges Geständnis konnte das erkennende Gericht demgegenüber nicht erkennen", stellte der vorsitzende Richter Wilhelm Mende fest. Erschwerend war das "Ausnützen eines Vertrauensverhältnisses". Die Opfer hätten mit keinem Angriff gerechnet und auch keine Möglichkeit gehabt, die Attacken abzuwehren. "Die verhängte Strafe erscheint im Hinblick darauf tat- und schuldangemessen", sagte Mende.

Reinhard St. blieb während der Urteilsverkündung nach außen hin emotionslos. Die Frage, ob er das Urteil verstanden habe, quittierte er mit einem bestimmten Kopfschnicken. Danach ließ er sich von der Justizwache die Handschellen anlegen und aus dem Großen Schwurgerichtssaal abführen.

Bizarrer Prozess, verzweifelte Anwälte
Während seiner Aussage am gestrigen ersten Prozesstag war der 39-Jährige immer wieder in Tränen ausgebrochen. Besonders bei den Ausführung im Zusammenhang mit seiner ermordeten Tochter konnte er die Emotionen nicht zurückhalten. Den fünffachen Mörder über seine Taten weinen zu sehen, war ein höchst bizarrer Anblick. Er habe nur "das Beste" für seine Tochter gewollt, heulte Reinhard S. "Wenn man wirklich versuchen würde, das nachzuvollziehen, dann müsste man auf eine geistige Ebene, die geisteskranke Elemente enthält", sagte der Angeklagte und versuchte dann doch eine Erklärung für sein Handeln zu finden: "Das Leben ist sinnlos. Ich habe fast 40 Jahre lang sinnlos gelebt. Solange das Leben angenehm ist, kann man es ja leben. Aber wenn es unangenehm wird, dann besteht keine Notwendigkeit, das auf sich zu nehmen. So ist mein Denken."

"Es war immer klar für mich, dass ich mich nicht fortpflanzen will, kein Kind in die Welt setzen will", berichtete der 39-Jährige. Dann schlug er sich die Hand vor dem Mund. Man hörte ihn schluchzen, bevor er fortfäuhr. Seine Tochter sei "ein extrem liebes Kind" gewesen: "Ich war verpflichtet, alles für sie zu tun". Das Kind wäre unglücklich geworden, es sei auch sehr sensibel gewesen.

"Der Tod ist der Ausweg"
"Der Tod ist der Ausweg", meinte er dann. "Der Tod wird so sein wie vor unserer Zeugung, ein Idealzustand." Die finanziellen Probleme habe er seiner Familie nicht zumuten wollen: "Der Schmerz, der wäre so gigantisch gewesen." Es sei nicht "eiskalt geplant" gewesen: "Dann hätte ich es anders gemacht", so der Angeklagte. Es sei auch nicht geplant gewesen, dass er noch zu seinen Eltern fährt - aber er hätte die Mutter nicht mit dem Schmerz alleine lassen können: "Bitte, denken Sie sich hinein, meine Mutter hat so schon wegen jeder Kleinigkeit Angst gehabt. Das Leben wäre die Hölle geworden für meine Eltern." Das gleiche hätte auch für seinen Schwiegervater gegolten.

"Mich kann man nicht mehr bestrafen"
Nun wolle er nur noch genaue "Darstellungen" für seine Geschwister: "Mir persönlich ist es egal, was da heute verhandelt wird. Ich sehe mich nicht mehr dem österreichischen Gesetz unterworfen. Mich kann man nicht mehr bestrafen." Das, was er sich nun für sich wünsche, wäre vor Jahren noch möglich gewesen, spielte er offenbar auf die Todesstrafe an. Weil das nicht ginge, wünsche er sich eine "lebenslange Haftunterbringung - wenn ich schon leben muss."

Als seine Frau schwanger geworden sei, wollte er es für seine Familie "besser haben", deswegen habe er an der Börse Geld eingesetzt, erklärte Reinhard S. Er habe gewusst, "was man darf und was nicht": "Das Problem war, dass ich zu oft zu nervös gewesen bin." Von den finanziellen Schwierigkeiten habe er seiner Frau nichts sagen wollen, um sie nicht zu belasten. Für ihn selbst sei es eine "Belastung von früh bis spät" gewesen.

"Bis zum Schluss hat es die irrationale Hoffnung gegeben, ich kann die Verluste doch noch aufholen. Bis zuletzt war es ein Kampf, dass es doch noch weitergeht. Ich habe noch gehofft. Deshalb habe ich auch keine Mordwaffe gekauft", erklärte der Mann mit gebrochener Stimme. "Das wollte ich ja nicht." Vor dem Tag der Taten, einem Dienstag, hätte er "drei volle Tage und Nächte Zeit gehabt, als die Frau und das Kind geschlafen haben. Da wäre es leichter gewesen. Aber ich wollte das nicht". Er habe seine Probleme immer wieder zur Seite geschoben und auf eine andere Möglichkeit gehofft.

"Und irgendwie - jetzt oder gar nicht"
In der Nacht zuvor habe er wieder mit sich gerungen, da habe er die Hacke schon gehabt. "Dann ist die Frau aufgestanden, weil sie hatte ja einen Arbeitstag. Und irgendwie - jetzt oder gar nicht", versuchte der Angeklagte unter Tränen und in gebrochenen Sätzen seine damalige Situation zu beschreiben.

Die Hacke habe er am Freitag vor dem besagten Dienstag zu Mitternacht in einer Auslage gesehen: "Da war ich noch in der Apotheke, weil das Kind krank war. Da hab ich noch überlegt, wenn ich es überhaupt machen würde, dann wie. Weil es darf ja keine Kampfsituation sein." Er habe gedacht, ein "schneller Schlag" mit der Hacke auf den Kopf und dann sei man bewusstlos: "Was in der Praxis auch so war. Es war kein Todeskampf", sagte der 39-Jährige. "Maximal ein, zwei Sekunden" hätten seine Opfer noch gelebt.

Brutal zugeschlagen, um Leid zu vermeiden
S. versicherte, nicht kaltblütig gehandelt zu haben. Er habe sich vielmehr "den ganzen Tag in eine Konzentration zwingen müssen. Ich habe mich zu den Schlägen zwingen müssen. Ich wollte nicht schlagen! Ich musste mich hineinsteigern und die Gefühle wegdrängen, dass ich das machen kann." Er habe "zur Leidvermeidung" besonders heftig zugeschlagen, "nicht um Leid zu produzieren".

Auf die Frage, weshalb er seinen Bruder, seine Schwester und seinen Schwager verschonte, erwiderte der Angeklagte: "Die stehen mir nicht nahe genug. Da ist die Liebe nicht groß genug." Bei seinen Geschwistern handle es sich jedoch um "die wahren Opfer", da diese weiter zu leben hätten "und mit dem für sie Unfassbaren umgehen müssen". "Ich denke mir jeden Tag, was sie sich alles erspart haben", bemerkte Reinhard S. über die toten Familienangehörigen. Er müsse "bei dieser ideologisch-philosophischen Haltung bleiben, weil ich es sonst nicht aushalte."

Bordellbesuch als "Henkersmahlzeit"
Der 39-Jährige erläuterte auch, weshalb er in Ansfelden noch ins Bordell ging, nachdem er die fünf Menschen ums Leben gebracht hatte. "Vor dem Tod gibt's eine Henkersmahlzeit. Ein Bordellbesuch hat keinen Funken mit Liebe zu tun. Die Männer verstehen, was ich meine. Dem Bordellbesuch messe ich keine Bedeutung bei. Es war die letzte Möglichkeit, mit einer Frau zu schlafen."

Der danach geplante Selbstmord sei gescheitert, weil er auf der Rückfahrt nach Wien "kein Anfahrtsziel" fand. Obwohl er die Bundesstraße benützte, sei ihm kein Brückenpfeiler aufgefallen: "Ich den Gegenverkehr hineinfahren wollte ich nicht. Ich beschädige niemanden Dritten." Außerdem sei das Problem am Suizid, "dass es die hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Da gehe ich lieber ins Gefängnis, als ich lieg' irgendwo verkrüppelt im Spital." Also habe er sich entschlossen, sich der Polizei zu stellen.

Staatsanwalt: "Opfer ganz übel zugerichtet"
Staatsanwalt Michael Radasztics kündigte den Geschworenen in seinem Einleitungsvortrag belastende Details an, "die alles andere als lustig sind". "Keines der Opfer wurde mit weniger als 13 Axthieben getroffen", betonte der Ankläger. Speziell seine Mutter habe der Angeklagte "ganz übel zugerichtet". Auf den Tatortfotos der Polizei wären "praktisch keine Gesichtszüge mehr erkennbar". Bei seiner Tochter wiederum habe der 39-Jährige "versucht, ihr mit einem Fuchsschwanz den Kopf abzuschneiden". Das alles sei "grauenvoll anzuschauen".

Neben der "besonderen Brutalität" verwies Radasztics auf die "Kaltblütigkeit" des Angeklagten. Während Frau und Tochter in ihrem Blut lagen, hätte dieser "in aller Seelenruhe telefoniert" und seine Frau bei deren Arbeitgeber krankgemeldet. Danach habe er sich "in aller Gemütsruhe geduscht". Nachdem Reinhard S. in Linz mit dem Schwiegervater sein fünftes Opfer getötet hatte, sei er zurück nach Ansfelr am Straßenstrich in Wien angesprochen und, ehe er sich der Polizei stellte, mit dieser ebenfalls Geschlechtsverkehr praktiziert. "Das ist etwas, was ich nicht verstehen kann und nicht verstehen will", bemerkte der Staatsanwalt. Von den Geschworenen verlangte Radasztics eine "faire und gerechte Urteilsfindung".

Verteidiger: Zwei Faktoren führten zu Bluttaten
Nach Ansicht von Ernst Schillhammer, dem Verteidiger von Reinhard S., hätten zwei Punkte zu den Bluttaten geführt: Zum einen die finanzielle Vorgeschichte seines Mandanten und die "länger zurückreichende Geschichte des Mannes". Reinhard S. habe Geisteswissenschaften studiert und sich immer mit Büchern beschäftigt. "Während andere Kinder gespielt haben, hat er sich zurückgezogen und gelesen."

Reinhard S. las Werk über Selbstmord
In seinem Büro habe der Angeklagte eine Bibliothek mit geschätzten 3.200 Büchern eingerichtet: "Darunter die gesamte Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, zu all den Fragen, die wir hier diskutieren", berichtete Schillhammer. Unter anderem ist unter den Werken eine Abhandlung über die Geschichte des Selbstmords und das Buch "Vom Nachteil, geboren zu sein" vom "Lieblingsautor" des 39-Jährigen, Emile M. Cioran. Für Schillhammer war es "bedrückend", dass der 39-Jährige bei seinen polizeilichen Einvernahmen ständig zwischen zwei Darstellungsweisen gewechselt ist: Zuerst habe er "in sehr kühler, intellektueller und distanzierter" Weise Darstellungen gemacht und erklärt, "warum das hat sein müssen und bricht dann in einer Sekunde auf die nächste zusammen und die Emotionen überkommen ihn".

Reinhard S. war voll zurechnungsfähig
Sollte der 39-jährige PR-Manager schuldig gesprochen werden, drohen ihm bis zu 20 Jahre oder lebenslange Haft. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt Reinhard St. zwar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, aber volle Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Zum Motiv heißt es in der Anklageschrift: "Angesichts des nahenden wirtschaftlichen Ruins und infolge seines Unvermögens, seine nächsten Angehörigen sein wirtschaftliches Totalversagen einzugestehen, fasste der Angeklagte den Entschluss, seine Ehefrau, seine Tochter, seine Eltern und seinen Schwiegervater zu töten."

Geld verspekuliert
Reinhard S. hatte vor rund zehn Jahren mit Aktienspekulationen begonnen. Zunächst schien er auch Erfolg zu haben: Im Sommer 2001 wies das Aktiendepot ein Guthaben von über 150.000 Euro auf, zu Pfingsten 2008 waren allerdings nur mehr 600 Euro da, denen Verbindlichkeiten von 350.000 Euro gegenüberstanden. Laut Anklage wollte er seiner Familie ersparen, damit konfrontiert zu werden. Nachdem er noch ein gemütliches  Wochenende mit Frau und Kind verbracht hatte, setzte er der Anklageschrift zufolge am 13. Mai 2008 in seiner Wohnung in der Neue-Welt-Gasse in Wien-Hietzing seinen Plan um und tötete am Morgen kurz nach dem Aufwachen mit einer Axt seine Frau.

Der Tochter fast den Kopf abgetrennt
Im begehbaren Schrank kam ihm dann seine Tochter entgegen. Mit der stumpfen Axtseite soll er sogleich auf das Kind eingeschlagen haben, das die Schläge mit bloßen Händen abwehren wollte. "Sie fiel danach zu Boden und der Angeklagte versetzte ihr zweimal mit voller Kraft Hiebe gegen den Kopf", heißt es in der 16 Seiten umfassenden Anklageschrift. Als Reinhard S. das Mädchen noch röcheln hörte, holte er aus dem Wohnzimmer einen Fuchsschwanz, "kehrte zu ihr zurück, setzte die Säge im Nackenbereich an und versuchte sodann, ihr den Kopf abzutrennen", so die Anklage. Dieses Unterfangen gab er jedoch nach kurzer Zeit auf.

Gegen 11.45 Uhr traf er in Ansfelden ein, wo er zunächst mit seinen Eltern zu Mittag aß. Sein Vater zog sich gegen 13 Uhr vor den Fernseher zurück, seine Mutter ging ins Erdgeschoss, um dem 39-Jährigen als Wegzehrung einen Kirschkuchen einzupacken. Der Sohn folgte ihr, zog die mitgebrachte Axt aus einem Rucksack und schlug auf sie ein. Danach begab er sich nach oben, wo sein Vater inzwischen eingenickt war. Von hinten hieb er mehrfach mit der Axt gegen seinen Kopf.

S. sah seinen Eltern beim langsamen Sterben zu
Während er im Anschluss Abschiedsbriefe an seine zwei Geschwister verfasste und auf einem separaten Blatt seine Beweggründe darzulegen versuchte, waren die Eltern noch am Leben. Ihr Röcheln war deutlich zu vernehmen, der Vater soll laut Anklage sogar noch geschrien haben. Dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge trat bei beiden der Tod möglicherweise erst gegen 15 Uhr ein.

Gegen 17 Uhr hatte Reinhard S. Linz erreicht, wo er abschließend seinem Schwiegervater das Leben nahm. Zunächst tranken die beiden Männer in dessen Küche Limonade und unterhielten sich über Belanglosigkeiten. Als der Schwiegervater die Gläser abwaschen wollte und ihm den Rücken zuwandte, öffnete der PR-Berater wieder seinen Rucksack und schlug zu. Während sein Opfer im Sterben lag, durchsuchte er die Wohnung nach Büchern, die er diesem vor einiger Zeit geborgt hatte, fand die zwei Exemplare und steckte sie ein.

Das "langsame Sterben" seiner Opfer, speziell das Röcheln seiner Mutter hielt Reinhard S. davon ab, sich - wie ursprünglich geplant - nach den Bluttaten das Leben zu nehmen. Das erzählte der 39-Jährige der psychiatrischen Sachverständigen Sigrun Rossmanith, die im Gerichtsauftrag ein Gutachten über den PR-Berater erstellte.

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